Die Drachme als Zweitwährung

Eine Komplementärwährung könnte Griechenland ermöglichen, in der Euro-Zone zu bleiben und einen Staatsbankrott zu vermeiden

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Dass der griechische Staat seine Schulden vollständig zurückbezahlt, gilt inzwischen als nahezu ausgeschlossen, auch wenn die deutsche und französische Politik dies bislang anders kommunizieren. Zurecht, denn ein vorzeitiges Eingeständnis würde nur mehr Chaos auslösen und die Vorbereitungen auf gesteuerte Maßnahmen stören. Ein Schnitt durch die Schuldenlast gilt als Pleite, als Staatsbankrott, der nicht nur die Reputation des Schuldners zerstört, sondern im Fall Griechenlands auch eine Kettenreaktion im europäischen Bankensystem auslösen könnte. Von den Auswirkungen auf die griechische Wirtschaft selbst ganz zu schweigen. Der große europäische Topf ESFS wird derzeit gefüllt und auch die Hemmungen in der Slowakei werden daran nicht viel ändern. Doch was passiert dann? Die griechische Wirtschaft ist damit längst nicht über den sprichwörtlichen Berg, vielmehr ist sie durch die Sparmaßnahmen des Staates gebeutelt, auf dessen Ausgaben sie sich viel zu intensiv verlassen hat.

Die Diskussion zwischen den Anhängern der Forderung nach einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone und den Vertretern eines "zwanghaften Drinbleibens" des Landes im Euro ist eine typische Entweder-oder-Diskussion. Eine Sowohl-als-auch-Option wird in jüngster Zeit in den Nischen der Geldtheorien diskutiert: Die Idee, dass Griechenland sowohl den Euro wie auch eine neu zu schaffende Drachme nutzt.

Unter dem Titel Mit einer Komplementärwährung kann Griechenland abwerten und trotzdem in der Euro-Zone bleiben argumentieren Ludwig Schuster und Prof. Margrit Kennedy in der Zeitschrift für Sozialökonomie, dass Griechenland sich für den innerstaatlichen Handel eine eigene Währung gibt, jedoch parallel dazu den Euro für den Außenhandel und besondere Transaktionen im eigenen Wirtschaftsraum nutzt. Daraus, so Schuster und Kennedy, ließe sich auch die Idee Europa neu beleben:

Eine Komplementärwährung würde es Griechenland und jeder anderen wirtschaftsschwachen Region erlauben, die eigene wirtschaftliche Situation anzupassen und dennoch in der Währungsunion zu verbleiben. Das Prinzip der Subsidiarität und die ehrenvolle Vorstellung eines "Europas der Regionen" - bis heute nicht viel mehr als leere Phrasen - würde wieder an Leben gewinnen, zumindest in monetärer Hinsicht.

Die Autoren verweisen darauf, dass in Großbritannien ebenfalls unterschiedliche Pfund-Noten von jeweils unabhängigen Zentralbanken in England, Schottland, Wales und Nordirland sowie in den britischen Übersee-Gebieten unterwegs sind und trotzdem als gemeinsames Zahlungsmittel funktionieren. Wäre sowas nicht auch für den Euro denkbar?

Zwei Wege schlagen sie zur Umsetzung vor:

  • Die Umwandlung der aktuellen Euro-Giralgeld-Bestände in Komplementärguthaben
  • Den Aufbau einer neuen komplementären Währung ähnlich dem Schweizer WIR

Da die plötzliche "Umwidmung" von Euro-Notierungen in Drachme-Notierungen die Flucht aus dem Giralgeld in "harte Bargeld-Euro" beschleunigen würde, sobald er bekannt wird (Stichwort: Griechen-Milliarden in der Schweiz), ist der erste Weg durchaus kritisch zu sehen, wenngleich eine Diskussion wert. Die Autoren machen sich mit diesem Vorschlag zunutze, dass das in Geschäftsbanken existierende Giralgeld auf den Girokonten kein Zentralbankgeld ist, sondern auf diesem basierendes Geschäftsbankengeld - was auch von diesen per Buchung geschöpft wird. Ein Wechselkurs zwischen diesem Giralgeld und dem Zentralbankgeld der EZB innerhalb Griechenlands wertet die griechischen Giralgeldbestände gegenüber den Euros der restlichen Euro-Zone ab, was positive Impulse in die griechische Wirtschaft sendet aber auch einem Vermögensschnitt für die Griechen nahekommt.

Die WIR-Bank dürfte mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung - sie wurde in den 1930ern gegründet - sicherlich ein interessanter Gesprächspartner für ein vom Euro unabhängiges System sein. Das System gilt als antizyklisch wirkend: Wenn der Schweizer Franken (CHF) ein Problem bekommt, laufen mehr Geschäfte in WIR (CHW) und umgekehrt. Eine Teilnahme an diesem System ist freiwillig und beschränkt sich derzeit auf Verrechnungen zwischen Unternehmen, Privatpersonen sind außen vor. Der WIR ist auch kein Steuertilgungsmittel. Beides könnte in Griechenland anders sein, wie auch folgender Vorschlag zeigt.

Mehrschichtiges Währungssystem. Bild: Regionalwährung.de

In der taz argumentiert Arno Gahrmann, Professor für Finanz- und Rechnungswesen an der Hochschule Bremen, ebenfalls für die Drachme als Zweitwährung. Nach seinen Vorstellungen würde das nichtkonvertible Zahlungsmittel der Staat durch Zahlungen für seine laufenden Kosten in die Welt bringen:

Eine solche "Neue Drachme" käme als anteilige Zahlung des Staats bei Gehältern und inländischen Rechnungen auf den Markt und würde staatliche Euroguthaben für Importe und den Schuldendienst schonen.

