Ein Plot namens Chevrolet

USA: Ein obskurer Anschlagsplan auf den saudischen Botschafter mobilisiert Erregungen und Anklagen und verstärkt den Konfrontationskurs gegenüber Iran

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Keiner will den Plot vom geplanten Anschlag auf den saudischen Botschafter in den USA so recht glauben. Dass "sie" - gemeint sind Männer iranischer Herkunft mit Verbindungen zu einem mutmaßlich ranghohem Mitglied der al-Quds-Brigade - versucht hätten, über ein mexikanisches Drogenkartell einen Killer anzuheuern, mit dem Auftrag den saudischen Botschafter auf amerikanischen Boden aus der Welt zu schaffen, ist auch für die US-Außenministerin Hillary Clinton Anlass für Zweifel, allerdings der rein rhetorischen Art: "Nobody could make that up, right?"

Nachdem sie kurz die Angelrute Richtung Common Sense ausgeworfen hat, fährt sie mit einer weit ausgreifenden Schlussfolgerung fort, die Verantwortung liege nicht nur bei den Verdächtigen und ihrem Mittelsmann in Iran, sondern bei der Führung des Landes selbst : Der Plot überschreite eine Linie, wofür Iran zur Verantwortung gezogen werden müsse: "The plot 'crosses a line that Iran needs to be held to account for'".

Äußerungen von anderen US-Vertretern gehen in eine ähnliche Richtung: Iran sei für den Mordplan verantwortlich, der, ausgeführt an einem öffentlichen Ort, einem Restaurant, viele Unbeteiligten das Leben gekostet hätte. Was, so zitieren Medien Ermittler, nach Aussagen eines der Verdächtigen in Kauf genommen worden wäre, "no big deal".

Wäre das eingetreten, käme das einer Kriegserklärung gleich und würde so behandelt werden, so die Einschätzung des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Robert Baer. Von ihm kommen auch die deutlichsten Worte zum Anschlagsplot, dem man den Code-Namen "Chevrolet" gegeben hat:

This stinks to holy hell. The Quds Force are very good. They don't sit down with people they don't know and make a plot. They use proxies and they are professional about it. If Kassim Suleimani was coming after you or me, we would be dead. This is totally uncharacteristic of them.

Man reibt sich in der Tat erstaunt die Augen, wie eine derart obskure Geschichte zu einer schwergewichtigen Anklage gegen die Führung des Iran heraufbeschworen wird, ist doch die Rede von neuen verschärften Sanktionen und einer härteren Gangart, die ja weiträumiger angelegt ist als nur ein Gerichtsverfahren gegen die Verdächtigen, von denen einer nach Angaben der New York Times festgenommen ist und ein anderer auf der Flucht. In der großen Erregung, von Medien reichlich ausgebeutet und verstärkt, wird nebenbei suggeriert, dass mit dem Plan bekräftigt wird, was man jahrelang noch nicht beweisen konnte: die Entwicklung einer iranischen Atombombe. Ein Beispiel für diese suggestive Argumentationsführung, dargereicht von CBS-News:

Clinton and other U.S. officials said the alleged plot is a gross violation of international law and further proof that Iran is the world's leading state sponsor of terrorism, a label Washington has for decades applied to the Iranian government. The officials said it also underscores concerns that despite its denials Iran is trying to develop nuclear weapons under cover of a civilian atomic energy program.

Ian Fleming, Erfinder der James Bond-Plots, hätte sich die Basis für diese Erregung nicht ausgefallener ausdenken können: Ein Gebrauchtwagenhändler iranischer Herkunft, der die Tante eines Undercoveragenten der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA kennt, spricht diesen, den er für ein Mitglied des mexikanischen Drogenkartells Los Zetas hält, auf einen Auftragsmord an. Ziel ist der saudische Botschafter al-Jubeir. Laut New York Times soll die Rede gar von "terrorist attacks inside the United States" gewesen sein.

