Kritik am "American Dream"

Interview mit Frank Hentschel über den klassischen Horrorfilm

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Mit der Leidenschaft und Akribie eines Kenners und dem Wissen und analytischem Instrumentarium eines Kulturwissenschaftlers widmet sich Frank Hentschel in seinem ausgezeichneten Buch Töne der Angst. Die Musik im Horrorfilm dem Genre des Horrorfilms vor allem in seiner klassischen Ausprägung während der Siebziger Jahre und arbeitet sowohl in der systematischen Darstellung wie auch in den Einzelanalysen den Zusammenhang von Horrorfilmen, Politik, Religion und Filmmusik überzeugend heraus.

Der Leser gelangt mindestens zu der Erkenntnis, dass sich die Meisterleistungen des Genres, was Kunstfertigkeit, artistische Subtilität und gesellschaftliche Aussagefähigkeit anbelangt, durchaus mit den Werken der klassischen Literatur und Musik messen lassen können. Die Analyse der darin verwendeten Musik birgt einen wichtiger Schlüssel, um die künstlerische Komplexität der Werke zu begreifen und wird durch eine dem Buch beigelegte DVD, auf der zahlreiche Filmszenen mit ihrer Musik zu sehen sind, eindrucksvoll belegt. Ein Gespräch mit dem Professoren für Historische Musikwissenschaft an der Universität Köln.

Herr Hentschel, welche allgemeinen anthropologischen und gesellschaftlichen Strukturen kommen im Horrorfilm zum Ausdruck und was hat die darin eingesetzte Musik damit zu tun?

Frank Hentschel: Zu den anthropologischen Strukturen kann man gar nicht viel sagen: Auf die Frage warum sich Menschen freiwillig dem Horror aussetzen, also bei der narrativen und visuellen Darstellung des Unheimlichen eine gewisse Angstlust entwickeln, gibt es keine klare Antwort. Es liegen natürlich Versuche vor, sie zu beantworten, etwa bei Freud, die ich persönlich aber nicht sehr überzeugend finde. Es gibt auch empirische Forschung darüber, deren Ergebnisse aber noch sehr ausschnitthaft und methodisch oft nicht unproblematisch sind. Umgekehrt ist aber klar, dass die Menschen grundsätzlich in ihrem Dasein Ängsten ausgesetzt sind und sich damit zum Beispiel in der Kunst auseinandersetzen.

Die gesellschaftliche Seite des Horrors ist hingegen nach meiner Auffassung klarer zu bestimmen. Ich habe in meinem Buch vor allem den Horrorfilm der Siebziger Jahre untersucht, und hier wird sehr deutlich, dass den Filmen politische Subtexte zugekommen sind, die ganz offenbar auf die gesellschaftlich-politische Situation dieser Zeit reagieren: den Vietnamkrieg, die 68er-Bewegung, die Morde an John F. Kennedy und Martin Luther King und so weiter.

Was aber das für mich Interessante am Horrorfilm dieser Zeit ist: Diese Probleme werden nicht explizit oder gar moralisch thematisiert, sondern sie versuchen, die Befindlichkeit der Menschen der damaligen Zeit und Kultur in Narrative und Bilder zu übersetzen. Diese Befindlichkeit, eine große Angst, wird in den Horrorfilmen ausgedrückt, die man - wie zum Beispiel Texas Chainsaw Massacre - ganz eindeutig als Destruktion des American Dream lesen kann. Man stellt dem American Dream eine Vision der Realität gegenüber, die in krassem Widerspruch zu dieser Ideologie steht.

Texas Chainsaw Massacre

Die Musik dazu ist weitgehend asemantisch und insofern fließen die politischen Inhalte gar nicht in die Musik ein, die wie bei jeglicher Filmmusik grundsätzlich nur im Zusammenhang mit Bild und Handlung zu verstehen ist. Da der Horrorfilm selber schon eine Transformation einer politisch begründeten Befindlichkeit in Fiktives, oft sogar Surreales darstellt, also mehr expressiv als diskursiv wirkt, kommt es zu einer besonders engen Verschmelzung zwischen Bild, Handlung und Musik. Denn Musik ist ja ebenfalls ein vorwiegend expressives Medium. Das ist auch der Grund, warum in den Siebziger Jahren die Neue Musik von zum Beispiel Krzysztof Penderecki oder György Ligeti im Horrorfilm Verwendung fand. Denn in mancherlei Hinsicht funktioniert sie ganz ähnlich wie der Horrorfilm, weil hier wie dort gegebene Normen durchbrochen und traditionelle Ordnungen zerstört werden. Dass Musik, die besonders schrill und dissonant ist, einen schmerzhaft in den tiefsten Eingeweiden trifft, ist nicht umsonst eine Metapher, die unmittelbar an die Topoi des Horrorfilms der damaligen Zeit erinnert.