Dass das neue griechische Geld nur in Griechenland akzeptiert würde, sieht er als Vorteil, würde damit doch die Nachfrage nach heimischen Gütern stimuliert:

Zu Anfang wird die geringere Euroverfügbarkeit den Erwerb schicker Importwaren spürbar einschränken - so werden zweifellos die meisten Griechen ihr Auto länger fahren müssen. Dies spart aber der Volkswirtschaft Milliarden von Euro und schafft Arbeit und höhere Effizienz in den Werkstätten.

Ein ganz ähnlicher Vorschlag kommt von dem Juristen Eckhard Behrens, der darüber hinaus dafür plädiert, Geldhaltegebühren auf Bargeld ebenso wie auf Giralgeld zu erheben, um den Geldumlauf zu beschleunigen.

Auch im englischsprachigen Raum werden "multi-level-currencies" für Griechenland diskutiert: James Skinner von der new economics foundation (nef) verweist wie Schuster und Kennedy auf WIR und spricht sich ähnlich wie Gahrmann dafür aus, die Notenbank solle dem Staat benötigtes Geld für inländische Ausgaben nicht durch Kredit, sondern in Form eines Vollgeldsystems bereitstellen. Die Funktion der griechischen Banken würde sich künftig auf die von Geldvermittlern beschränken, was die Geldschöpfungsmöglichkeiten der Geschäftsbanken beschneidet. Klar ist ihm, dass dies Proteste aus dem Bankensektor hervorrufen würde, liegt im Bereich der verzinsten Geldschöpfung doch eine der großen Einnahmequellen der Branche.

Unklar ist bei diesen Vorschlägen, die dem Staat quasi schuldfrei Geld verschaffen, wie vertrauenswürdig die Staatslenker tatsächlich sind und wie ihre Möglichkeiten, diese Geldschöpfung zu missbrauchen, eingeschränkt werden. Die Idee der Abwertung des Giralgeldes auf griechischen Konten vertreten auch Biagio Bossone und Abdourahmane Sarr. Sie sehen darin die Chance, sowohl das staatliche Defizit als auch die aufkommende Wirtschaftskrise in Griechenland anzugehen.

Chancen eines neuen monetären Systems

Ein von offizieller Seite umgesetzte Einführung einer Zweitwährung hätte zweifellos andere Qualitäten als die Selbsthilfe, die auf Vereinsbasis auch in Griechenland in Gang kommt und vergleichbar mit den meisten Regionalwährungen im deutschsprachigen Raum ist. In der griechischen Hafenstadt Patras nutzen nach Recherchen der Welt inzwischen 2300 Einwohner ein Verrechnungssystem namens Ovolos. Über ein Online-System verrechnen die Teilnehmer untereinander erbrachte Leistungen - ein Währungssystem in kleinem Maßstab, in dieser Größenordnung vergleichbar mit einem Tauschring.

Doch was passiert, wenn, ausgelöst durch die Sparmaßnahmen des Staats, der Unternehmen und der Familien sowie durch die Verunsicherung der Menschen (Finanzkrise macht die Griechen krank) sich die Geldflüsse in Euro merklich verkleinern und damit die Wirtschaft in eine deflationäre Abwärtsspirale kriselt? Dann ist es wahrscheinlich, dass allein schon zum Selbsterhalt alternative Zahlungsmittel die Bühne betreten werden.

Die derzeitigen Maßnahmen der Politik zur "Rettung Griechenlands" sind überwiegend der Kategorie "Feuer löschen" zuzuordnen. Die langfristigen Probleme, die mit riesigen Währungsräumen, den herkömmlichen Steuerungsmechanismen der Geldpolitik und der dogmatischen Exportpolitik einhergehen, werden derzeit nicht diskutiert. Das gilt auch für die Zusammenhänge zwischen Geldvermögenswachstum und Geldschuldenwachstum (Der schleichende Tod einer Währung). An den Stammtischen gilt der arbeitsscheue Grieche als Problem, die dauerhaften Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands sind jedoch an den Ungleichgewichten in der Euro-Zone ebenfalls tatkräftig beteiligt. Die Verschuldungstendenzen, die den heutigen Geldsystemen systemimmanent sind, werden auch nicht dadurch gelöst, dass man den ESFS "hebelt", sie verschieben die unvermeidliche Aufrechnung von Geldschulden und Geldvermögen nur dadurch in die Zukunft, dass mit der neuen Europäischen Finanzaufsichtsbehörde ein weiterer gigantischer Nachschuldner entsteht.

Die Idee der Drachme als Zweitwährung öffnet zuerst einmal neue Wege der Diskussion, um aus der offensichtlichen Denk-Sackgasse der politischen Entscheider auszubrechen. Neben all dem Bankenretten, Einlagensichern und Eurostabilisieren zeigt sich ein weiterer Weg, der gegangen werden kann, wenn es darum geht, den griechischen Europäern Wege zu einem gesunden Wirtschaftsleben aufzuzeigen. Zugleich würde ein grundsätzlich neues monetäres System durchdacht, (demokratisch?) entschieden und ausprobiert, bei dem man sich nicht auf eine Währung festlegt, sondern die Monokultur der Währungen überdenkt.

Eine eigenständige Geldpolitik wäre wieder möglich, zur griechischen Wirtschaft passende Zinssätze ebenso wie eine Abwertung gegenüber anderen Währungen. Auch andere Formen der Geldschöpfung oder der "Konfiguration" des Systems wären ausprobierbar, ganz im Sinne der Idee der Evolution auch im Wirtschaftsbereich: Immer mehr Menschen meinen, dass das heutige System in einer Sackgasse steckt, eine Weiterentwicklung des Finanz- und Wirtschaftssystems würde inzwischen sicherlich breite Zustimmung überall in Europa finden.