"Wie repariere ich ein System, das ich nicht verstehe?"

Bild: Bundesministerium für Bildung und Forschung

Mit einer neuen Studie betreibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vorsichtig die Enttabuisierung des Geo-Engineering

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"Klimaschutz und Anpassung haben eindeutig Vorrang. Zusätzlich notwendig ist jedoch Forschung zum Climate Engineering." Das sagte Georg Schütte, Staatssekretär im BMBF, als gestern in Berlin eine "Sondierungsstudie" zum Geo-Engineering vorgestellt wurde. Als Climate oder Geo-Engineering werden menschliche Eingriffe in den Strahlungshaushalt oder den Kohlenstoffkreislauf der Erde bezeichnet, die das Klima verändern. "Es ist nicht verantwortbar, einzelne Optionen gegen möglicherweise dramatische Folgen des Klimawandels vorab auszuschließen", so Schütte.

Indem es Forschung in diesem Bereich befürwortet, positioniert sich das Bundesforschungsministerium deutlich anders als das Bundesumweltamt (UBA). In einer Stellungnahme des UBA mit dem Titel Geo-Engineering - wirksamer Klimaschutz oder Größenwahn? vom Juni hieß es: "Angesichts der Tragweite von Geo-Engineering-Maßnahmen und der großen Unsicherheiten bei der Abschätzung von Folgen im komplexen Erdsystem rät das UBA aus Vorsorgegründen (...) zu einem Moratorium."

Ideen wie die, die Erde zu verschatten, indem man beispielsweise Schwefelpartikel in die Stratosphäre bringt, galten lange Zeit als tabu. Aber angesichts der kommenden Klimakrise wird Geo-Engineering unter immer mehr Wissenschaftlern und Politikern salonfähig. Als Notmaßnahme, meinen viele, könnte es sich als das kleinere Übel erweisen. Vor zwei Jahren empfahl die britische Wissenschaftsorganisation Royal Society, Möglichkeiten des Geo-Engineering zu untersuchen. Seitdem gibt es in Großbritannien anwendungsorientierte Forschungsprojekte, die auch Feldversuche durchführen. In Deutschland dagegen findet bisher nur EU-finanzierte Forschung statt wie IMPLICC, die sich mit Grundsatzfragen befasst.

Auf dem letzten Treffen des Weltklimarats IPCC im Juni beschäftigte sich erstmals eine Arbeitsgruppe mit Geo-Engineering. Ein internationales Bündnis von Umweltorganisationen warnte im Vorfeld in einem offenen Brief davor, die Klimareparaturversuche voranzutreiben:

Die Gefahr ist groß, dass es zu Unfällen, gefährlichen Experimenten, falschen Risikoeinschätzungen, unerwarteten Folgen, unilateralen Aktionen, privaten Profitinteressen, Störungen der Landwirtschaft, zwischenstaatlichen Konflikten und negativen Folgen für den globalen Süden kommt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Geo-Engineering eine sichere, dauerhafte, demokratische und friedliche Lösung der Klimakrise bereitstellt, ist gleich Null.

Im Auftrag von BMBF und koordiniert vom Kieler Earth Institute haben nun deutsche Naturwissenschaftler, Experten für internationales Recht und Ethik, Ökonomen, Gesellschafts- und Politikwissenschaftler zusammengetragen, was ihre jeweilige Fachdisziplin zum Thema beizutragen hat. So entstand die Studie "Gezielte Eingriffe in das Klima?". Sie gibt den gegenwärtigen Kenntnisstand umfassend wieder, aber lässt in ihrer Breite kaum konkrete Schlussfolgerungen zu, außerdem beziehen die Autoren nur sehr vorsichtig Stellung.

Grundsätzlich unterscheiden lassen sich beim Climate Engineering Maßnahmen des Radiation Management (RM) und Carbon Dioxide Removal (CDR), also die Verminderung der Sonneneinstrahlung einerseits und die "Entfernung" von Kohlendioxid andererseits. Beide Bereiche umfassen ganz unterschiedliche Maßnahmen. Eine massive Wiederaufforstung zählt theoretisch zu CDR, hätte aber wahrscheinlich kaum negative Nebenwirkungen. Um einen globalen Effekt zu erzielen, müssten allerdings riesige Flächen mit Wald gepflanzt werden. Die immer wieder ins Spiel gebrachte Eisendüngung der Ozeane dagegen hätte unabsehbare Folgen. Durch die Düngung entstehen zusätzlichen Algen, so die Idee. Sie sollen Kohlenstoff binden und dann zum Meeresboden absinken. Ob sie das wie vorgesehen tun würden, ist unklar - aber auch, ob in diesem Fall die betroffenen unterseeischen Ökosysteme den Eintrag des Kohlendioxid überstehen würden. Auch wenn der Begriff CDR es nahelegt - "entfernen" ließe sich das Kohlendioxide aus dem klimarelevanten System nur, wenn es in den Weltraum verbracht würde.

