Domscheit-Berg soll Kompromisskandidatin sein

Bei der Piratenpartei in Friedrichshain und Kreuzberg will man damit langwierigen kommunalrechtlichen Auseinandersetzungen mit der Linkspartei aus dem Weg gehen

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Viele unserer Leser rätselten, warum die Piratenpartei in Friedrichshain und Kreuzberg mit Anke Domscheit-Berg einer Grünen die Kandidatur als Bezirksstadträtin antrug. Nun lüftete der Bezirksverordnete Ralf Gerlich, der zusammen mit Julia Schramm auf den Personalvorschlag kam, das Rätsel und erklärte, man suche einen Kompromisskandidaten, dem auch die Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zustimmen könne.

Grund dafür ist, dass den Piraten in der Bezirksverordnetenversammlung durch das unerwartet gute Wahlergebnis ein Sitz mehr zusteht, als sie Kandidaten aufgestellt hatten und drei Gewählte, die gleichzeitig für das Abgeordnetenhaus kandidierten, sehr wahrscheinlich ihren Sitz nicht in der BVV, sondern dort wahrnehmen werden. Die Linkspartei, die deutlich weniger Wählerstimmen bekam als die Piraten, stellt deshalb voraussichtlich mehr BVV-Mitglieder und hat angekündigt, diesen mit ihrem Kandidaten Knut Mildner-Spindler das Vorschlagsrecht streitig zu machen.

Ralf Gerlich. Foto. PiratenWiki. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Sollte man sich auf einen Kandidaten einigen können, der Ziele beider Parteien vertritt, sieht Gerlich deshalb eine Möglichkeit, langwierige kommunalrechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Dem gelernten Umweltingenieur zufolge will man dem Willen der eigenen Wähler dadurch Rechnung tragen, dass man einen Bezirksstadtrat aufstellt, der "für mehr Transparenz in der Verwaltung sorgt". Nach Ansicht des Fachmanns für regenerative Energien könnte Anke Domscheit-Berg dieses Ziel deshalb erreichen, weil sie im Bereich Open Government so viel Kompetenz aufweist, dass sie "fähig ist, eine Behörde zu leiten und in diese Richtung zu entwickeln".

Allerdings, so betont Gerlich gegenüber Telepolis, handelt es sich bei Anke-Domscheit-Berg nur um eine "Kandidatin für eine Kandidatur" und nicht um eine bereits gewählte. Entschieden wird nämlich erst auf einer Piraten-Gebietsversammlung am 13. Oktober um 18 Uhr 30, auf der sich auch Andreas Pittrich und – nach Einschätzung von Jessica Zinn – auch eine Reihe weiterer Personen zur Wahl stellen, die Ihre Kandidatur möglicherweise erst an diesem Abend bekanntgeben.

Auch der Linkspartei-Kandidat Mildner-Spindler hat sein Kommen auf der Piraten-Gebietsversammlung angekündigt. Bis jetzt gilt der Fitness-Fan und Sozialpädagoge, der momentan das Ressort "Gesundheit, Soziales und Beschäftigung" besetzt, allerdings nicht wirklich als Kompromisskandidat, der auch Piratenziele überzeugend transportieren könnte. Hinzu kommt, dass er sich in seiner letzten Amtsperiode mit seiner Senioren- und Suchtkrankenpolitik auch innerhalb der Linkspartei nicht nur Freunde machte.

Domscheit-Bergs bisher einziger namentlich bekannter Gegenkandidat Andreas Pittrich, der unter anderem das Bildungsprogramm der Berliner Piraten mit verfasste und aktuell als wissenschaftlicher Mitarbeiter am philosophischen Institut der Humboldt-Universität arbeitet, tritt dafür ein, dass der Kandidat "basisdemokratisch, transparent, fair und locker" gemeinsam von der Basis der Piraten- und der Linkspartei gewählt wird, steht aber im Falle einer entsprechenden Entscheidung der Piraten-Gebietsversammlung auch als Kandidat zur Verfügung, der eine klare Piratenlinie vertritt.

Der Diplom-Mathematiker und Philosophie-Master will unter anderem die Bezirksamts- und die Ältestenratssitzungen öffentlich machen, wobei er jedoch auf die Zustimmung der von den anderen Parteien dorthin entsandten Mitglieder angewiesen ist. Spielen diese nicht mit, plant Pittrich, seinen Posten für einen anderen Kandidaten freizumachen.

Christian Löffelmacher, ein Friedrichshainer Rechtsanwalt, der ebenfalls antreten sollte, hat seine Kandidatur mittlerweile zurückgezogen, weil er sich als Jurist für ein Vorschlagsrecht der Piraten einsetzt und meint, dass dieser Einsatz besser von jemandem kommt, der nicht selbst kandidiert. Der Hesse, der sich in seiner Kanzlei viel mit Hartz-IV-Bescheiden beschäftigte und den Ablauf in Behörden aus eigener beruflicher Erfahrung gut kennt, meint, dass Anke Domscheit-Bergs Pläne für mehr Verwaltungstransparenz durchsetzbar wären, weil Open Data mittlerweile auch im Senat ein Schlagwort sei.

Grüne und sozialdemokratische Personalien

Franz Schulz, der alte grüne Bezirksbürgermeister, wird wahrscheinlich auch der neue sein. Gleiches gilt für die grüne Bezirksstadträtin Monika Herrmann, die für Jugend, Familie und Schule zuständig ist. Baustadtrat Hans Panhoff muss dagegen um einen erneuten Ausnahmebeschluss von der grünen Frauenquote bangen, die seiner Auskunft nach auch dann noch als nicht erfüllt gilt, wenn das Grünen-Mitglied Anke Domscheit-Berg von der Piraten- und der Linkspartei gemeinsam nominiert werden sollte.

Weil die Zahl der Stadtratsstellen um eine gekürzt wird, muss Schulz zufolge wahrscheinlich der SPD-Stadtrat Dr. Jan Stöß seinen Posten räumen. Er war erst seit Mai 2010 für Finanzen, Kultur, Bildung und Sport zuständig und arbeitete vorher als Richter an der berüchtigten Pressekammer des Landgerichts Berlin. Der zweite SPD-Mann im Bezirksamt, Dr. Peter Beckers, darf dagegen voraussichtlich am Bezirksamt bleiben. Er belegte in den letzten fünf Jahren mit dem Ressort "Wirtschaft, Bürgerdienste und Ordnungsamt" den Bereich, in dem die Piraten am besten ihre Kernanliegen verwirklichen könnten.

Womöglich auch deshalb lud die SPD die Piraten gestern zu einem "offenen Werkstattgespräch" ein, bei dem es um "Transparenz und die Einbindung der Bevölkerung in die Bezirkspolitik", die "Unzufriedenheit mit den bestehenden Prozessen und Abläufen", die " Potenziale des Internets" und neue Schwerpunkte bei der Arbeit im Bezirksamt gehen sollte. Auf der Parteiwebsite, auf der die Sozialdemokraten mehr als zwei Wochen nach der Wahl vom 18. September 2011 immer noch ihr Wahlergebnis von 2006 feiern, ist davon allerdings eher wenig zu finden.

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