Autoren, noch eine Anstrengung, wenn ihr frei sein wollt!

Den klassischen Verlagen stehen schwierige Zeiten bevor: Ihre Haltung gegenüber dem digitalen Buch lässt etliche Autoren darüber nachdenken, ob es nicht auch ohne Verlag ginge

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Inhalts-Schaffende sind in der Regel arme Säue, die gegenüber den Content-Vertreibern oft als Bittsteller auftreten. In der Buchbranche ist das nicht anders. Zehntausende von Manuskripten streiten sich um eine der wenigen "freien Stellen" in den jeweiligen Verlagsprogrammen. Die wenigsten davon sind veröffentlichungsreif, aber auch bei hervorragenden Büchern stehen die Chancen schlecht, wenn sie nicht den Trend bedienen. Das Thema ist dabei meist wichtiger als die Qualität, wenn es um einen Programmplatz geht.

Die Eröffnung des Amazon-Kindle-Stores in diesem Jahr hat bei etlichen Autoren für eine Initialzündung gesorgt, denn nun steht es jedem Schreibenden frei, selbst ein Buch digital zu veröffentlichen. Ohne ISB-Nummer, ohne Kosten. Dafür schüttet Amazon im Vergleich zum klassischen Verlag üppige Tantiemen für jeden Verkauf aus. Das Angebot reizt nicht nur Autoren, die bisher keinen Verlag gefunden haben.

Um die Revolution zu verstehen, muss man sich ansehen, wie das Zusammenspiel im Buchmarkt funktioniert. Buchhändler wie Thalia und Amazon haben eine ungeheure Macht erlangen können. Am Zwischenhändler Libri führt für Verlage, die in der Masse verkaufen wollen, kein Weg vorbei. Zwischen Autor und Verlag haben sich Literaturagenturen in Deutschland etablieren können, die eine prozentuale Beteiligung am Autorenhonorar abzwacken und in der Regel bessere Konditionen aushandeln können – trotzdem kaufen Publikumsverlage bevorzugt bei Agenten ein, schließlich übernehmen sie eine Vorauswahl und bieten das an, was in das Verlagsprogramm passt. Das spart dem Verlag Zeit und damit Geld. Teilweise lassen Agenten auch nachgefragte Stoffe von ihren Stammautoren verfassen.

Was in den letzten Jahren auf der Strecke blieb, ist der Verlag als Marke. Die Verlegerpersönlichkeit stand einst dafür. Heute ist diese mythische Gestalt fast nur noch in Kleinstverlagen anzutreffen. Wo das Profil verschwindet, wird der Verlag austauschbar. Tatsächlich ist die Fluktuation der Autoren höher als früher, das Programm nicht mehr auf den Schriftsteller fixiert, sondern auf den Inhalt. Agenten halten zum Beispiel Autoren dazu an, lediglich ein Genre-Segment zu bedienen. Für ein anderes Segment muss im Zweifelsfall ein Pseudonym her.

Diese Entwicklung weicht die Verlage als wahrnehmbare Vermittler auf. Was hindert eigentlich Literaturagenten daran, ihre Autoren auf dem eBook-Markt selbst herauszubringen? Dass der Gedanke nicht so abwegig ist, zeigte 2010 die Abmachung zwischen Amazon und der Wylie Literaturagentur. Es standen die eBook-Ausgaben moderner Klassiker von Borges bis Nabokov zur Disposition, denn die (alten) Autorenverträge schlossen die Rechte für digitale Ausgaben nicht ein. Der Verlag Random House intervenierte sofort, sprach von der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses.

Letztlich war dies nicht mehr als ein Warnschuss, denn die größte Gefahr droht den Verlagen nun vom bisher meist schwächsten Glied in der Kette: dem Autor. Veröffentlichung und Vertrieb übernimmt Amazon, an jedem verkauften Kindle-Buch nimmt der Schriftsteller bis zu rund 60 Prozent vom Verkaufspreis ein. Die Abrechnung ist transparent, jeder Verkauf nachvollziehbar. Einige Nachteile muss man derzeit noch in Kauf nehmen. Der Autor erhält keinen Vorschuss, profitiert nicht vom Verlags-Renommee. In der Regel hat er keine direkten Kontakte zu Literaturkritikern und muss sich um Titel und Gestaltung selbst kümmern. Ein weiteres Problem ist das Lektorat, das mit hohen Kosten verbunden ist, wenn es professionell sein soll. Die derzeitigen durchschnittlichen Erlöse im eBook-Bereich spielen diese Kosten kaum ein. Die technische Umsetzung als eBook ist dagegen selbst für Computerlaien kein Problem.

Wer jetzt an BoD denkt und meint, die Entwicklung würde sich beim eBook vergleichbar gestalten, irrt. Das größte Problem bei Book on Demand ist der einzelne Druck des Buches auf Anforderung, was den Preis gegenüber dem in großer Auflage gedruckten Buch enorm verteuert. Und warum sollte man mehr Geld für ein Buch eines unbekannten Autors ausgeben, als für ein zumindest handwerklich ausgereiftes Verlagsprodukt? Beim eBook hat sich das umgekehrt: Autoren können ihre Werke im Kindle-Store ab 99 Cent anbieten, weit unter dem Preis, den große deutsche Verlage derzeit für eBooks verlangen. Das eröffnet Spielräume. Erste Erfolge von Independent-Autoren sind nicht nur in Amerika zu beobachten. Der Weg vom erfolgreichen eBook zum gedruckten Buch ist dann nicht mehr weit, aber der Autor tritt dann nicht mehr als Bittsteller gegenüber dem Verlag auf, sondern hat die Option auf einen zusätzlichen Vertriebsweg.

Bis ein Neuautor einen Verlag gefunden hat, vergeht in der Regel viel Zeit – wenn es denn überhaupt klappt. In Zukunft könnten sich Neuautoren vermehrt dafür entscheiden, sich erst im digitalen Bereich etablieren zu wollen und auf Manuskriptverschickung verzichten. Bis dahin lässt sich das erste Geld aus digitalen Verkäufen verdienen.

Letztlich braucht es dann nur noch eine Anstrengung auf dem Weg zum freien, unabhängigen Schriftsteller: ein verdammt gutes Buch zu schreiben.