Piraten vor dem Sprung ins schweizerische Parlament?

Der Erfolg in Deutschland und Listenverbindungen rücken einen Nationalratseinzug am 23. Oktober in greifbare Nähe

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Vor gut zwei Jahren gründete sich in der Schweiz eine Piratenpartei, die nun hofft, in knapp drei Wochen erstmals in das eidgenössische Parlament einzuziehen. Wir befragten dazu ihren Vorsitzenden Denis Simonet.

Herr Simonet, am 18. September erreichte die Piratenpartei bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin 8,9 Prozent und in den letzten Umfragen von Emnid und Forsa landete sie deutschlandweit bei sieben beziehungsweise acht. Bei wieviel Prozent werden Sie Ihrer Schätzung nach bei den schweizerischen Parlamentswahlen am 23. Oktober landen?

Denis Simonet: Der Erfolg der Berliner Piraten ist großartig. Letztes Jahr bei den Großratswahlen Kanton Bern reagierten die Passanten teilweise mit einem Schmunzeln oder abweisend, wenn wir sie im Rahmen von Ständen auf uns aufmerksam machten. Das Gegenteil ist jetzt der Fall: Die Leute drehen sich um, wenn das Wort Piraten fällt und teilweise fragen sie sogar aus eigenem Antrieb nach einem Flyer. Ein genialer Fortschritt, der uns motiviert.

Da wir keine Referenzwerte zur Hand haben, ist es schwierig, das Resultat zu schätzen. Doch eines ist sicher: Durch das mediale Interesse seit dem Erfolg in Berlin und dank taktisch kluger Listenverbindungen in den Kantonen Bern und Zürich stehen die Chancen gut, einen Sitz zu gewinnen.

Denis Simonet

Mit wem sind sie diese Listenverbindungen in Bern und Zürich eingegangen? Und wieviel Prozent bräuchten Sie da ungefähr für einen Sitz?

Denis Simonet: In Zürich mit der Alternativen Liste und den Konfessionslosen, in Bern mit Les Rauraques und der Liste Jimy Hofer plus. Im Kanton Bern gibt es 26 Sitze, es braucht also 100 geteilt durch 26 beziehungsweise 3,84 Prozent. In Zürich sind es 34 Sitze, da benötigen wir 2,94 Prozent.

Listenverbindungen bedeuten, dass die "Reststimmen" zusammengelegt werden. Nehmen wir das Beispiel Kanton Bern: Wenn Les Rauraques ein Prozent holen und Jimy Hofer plus 1.2 Prozent, haben sie zusammen 2,2 Prozent. Wir bräuchten dann noch 1,64 Prozent und hätten einen Sitz im Nationalrat. Wenn aber Jimy Hofer plus 1,64 Prozent macht und wir 1,2 Prozent, erhält denselben Sitz Jimmy Hofer plus, weil sie ja mehr Reststimmen haben als wir.

In Berlin galten die an zentralen Plätzen massenhaft aufgehängten Plakate als analoge Schlüsseltechnologie, die Piratenthemen in die Medien brachte. Orientieren Sie sich in Ihrem Wahlkampf daran?

Denis Simonet: In der Schweiz ist es etwas schwieriger, mit Plakaten zu arbeiten. Es gibt grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten: Einige Städte stellen etwa einen Monat vor den Wahlen kostenlose Plakatstellen zur Verfügung. Als Partei kann man Plakate abliefern und die Städte kümmern sich darum, diese aufzuhängen und regelmäßig zu erneuern. Man darf nicht selber aufhängen und jede Partei erhält gleich viele Plakatplätze. Andere Städte bieten dasselbe an, verlangen aber Geld dafür. Darauf haben wir aus finanziellen Gründen verzichtet.

Es gibt darüber hinaus die Möglichkeit, wild zu plakatieren. Das wird allerdings sehr restriktiv gehandhabt. Wir tun es auch, können aber nicht wie in Deutschland die ganze Stadt zupflastern. Und natürlich gibt es die kommerziellen Plakatstellen. Durch eine 10.000-Euro-Spende der Firma Datacell konnten wir uns ein paar solcher Plakate in Bahnhöfen leisten.

Deshalb konzentrieren wir uns neben den Plakaten hauptsächlich auf Stände (mit Kugelschreibern, Luftballons, Flyern et cetera), organisieren Podiumsdiskussionen und verbreiten unsere Anliegen über Social Media und direkte Medienkontakte. Letzten Freitag konnte ich über den Nationalrat Lukas Reimann eine Motion zur Stärkung am Recht an den eigenen Daten einreichen. Das wurde in zwei Sonntagszeitungen erwähnt, im Sonntag und der NZZ am Sonntag.

Welche Möglichkeiten der politischen Einflussnahme und Kontrolle hätten Sie, wenn Sie nach dem 23. Oktober mit einem oder mehreren Abgeordneten im neuen Parlament vertreten wären?

Denis Simonet: Grundsätzlich wären dann parlamentarische Vorstöße direkt möglich. Sprich: Die gewählten Piraten könnten Motionen, Interpellationen, Postulate et cetera direkt einreichen. Heute ist das nur über befreundete Parlamentarier möglich (die Motion über Lukas Reimann ist ein Beispiel und auch unser erster Versuch, dies zu tun).

Außerdem können wir dann in der Fraktion aber auch im Rat zu Piratenthemen Stellung beziehen, so dass die Anliegen der Piraten berücksichtigt werden. Dies ist aktuell auch nur über befreundete Parlamentarier möglich. Ich habe übrigens von Lukas Reimann einen Lobbyausweis erhalten (jeder Rat darf zwei davon vergeben) und kann mich somit jederzeit frei im Bundeshaus bewegen und in der Wandelhalle für unsere Themen werben. Wenn man aber direkt im Rat sitzt ist es einfacher, weil die Räte der anderen Parteien natürlich auch viele Nicht-Piraten-Anliegen behandeln. Wir könnten uns aber auf die Piratenthemen konzentrieren.

Wie viele Sitze bräuchten Sie, um eines der sieben Regierungsmitglieder stellen zu können?

Denis Simonet: Da ist nichts vorgeschrieben, Bundesrat darf jeder werden. Jeder Stimmberechtigte kann kandidieren. Es gibt aber den Konsens, dass sich die größten 4 Parteien den Sitzen nach die 7 Bundesräte aufteilen, die sogenannte "Zauberformel".

In Deutschland ist mehr Direkte Demokratie eines der Hauptanliegen der Piratenpartei. In der Schweiz gibt es deutlich mehr Möglichkeiten für Volksentscheide. Ist Liquid Democracy bei Ihnen trotzdem ein großes Thema - oder eher nicht?

Denis Simonet: Es ist gar kein Thema, grundsätzlich sind wir zufrieden mit der halbdirekten Demokratie. Die Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen ist aber leider etwas tief.

Was sind stattdessen die Themen, die am meisten auf Widerhall stoßen?

Denis Simonet: Gute Frage, bisher sind viele Vorschläge mit erstaunlich wenig Gegenstimmen angenommen worden. Der Widerhall kommt vor allem bei Nicht-Kern-Themen, wobei die Diskussionen oft ziemlich konstruktiv sind. Zum Beispiel beim Thema Energiepolitik gab es eine gute Beteiligung und einen regen Austausch an Meinungen. Im positiven Sinne.

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