"Der Schrecken wird in den Siebziger Jahren von eher linken Kräften vereinnahmt"

Sie beschreiben in Ihrem Buch auch näher die Entwicklung des Horrorfilmgenres von den 50er bis in die 80er Jahre. Welche politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Umbrüche wurden hier künstlerisch verarbeitet und können Sie uns darlegen, inwiefern sich dies in der Verwendung von Musik in den Filmen spiegelt?

Frank Hentschel: Normalerweise wird ganz zu Recht behauptet, dass sich der Horrorfilm im Laufe der Sechziger Jahre stark verändert hat. Während der Horrorfilm der Vierziger und Fünfziger Jahre mit seinen Werwölfen oder Grafen Dracula, die bei Kerzenschein in ihren finsteren Räumen saßen und Orgel spielten, sehr realitätsfern war, findet der Horrorfilm der Siebziger Jahre unmittelbar in der Realität statt: "Texas Chainsaw Massacre" beispielsweise spielt seinerzeit in der unmittelbaren Gegenwart in den USA, während die klassischen Schwarzweißhorrorfilme irgendwo an imaginären Orten spielen, die einen als Zuschauer nicht weiter tangieren.

Invasion Of The Bodysnatchers

Wenn man nun von der Filmmusik ausgeht und nachforscht, wo etwa vergleichbare musikalische Mittel angewandt worden sind, dann landet man in den Fünfziger Jahren eher im Science Fiction und wenn man noch weiter zurückgeht im Psychothriller. Die Entwicklung bestimmter musikalischer Topoi, die für Angst und Schrecken eingesetzt wurden, beginnen also in den Vierziger Jahren in den Psychothrillern, wandern in den 50ern in die Science Fiction und landen in den Sechzigern und 70ern im Horrorgenre. Hier kann man in der Tat einen politisch-gesellschaftlichen Background erkennen, weil die Science Fiction-Filme der 50er Jahre, wie etwa Invasion Of The Bodysnatchers, die Ängste der amerikanischen Bevölkerung vor einer vermeintlichen kommunistischen Invasion in einer Hoch-Phase des Kalten Krieges thematisieren. Die Aliens stehen metaphorisch für die kommunistische Bedrohung. Das sind gesellschaftlich reale Ängste gewesen. Ich halte das für eine plausible Interpretation. Das Interessante ist nun, dass sich die Ursachen dafür, was Schrecken auslöst, im Laufe der Zeit vom Außen der Gesellschaft in deren Mitte verlagert haben. Auch wird in den Siebziger Jahren, während in den 50ern die weitgehend konservative Einstellung der Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft, die vor dem Kommunismus Angst hatten, thematisiert wurde, der Schrecken nun von eher linken Kräften vereinnahmt, die Kritik am American Dream übten.

Kann es sein, dass The Haunting hierfür eine Art Scharnier bietet, weil bei diesem Film der Schrecken erstmals in die unmittelbare gesellschaftliche Realität umbricht?

Frank Hentschel: Hier gibt es mehrere Scharnierfilme. Ich würde Ihnen bei The Haunting, einem Film, in dem der auch hochinteressante Musik verwendet wird, zustimmen, aber auch Carnival Of Souls und "Psycho" haben in den 60er Jahren ganz viel vorbereitet. Desgleichen scheinen mir Texas Chainsaw Massacre und The Last House On The Left, zwei der wirklich heftigen Horrorfilme der frühen Siebziger Jahre, in dem Film Lady In A Cage von 1964, der nicht von ungefähr im Umfeld des 4. Juli spielt, in einer gewissen Weise vorgebildet zu sein.