1,5 Millionen Dollar wurden für den Deal, Jubeir in einem Restaurant in Washington zu töten, ausgemacht. Der Gebrauchtwagenhändler namens Arbabsiar fliegt später in den Iran, von wo aus er etwa 100.000 Dollar auf das Konto des Undercoveragenten überweist, als Vorschuss, der Rest wurde nach Erledigung des Auftrags versprochen. Arbabsiar, der von Iran nach Mexiko fliegen will, als eine Art menschliches Pfand, um sicherzustellen, dass der angebliche Killer von Los Zetas auch tatsächlich die ganze Summe erhält, wird nicht in das Land gelassen. Auf einem amerikanischen Flughafen wird er dann verhaftet.

Das FBI, das die Vorgänge beaufsichtigt haben soll, behauptet, man habe Gespräche, die über den "Plot" mit Personen, im Iran geführt wurden, abgehört und man habe eindeutige Beweise dafür, dass das überwiesene Geld von einem al-Quds-Konto stamme. Zudem seien Arbabsiar und dessen Helfer, sein Cousin, in Iran mit einem Mann namens Gholam Shakuri in Kontakt gestanden, der für den Auftrag verantwortlich war und der zur Führung der al-Quds-Brigaden gehöre.

Laut US-Justizminister Eric H. Holder, der den "Chevrolet"-Anschlagsplan an die Öffentlichkeit gebracht hat, gibt es keinen Zweifel daran, dass die Sache von Mitgliedern der iranischen Regierung und im Besonderen von führenden Mitgliedern der al-Quds "geleitet und bewilligt" wurde.

Das wirft einige Fragen auf, zum Beispiel danach, warum der ansonsten angeblich so hochprofessionell operierende Zweig der Revolutionären Garden derart deutliche Spuren gelegt hat. Wie Robert Baer etwa zu Bedenken gibt, arbeiten die Garden bei Operationen im Ausland gewöhnlich über Schattenmänner und würden Geld niemals über eigene Konten überweisen lassen, da doch bekannt sei, wie sehr die amerikanischen Behörden auf Geldüberweisungen aus dem Iran mit höheren Summen achten würden. Diese "schlampige Arbeit" sei nicht der modus operandi der Revolutionären Garden.

Ungeklärt bleibt bislang auch die Frage, weshalb die iranische Regierung angesichts des Kalten Krieges mit den USA solche Risiken eingehen würde, um den saudischen Botschafter al-Jubeir zu töten. Zwar wird heute in vielen Berichten aus der von WikiLeaks veröffentlichten Depesche aus dem Jahr 2008 zitiert, wo al-Jubeir als Befürworter eines Krieges gegen Iran auftritt, allerdings im Namen des saudischen Königs, dessen mittlerweile berühmtes Zitat vom Kopfabschlagen der Schlange er wiedergibt:

Al-Jubeir recalled the King's frequent exhortations to the US to attack Iran and so put an end to its nuclear weapons program. "He told you to cut off the head of the snake," he recalled to the Charge', adding that working with the US to roll back Iranian influence in Iraq is a strategic priority for the King and his government.

Reicht das als Motiv? Zu Spekulationen auf jeden Fall: Für den Betreiber des Nahost-Blogs "Informed Comment", Juan Cole, ist die plausibelste die, dass nicht die iranische Regierung hinter der seltsamen Geschichte steckt, sondern ein iranisches Drogenkartell, das um die Sicherstellung der Handelswege zwischen Afghanistan, Iran und den Abnehmerländern besorgt war ( Is an Iranian Drug Cartel Behind the Assassination Plot against the Saudi Ambassador?).

Offizielle iranische Stellungnahmen zur Sache Chevrolet sprechen von einem "vorfabrizierten Szenario". Was man bislang über den Plot und seine Hintergründe erfahren hat, macht es jedenfalls leichter, an eine Fabrikation zu glauben, was die Verbindung zur iranischen Regierung angeht. Es wäre ja nicht das erste Mal.