Um klimatische Effekte zu erzielen, müssen Maßnahmen des CDR große Mengen Kohlendioxid binden und einlagern. Im Gegensatz dazu beruht RM auf einer Hebelwirkung: mit vergleichsweise geringem Aufwand könnten große Wirkungen erreicht werden. Damit steigt alleridngs auch das Risiko. Weniger Sonneneinstrahlung könnte theoretisch die Durchschnittstemperatur senken (manche Klimatologen befürchten durch die Staubpartikel in der Stratosphäre allerdings den gegenteiligen Effekt, also höhere Temperaturen). RM hat keine Auswirkungen auf das zugrundeliegende Problem, nämlich die Kohlenstoffemissionen. Bei einer ungleichmäßigen Abschattung würden sich die Muster der Windbewegungen und Niederschläge verändern - nur ließe sich beim gegenwärtigen Kenntnisstand nicht gezielt beeinflussen, welche Regionen davon profitieren und welche etwa unter mehr Dürren oder Überschwemmungen zu leiden hätten.

Gernot Klepper vom Institut für Weltwirtschaft, der die wirtschaftlichen Aspekte von Geo-Engineering untersuchte, fasste bei der Vorstellung der BMBF-Studie das Problem in einem Bild: Der Motor eines Kraftfahrzeugs ist überhitzt. Die einen schlagen deshalb vor, einen Eimer Wasser auf die Kühlerhaube zu schütten, um den Motor abzukühlen. Die anderen warnen, dadurch würde der Motor endgültig kaputt gehen. Allerdings kennen wir den Bauplan dieses Motors nicht - niemand weiß, welche Auswirkungen der massive menschliche Eingriff ins globale Klima hätte! Alle klimatischen Elemente sind interdependent: Verändert sich beispielsweise durch RM die Temperatur über dem Meer, dann ändern sich auch Verdunstungsmengen, Windstärken und -richtungen, es ändert sich die Energiebilanz der Meere, die Säurehaltigkeit des Wassers, damit die Lebensmöglichkeiten der Lebewesen im Meer etc.

Schon der Begriff "Geo-" oder "Climate Engineering" ist also in gewisser Weise fragwürdig. Das englische Wort engineering umfasst Bedeutungen von "manipulieren" bis "organisieren". Von gezielten Eingriffen kann im komplexen Klimasystem der Erde aber keine Rede sein. Ronald Prinn, Direktor des Center for Global Change Science am MIT brachte dieses Problem vor einem Jahr in einem Interview auf den Punkt: "Wie repariere ich ein System, dass ich nicht ganz verstehe?" Dennoch befürwortet Prinn die Erforschung von Geo-Engineering, "wenn nicht dadurch anderen Feldern Ressourcen entzogen werden".

Weil sowohl über den möglichen Nutzen als auch die möglichen Schäden keine einigermaßen sicheren Aussagen möglich sind, befürwortet das interdisziplinäre Expertenteam lediglich "Forschung zur Bewertung" statt "Forschung zum Einsatz". Zum Beispiel sollen mit besseren "Erdsystemmodellen" klimatische Rückkopplungen erforscht werden.

Gefährlich könnte die Enttabuisierung des Geo-Engineering allerdings nicht nur wegen direkter klimatischen Nebenwirkungen sein. Die Studie des BMBF zählt einige der weiteren Gefahren auf: Fast alle Maßnahmen hätten Auswirkungen über die jeweiligen Ländergrenzen hinaus, aber sie bewegen sich völkerrechtlich im rechtsfreien Raum. Nationale Alleingänge, die anderswo katastrophale Auswirkungen haben, könnten zu zwischenstaatlichen Konflikten, sogar Kriegen führen. Viele der diskutierten Vorschläge sind energetisch aufwändig und würden selbst wieder zu Emissionen führen.

Außerdem befürchten manche Kritiker, dass eine neu entstehende kommerzielle Geo-Engineering-Branche aus Profitinteressen andere Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung behindern würde. In den USA gibt es bereits zwei Unternehmen, die "künstliche Bäume" als marktreifes Produkt anbieten, die der Atmosphäre mit chemischen Verfahren Kohlendioxid entziehen. Wie es langfristig sicher gelagert werden soll, ist weiterhin unklar. Angeblich belaufen sich die Kosten pro Tonne Kohlendioxid gegenwärtig auf 200 US-Dollar. Möglicherweise wiederholt sich mit der kommerziellen "Klimareparatur", was mit dem Emissionshandel bereits Realität ist - die anthropogene Klimaerwärmung als Geschäftsmodell.