Lady In A Cage

Dieser unterscheidet sich zwar von der Handlung her sehr deutlich von den beiden genannten späteren Filmen, aber weist auch starke Ähnlichkeiten auf: Die Exposition des Films ähnelt sehr stark derjenigen von "Texas Chainsaw Massacre" und die Personenkonstellation von "The Last House On The Left" erinnert wiederum deutlich an die von " Lady In a Cage". Ich bin sicher, dass Tobe Hooper und Wes Craven diesen Film jeweils kannten. Die Horrorfilme der Sechziger Jahre waren also in der Tat sehr wichtig für die Veränderung dieses Genres, aber gleichfalls wurden auch noch sehr viele klassische Horrorfilme, man denke etwa an die Hammerstudios, produziert.

Wie konnte der Horrorfilm eine wichtige Domäne der Neuen Musik werden?

Frank Hentschel: Ich vermute, dass hier mehrere Faktoren zusammenspielten. Zum einen hat dies mit der Musik selbst zu tun: Die Neue Musik schöpft wie kein anderes musikalisches Genre die Möglichkeiten zur Darbietung negativer Gefühle aus. Bereits Adorno und Eisler haben in ihrem Buch über Filmmusik festgestellt, dass die Musik von Schönberg so stark mit Dissonanzen angereichert ist, dass sie eine Ähnlichkeit zu Filmszenen zum Beispiel aus "King Kong" aufweist und damit intuitiv richtig eine Parallelisierung zum Horror angestoßen. Die Verwendung von Neuer Musik liegt also in der Natur der Sache, man könnte diese Musik gar nicht wo anders als im Genre des Horrorfilms einsetzen. Ein Liebesfilm mit Musik von Schönberg kann man sich als hochartifizielles Konstrukt zwar vorstellen, dieses würde allerdings nicht wie Hollywood-Kino funktionieren.

Auch drückt die Art von Neuer Musik, die im Horrorfilm angewendet wurde, also diejenige von Krysztof Penderecki oder György Ligeti beziehungsweise von jenen Filmmusikkomponisten, die diesen Stil nachahmen, eine Art von Expressivität aus, die der des Horrorfilms nahe kommt. Denn - zumindest nach meiner Interpretation - spielt diese Neue Musik auf vertraute Elemente, wie etwa einen regulären Rhythmus, Zentraltöne, auch konsonante Klänge wie Dreiklänge und so weiter. an, verfremdet sie aber sehr stark oder zerstört sie, indem Clusterbildungen entstehen, in denen vom Zentralton um mikrotonale Intervalle abgewichen wird und dergleichen.

The Exorcist

Das allein erklärt aber noch nicht, warum der Horrorfilm dann zur Domäne der Neuen Musik geworden ist. Das ist auch Persönlichkeiten wie William Friedkin zu verdanken, der sich in der Neuen Musik auskannte und in The Exorcist auf die eigens für den Film produzierte Musik verzichtete und stattdessen hauptsächlich Musik unter anderem von Penderecki, David Borden und George Crumb verwendet hat, die bereits existierte. Friedkin wollte zunächst Musik von Filmkomponisten wie Bernard Herrmann und Lalo Schifrin haben, aber im ersten Fall kam es nicht zur Zusammenarbeit und im zweiten lehnte Friedkin das Resultat ab. Er hatte ein Gespür dafür, dass eine andere Art von Musik für seinen Film nötig war und wählte dann selber die Musik aus. Seine Kenntnis der Neuen Musik war in dieser Hinsicht für das Horrorgenre prägend, wobei sogleich einschränkend hinzugefügt werden muss, dass sich Friedkin in einer bestimmten Tradition des Kinos befand, da seit den Sechziger Jahren Filmkomponisten durchaus schon auf avantgardistische Musik zurückgegriffen hatten.

