"Wir brauchen die Nachladefunktionen"

Trojaner: Innenminister Friedrich verharmlost die rechtlichen Grenzen der Überwachung und will verschärfen

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Der CCC habe nichts aufgeklärt, sondern nur dem Chaos in seinem Namen alle Ehre gemacht - dies sind die Auftaktworte des deutschen Innenministers Hans-Peter Friedrich in einem Interview mit der heutigen Frankfurter Sonntagszeitung, in dessen Verlauf er mit Vorgaben der Verfassung Slalom fährt.

Mit den Worten "Man kann ja auch anderer Auffassung sein als ein Landgericht" verteidigt das CSU-Mitglied das Anfertigen von 60.000 Screenshots, die vom bayerischen LKA zusätzlich zur Quellen-TKÜ angefertigt wurden und in den Ermittlungsakten landeten. Das Landgericht Landshut hatte im Januar dieses Jahres gegen eine solche Ausweitung der Überwachung der Telekommunikation entschieden (PDF):

Auch insoweit sind nur solche Maßnahmen zulässig, die der Überwachung der Telekommunikation dienen und die für die technische Umsetzung der Überwachung zwingend erforderlich sind. Unzulässig sind die Durchsuchung eines Computers nach bestimmten auf diesem gespeicherten Daten sowie das Kopieren und Übertragen von Daten von einem Computer, die nicht die Telekommunikation des Beschuldigten über das Internet mittels Voice-over-IP betreffen.

Für Innenminister Friedrich ist in der Frage allerdings nicht das Gerichtsurteil entscheidend, sondern die Auffassung der bayrischen Staatsregierung (dessen Ministerpräsident er letztlich auch den Kabinetts-Posten in Berlin verdankt) : "Die Bayerische Staatsregierung sagt, es sei erlaubt."

Ein seltsames Politikverständnis. Zuvor hatte der Innenminister, der über die Einhaltung der Verfassung zu achten hat, im Gespräch betont, dass die Rechtslage für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung eindeutig sei, es gebe "keine rechtliche Grauzone". Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, so erklärt Friedrich, sei letztlich nichts anderes als eine modernisierte Telefonüberwachung, "angepasst an die neuen technischen Bedingungen des Internetzeitalters" und neue Arten des Telefonierens.

Mit solchen Reduktionen steht Friedrich ganz in der Tradition dessen, wie CSU-Politiker viele Jahrzehnte lang den Wählern in den Ortsvereinen, am Kirchplatz und in den Wirtshäusern die Wirklichkeit und den "gesunden Menschenverstand" der Partei nahe brachten. Dass sich Friedrich auf solche Vereinfachungen gut versteht, demonstrierte er schon beim Amtsantritt, wo er den Islam in Deutschland in keiner "Historie" belegt finden wollte. So klingt das, wenn man gebildet sprechen will und wenig Ahnung hat.

Nun sind die technischen Möglichkeiten der Computer-Überwachung ein anspruchsvolles Feld, in dem Kenner der Materie in der Politik erst nachwachsen. Möglicherweise ist Friedrich der Auffassung, das Verhältnis zwischen Kennern und Nicht-so-richtig-Bescheid-Wissern könnte in der Öffentlichkeit ähnlich aussehen. Das wäre zumindest eine weitere Erklärung dafür, dass er im Interview den Naiven gibt und so tut, als ob es sich bei den Trojanern, die bundesweit 100 Mal eingesetzt wurden, nur um eine upgedatete Version der Telefonüberwachung handelt.

Dass er aber nicht so naiv ist, wie er sich stellt, wenn es, wie oben geschildert, um Fragen geht, wo sich Behörden gezielt über das Recht hinwegsetzen, zeigt die Antwort des Innenministers auf die Frage nach den Nachladefunktionen, welche die Überwachungssoftware zu weitaus mehr befähigt als nur zum Abhören - und zu dem, was das Grundgesetz erlaubt:

Wir brauchen diese Nachladefunktionen, um uns den normalen Updates auf dem Zielcomputer anpassen zu können.

Zwar verschleiert und verharmlost Friedrichs auch hier - wer glaubt, dass es nur um Anpassungen an normale Updates auf dem Zielcomputer geht, ist weltfremd -, aber er räumt mit dieser Antwort ein, dass es um mehr geht als um eine Art "Telefonüberwachung", die er in seinen anderen Antworten suggerierte.

Friedrich spielt Rumpelstilzchen. Er tut dabei so, als würden die Vorgaben des Grundgesetzes von der eingesetzten Trojaner-Überwachungssoftware überhaupt nicht berührt und steckt die, welche das Gegenteil bewiesen haben, in die Chaotenecke. Tricksereien eines Politikers sind an früheren bayerischen Biertischen laut Klischee mit einem "a Hund is a scho" quittiert worden. Heute kommen die Alten, die solche Sprüche bei Strauss und Tandler sagten, möglicherweise nicht mehr mit beim Trojanerspiel. Aber sie wissen sehr gut, dass Sätze wie der folgende von Innenministern mit großer Vorsicht zu begegnen ist, weil die Realität später oft genug von anderem kündete:

Die Verdächtigungen stellen die Dinge auf den Kopf. Unsere Beamten halten sich strikt an das, was sie dürfen. Die Behauptung, sie hätten mehr gemacht, ist falsch.

Wie weit ist Friedrich von einem Rücktritt entfernt?