Für "The Haunting" hat beispielsweise Humphrey Searle die Musik geschrieben. So gesehen war die Vorgehensweise von Friedkin ein wichtiger Schritt, aber auch kein totaler Bruch. Ich nehme an, dass dann verschiedene Filmkomponisten, welche die aktuelle Musik kannten und ihr Potential für den Horrorfilm entdeckten und ihrerseits versuchten, solcherart Musik für die Filme zu schaffen. Sie haben die expressive Verwandtschaft der beiden Kunstgenres entdeckt, auf die die Regisseure von selbst vielleicht gar nicht gekommen wären. Tobe Hooper, der sich selbst mit experimenteller Musik beschäftigte, hat hingegen die Musik für "Texas Chainsaw Massacre" selbst komponiert. Es kamen also verschiedene Faktoren zusammen, die für die Musik des Siebziger Jahre-Horrorfilms eine bestimmte avantgardistische Prägung ermöglichten.

"Plädoyer für den christlichen Glauben"

Adorno hat die These aufgestellt, dass die Neue Musik einen Gegeneffekt zu den Waren der Unterhaltungsindustrie erzeugten würde. Wird diese These durch die Verwendung Neuer Musik in den Horrorfilmen widerlegt?

Frank Hentschel: Adorno hat es sich manchmal etwas zu leicht gemacht. Man muss den Gedanken zulassen, dass sich Gesellschaftskritik nicht auf intellektuelle Kreise beschränken muss, sondern durchaus echte Breitenwirkung haben kann. Jedoch darf man auch nicht übersehen, dass es auch Horrorfilme gibt, die alles andere als gesellschaftskritisch sind oder bei denen sowohl eine emanzipatorische als auch eine konservative Rezeption möglich ist. So hat William Friedkin zu "The Exorcist" später einmal geäußert, dass der Film eigentlich ein Plädoyer für den christlichen Glauben sei und ein theologisches Argument für die Existenz transzendenter Mächte liefere. Man kann aber den Film natürlich trotzdem gesellschaftskritisch sehen, weil dieser Film ungeheuer viele Tabus bricht und inszeniert: Inzest, Sex von Minderjährigen, Kirchschändungen und so weiter. Aber vom Autor her war der Film anders gemeint. Man kann also nicht alle Horrorfilme politisch über einen Kamm scheren, sondern es ist letztendlich immer eine Frage, wie der einzelne Streifen in sich selbst funktioniert.

Inwiefern hat der Horrorfilm Religiosität zum Thema und wie wird dieser Topos filmmusiktechnisch umgesetzt?

Frank Hentschel: Beim Horrorfilm gibt es ungeheuer viele Interpretationsweisen und es stellt sich immer die Frage, welche anthropologischen und psychologischen Ursachen diesem Phänomen zugrunde liegen. Eine interessante Beobachtung hat hierzu bereits 1917 der Religionsphänomenologe Rudolf Otto in seinem berühmten Buch "Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen" geliefert. Er liefert hier keine wirkliche Erklärung für das Phänomen, äußert aber eine sehr auffällige Parallele, denn seinen Ausführungen zufolge gehören zur Erfahrung des Heiligen zwei Ingredienzien, nämlich einmal das mysterium fascinans, man ist fasziniert von dem anderen, übermächtigen Wesen, das man sich vorstellt und zum anderen das mysterium tremendum, man fürchtet sich gleichzeitig aufgrund der eigenen Kleinheit vor diesem Wesen. Otto betont, dass das Wesen für uns das schlechthin Andere ist, was wir uns in unserer Welt gar nicht vorstellen können. Interessanterweise parallelisiert er selber diesen Vorgang mit Gespenstergeschichten: Man fürchtet sich, aber man liest aufgrund der Faszination, die von diesen unerklärlichen Wesen ausgehen, natürlich weiter, und das Ganze führt auch zum ästhetischen Genuss. Die Kontrastharmonie zwischen diesen beiden Elementen spielt in Horrorfilmen eine ähnliche Rolle.

Ein Thema in Horrorfilmen ist ja immer wieder, dass Menschen darin etwas tun, was sie nicht tun sollen. Beispielsweise soll Danny in The Shining Raum 237 im Hotel nicht betreten, aber es ist ganz klar, dass er vor dessen Tür immer wieder stehen bleibt und letztendlich auch diesen Raum betritt. Er weiß, dass in diesem Zimmer etwas nicht Ordnung ist, will aber auch unbedingt sehen, was sich dahinter verbirgt. In "The Shining", aber zum Beispiel auch in "The Blair Witch Project" wird diese Neugierde und Faszination thematisiert, die auch den Rezipienten von Horror betrifft.

The Shining

Der amerikanische Philosoph Noel Carroll hat weiter den wichtigen Aspekt herausgearbeitet, dass die Motivation, sich mit dem Horror auseinanderzusetzen, aus dem faszinierenden Moment resultiert: Man will das ganz Andere, das den kulturellen Normen und den eigenen Erfahrungswerten widerspricht, kennen lernen, und die Augenblicke der Angst sind der Preis, den man dafür zu zahlen hat.

Eine andere Erklärung scheint mir in der Religion selber zu liegen: Die Religion ist der gesellschaftlich institutionalisierte und akzeptierte Aberglaube. Meines Erachtens ist der Unterschied zwischen Religion und Aberglaube eigentlich nur der, ob etwas gesellschaftlich akzeptiert und institutionalisiert ist. Und wenn etwas gesellschaftlich institutionalisiert ist, dann ist es für viele Menschen auch legitim, daran zu glauben. Wenn diese Inhalte nun in den Horrorfilmen aufgegriffen werden, könnte es sein, dass diese religiöse Haltung intensiviert wird, weil man die Dinge, die dort passieren, für gar nicht so unwahrscheinlich hält. Ein Beispiel hierfür wäre The Omen aus dem Jahre 1976. Dieser dreht sich bekanntlich um den Anti-Christen und da der religiöse Zuschauer das ganze Geschehen für realistisch halten kann, weil dort Inhalte der Bibel verhandelt werden, ist es auch möglich, dass der Film für ihn eine noch intensivere Wirkung entfaltet.

The Omen

Andererseits ist Religiosität keine notwendige Voraussetzung für den Genuss eines Horrorfilms. Schließlich entwickelt auch ein Film wie The Night Of The Living Dead seine Qualitäten und auch nichtreligiöse Menschen können auch ohne einen solchen Aberglauben von diesen Filmen fasziniert sein. Trotzdem spielt Religion im Horror eine wichtige Rolle: Viele Personen aus dem Dreh-Team von "The Omen" haben ohne jede erkennbare Ironie behauptetet, dass sie die Handlung des Films für realistisch halten und mit dem Kassenschlager eine theologische Läuterung des Publikums erreichen wollten.

Wenn man "The Omen" mit dem Anti-Christen, der aus einer Oberschichtfamilie stammt und einmal amerikanischer Präsident wird, gesellschaftlich-politisch liest, tut sich hingegen ironischerweise manch Parallele zur aktuelleren amerikanischen Geschichte auf...

Frank Hentschel: Robin Wood, einer der Interpreten, die ganz besonders immer die politischen Subtexte herausgearbeitet haben, zeigt an diesem Beispiel, dass selbst der absolute Mainstream dieser Horrorfilme oft eine sehr kritische Botschaft vermittelt. Man kann aber auch das Ende von "The Omen" anders, nämlich als Moralstück, interpretieren, als Kritik an der amerikanischen Kultur und insbesondere der Politik. Hinter dem politischen System stecke, so würde die Kritik dann lauten, der Teufel. Beim Film mag es sich also ebenso um einen Aufruf zu einem noch konservativeren, altmodischeren und stärker religiösen Staat handeln. Die Kritik lässt sich demnach genauso von rechts lesen. Immerhin hat es mit Reagan nicht mehr lange gedauert, bis tatsächlich ein Rechtsschwenk in der amerikanischen Politik vollzogen wurde. Die Kritik am politische System der USA in diesem Film kann man tatsächlich sowohl rechts wie links interpretieren, und vielleicht kommt man hier auch gar nicht weiter, sondern muss diesen Sachverhalt einfach nur konstatieren.

Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt zur Religion anreißen, nämlich die starke Affinität zwischen Religion und Gewalt, die im Horrorfilm auch dargestellt wird - ganz deutlich und explizit in God Told Me To von Larry Cohen, einem Film, den ich persönlich ganz großartig finde. Sowohl die Kriege zwischen unterschiedlichen Religionen als auch die Inhalte religiöser Texte, wie beispielsweise die Kreuzigung und die Kirchengeschichte mit ihren Häretikerverfolgungen und Hexenverbrennungen, zeigen das erhebliche Potential der Religion zur Gewalttätigkeit. Ohne dies schlechthin verallgemeinern zu wollen, muss man sehen, dass Religionen über die Jahrhunderte mit Ursache von Gewalt waren und Gewalt in Form von Opferriten und so weiter auch Inhalt von Religion ist. Das greifen Horrorfilme auf.

God Told Me To

In "The Omen" werden von dem Komponisten Jerry Goldsmith bei der musikalischen Umsetzung Texte und Inhalte aus den christlichen Riten, wie zum Beispiel der Kommunion, sowie Chöre und Orgeln verwendet und durch winzige Manipulationen der Texte wie auch der Musik, etwa durch die Hinzunahme ganz tiefer Bässe, Musik für eine schwarze Messe kreiert. Dadurch wird deutlich, dass es von der christlichen Feier zu einer schwarzen Messe im Grunde nur ein winziger Schritt ist. Der Horrorfilm versucht also zum Teil auch, das Gewalttätige und Grausame der Religion nach vorne zu kehren.

Ab den 80er Jahren wurde Musik in Horrorfilmen nicht mehr dazu verwendet, um aus der Diskrepanz zwischen Musik und Szene eine gewisse Spannung zu erzeugen, sondern die Musik wurde als einfacher Gefühlsverstärker benutzt. Welche Gründe hierfür gibt es für diese künstlerische Verschiebung und kann man dahinter wieder politische, kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen ausmachen?

Frank Hentschel: Erst einmal muss betont werden, dass die Feststellung nur tendenziell und nicht flächendeckend richtig ist. Schließlich gab es auch in den Achtziger Jahren noch Filme, welche die Tradition aus den Siebzigern fortgeführt haben und in manchem Siebziger Jahre-Film wurde mood music unmittelbar eingesetzt. So wurde beispielsweise in den Liebesszenen von "The Omen" und Szenen, die die heile Welt schildern, entsprechend sanfte Musik verwendet. Auch verstärkt die Musik in Horrorfilmen grundsätzlich Gefühlszustände, ist also meistens mood music. Auch die Musik von "The Texas Chainsaw Massacre" tut dies. Es ist nur so, dass der Film von Anfang bis Ende das Abstoßende, Grausame und Kalte der Zivilisation thematisiert und die Musik auch in den Szenen, die vordergründig Zufriedenheit ausstrahlen, an diesem grausamen Element haften bleibt. Die Musik zielt auch hier auf Unterstützung eines Gemütszustandes, nur soll der Zuschauer einen anderen Gefühlslage haben als die Darsteller. Die Musik soll deutlich machen, dass die - zugegeben ganz wenigen - harmonischen Bilder im Film Trug sind.

Hier besteht der Unterschied zu "The Omen" und vielen Horrorfilmen in den Achtziger Jahren, in denen diese Differenz nicht so stark aufgebaut wird. Da spiegelt die Musik meistens direkter die Gefühle der Protagonisten. Dies hat wiederum viele Hintergründe. Einesteils hat dies mit der von mir mit aller Vorsicht als "postmodern" bezeichneten Wende des Horrorfilms zu tun: Viele Horrorfilme nehmen sich nicht mehr ganz so ernst, es findet eine ironische Brechung statt, die ihnen zugleich die Schroffheit nimmt und dementsprechend kann die Musik dazu nicht mehr so ruppig sein. In dem Film The Reanimator wird dies zum Beispiel sehr deutlich. Der Komponist dieses Films hat ausdrücklich gesagt, dass er Komik in die Musik hineinbringen wollte, und es ist klar, dass man dann nicht mehr Penderecki verwenden kann.

The Reanimator

Inwieweit man dies mit den gesellschaftlichen Veränderungen direkt zusammenbringen kann, ist schwer zu sagen. Andererseits ist ganz zu Recht darauf hingewiesen worden, dass viele Teenage-Horrorfilme der Achtziger Jahre - ein Subgenre, das es so in den Siebzigern noch gar nicht gab - eine Sexualmoral vermitteln, die eigentlich die der sexuellen Revolution in den Siebziger Jahren unterminiert. Ein Handlungsmuster dieser Horrorfilme ist, dass die jungen Menschen Sex miteinander haben und danach der Slasher kommt und sie dafür bestraft. Man hat richtig darauf hingewiesen, dass in dem Klassiker dieses Genres, in John Carpenters Halloween aus dem Jahr 1978, die von Jamie Lee Curtis dargestellte Hauptprotagonistin, die eine Außenseiterin ist, die keinen Freund und nie Sex hat, als Einzige überlebt. Ich würde diese Interpretation nicht zu schematisch anwenden, aber dieses Motiv spielt unbestreitbar ein Rolle und spiegelt auch eine gewisse gesellschaftliche und politische Wende in der Ära Reagan wieder. Zugleich nimmt das den Filmen etwas von der Schärfe, die sie in den Siebziger Jahren besessen haben, als zumindest nach meiner Wertung eine Stärke gerade darin bestand, dass diese Filme eigentlich moralisch neutral sind. Das heißt, sie schildern moralische Dilemmas, aber sie geben keine Antworten. In den Achtziger Jahren ändert sich das. Tendenziell kann man schon feststellen, dass die neuen Horrorfilme nicht mehr den gleichen gesellschaftlichen und politischen Sprengstoff wie in den Siebzigern beinhalten und zum Teil eher hübsche Moralschemata reproduzieren.

Welche kritische, didaktische Intention ist den von Ihnen analysierten Horrorfilmen zueigen und wie verhält sich diese zu denen anderer populärer Filmgenres?

Frank Hentschel: Was ich für eine echte Stärke von Horrorfilmen wahrgenommen habe, ist, dass sie Probleme aufwerfen, ohne eine Antwort oder Handlungsanweisungen zu geben. Ein Negativbeispiel hierzu ist der ansonsten gut gemachte Streifen 28 Days Later, in dem eine ganz zentrale Handlungsanweisung das Gebot der Nächstenliebe ist, um die Zeiten des Unheils zu überleben. Das sagt ausgerechnet die jüngste Protagonistin, von der ich sogar annehme, dass sie eine Jungfrau sein soll. In dem Moment, wo alles zusammenbricht, wird Charles Gounods "Ave Maria" eingeblendet. Das ist eine so platte, direkt moralische Aussage, die meiner Meinung nach nicht besonders lehrreich ist. Ich finde es viel lehrreicher, wenn ein Film vor den Kopf stößt und das eigene Nachdenken in Gang setzt. Der Film, der dies exemplarisch gut meistert, indem er Kritik an der westlichen Zivilisation äußert, aber die Lehre aus dieser sehr expressiv dargestellten Befindlichkeit dem Zuschauer überlässt, ist "The Texas Chainsaw Massacre". Man kann dies didaktisch nennen, aber nur vor dem Hintergrund, dass daraus keine unmittelbare Handlungsanweisung oder Lösung wie eben das Gebot der Nächstenliebe in "28 Days Later" erwächst. Aber ich will hier auch nicht zu sehr idealisieren: Es gibt Filme, die gar keine offensichtliche politische Aussage haben und die ich persönlich trotzdem hervorragend finde.

Drag Me To Hell

Ein ganz frisches Beispiel: Drag Me To Hell ist einer der Filme aus jüngerer Zeit, die mich sehr begeistert haben, obwohl man nach gesellschaftlichem und politischem Sprengstoff vergeblich sucht. Es gibt also nicht nur eine politische Interpretation, welche die Horrorfilme der Siebziger und Achtziger Jahre nahe legen, wobei man letztere in ihren Aussagen vielleicht etwas negativer beurteilt, sondern eben auch eine anthropologische Seite des Horrors, die in dem handwerklich großartig gemachten Film zum Tragen kommt. Man kann nicht in allen Horrorfilmen, auch guten Horrorfilmen, eine politische Dimension nachweisen. Aber nach wie vor ist es bei einem Film wie "Texas Chainsaw Massacre" so, dass ganz wesentlich diese zur ästhetischen Erfahrung dazugehört. Ich könnte mir den Film ohne diese Doppeldeutigkeit nicht vorstellen. So habe ich auch in meinem Buch argumentiert: Man kann die Frage, was eigentlich Horror ist, zumindest in den meisten Filmen der Siebziger Jahre nicht vom politische Subtext trennen. Es gibt aber trotzdem Filme wie "Drag Me To Hell", in denen dies sehr wohl getrennt ist und die deshalb noch längst keine schlechten Filme sind.

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