An den Worten sollt ihr sie erkennen!

Wissenschaftler glauben, anhand einer automatischen statistischen Textanalyse Lügen, die Struktur von Terrorgruppen oder Psychopathen erkennen zu können

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Online-Veröffentlichungen aller Art, auch und besonders die persönlichen Mitteilungen in sozialen Netzwerken, sind für viele Interessen von Wissenschaften über Unternehmen bis hin zu Sicherheitsbehörden ein Schatz, den es zu bergen gilt. Davor muss er nicht nur gehoben, sondern vor allem auch entschlüsselt werden, um seine Geheimnisse preiszugeben.

Die Menschen geben bekanntlich Persönliches nicht nur in dem preis, was sie sagen, sondern sie verraten sich wahrscheinlich noch mehr durch das, wie sie es sagen oder was man nur zwischen den Zeilen finden kann. Dabei kommt es auch darauf an, wo und in welchem Medium man sich äußert. Der Kommunikationswissenschaftler Jeff Hancock will so festgestellt haben, dass die Menschen eher zum Lügen neigen, wenn sie telefonieren oder sich treffen, als wenn sie über Emails kommunizieren, wo sie nicht einschätzen können, wie ihre Worte beim Anderen ankommen, was offenbar Täuschungsversuche weniger attraktiv macht.

Wenig verwunderlich ist, dass Menschen auf Internet-Kontaktbörsen ihre Bilder aufhübschen und Daten über ihren Körper wie Größe, Gewicht oder Alter frisieren, um attraktiver zu sein. Noch weniger verwunderlich ist, dass Menschen, wie Hancock in seiner 2010 in Communication Research veröffentlichen Studie darlegt, deren körperliches Aussehen als weniger attraktiv beurteilt wird, stärker dazu neigen, dieses durch Täuschungen schöner zu machen. Das soll aber nur, so Hancock, die körperliche Erscheinung betreffen, bei anderen Angaben wie dem Beruf oder dem Einkommen wird weniger getäuscht.

Interessanter könnte schon sein, dass Hancock mit Kollegen ein Programm (Social Language Processing) entwickelt hat, um anhand von Äußerungen, Mitteilungen etc. automatisch durch das, was und wie geschrieben wird, die Struktur und Dynamik von Gruppen erfassen zu können, also beispielsweise anhand der Sprachanalyse von linguistischen Merkmalen zu erkennen, wann getäuscht und wann die Wahrheit gesagt wird, wie die Hierarchien sind und wo es Spannungen in der Gruppe gibt. Analysiert wurden in der 2010 in der Zeitschrift Behavioral Sciences of Terrorism and Political Aggression veröffentlichten Studie Social language processing: A framework for analyzing the communication of terrorists and authoritarian regimes Briefe, Mitteilungen und andere Dokumente der Verwaltung unter Saddam Hussein. Daraus will man Erkenntnisse gewonnen haben, wie in terroristischen Gruppen oder autoritären Regimen "Status, Kohäsion und Täuschung" erfasst werden kann, also ob beispielsweise die Wahrheit über etwaige Verbindungen des Hussein-Regimes zu Terrorgruppen gesagt wurde.

Zuvor hatten Hancock und seine Kollegen u.a. schon einmal Äußerung von Mitgliedern der Bush-Regierung im Vorlauf zum Irak-Krieg untersucht (On lying and being lied to: A linguistic analysis of deception). Sie verglichen falsche (Irak hat Massenvernichtugswaffen) mit nicht-falschen Behauptungen (Hussein setzte Giftgas ein) und kamen zum Ergebnis, dass in falschen Behauptungen deutlich weniger mit "Ich" ausschließenden Worten wie "ausgenommen" oder "aber" gesprochen wurde, dafür wurden mehr emotionale Worte und Handlungsverben verwendet. Aber ganz offensichtlich soll die Sprachanalyse nur gegen die Bösen verwendet werden, schließlich wurde die Forschung vom Pentagon finanziert, da kann man schlecht die eigene Regierung entlarven.

Wie sprechen und schreiben Psychopathen?

Die neueste Studie setzt diesen Ansatz fort, um psychopatische Mörder anhand ihrer schriftlichen Äußerungen zu erkennen. Absicht ist, mit solchen Textanalysen nicht nur Diagnosen erstellen zu können, sondern auch die Strafverfolgung zu unterstützen oder gar Hinweise zur Behandlung oder Sicherheitsverwahrung zu liefern.

Noch sind die Wissenschaftler allerdings nicht so weit, einfach ihre Textanalyse über die Texte im Internet und den sozialen Netzwerken laufen zu lassen, um Lügner, Terroristen oder Psychopathen zu identifizieren. Sie haben erst einmal nur versucht, "normale" Mörder von psychopathischen zu unterscheiden. Zu dem Zweck ließen sie 14 als psychopathisch diagnostizierte Mörder und 34 "normale", also nicht psychopathische Mörder, die wegen ihrer Tat in kanadischen Gefängnissen hinter Gittern waren, ihre begangene Mordtat erzählen. Dies wurde dann transkribiert und die Texte mit dem Programm Wmatrix und einem Wörterbuch für Emotionalität in der Sprache analysiert.

Die Hypothese ist, dass psychopathische Mörder ihre Tat in eigentümlichen Worten erzählen - und ihr sprachlicher Ausdruck nicht allein bewusst steuerbar ist, sondern ihr Charakter sich anhand der Worte erkennen lässt. So gingen die Wissenschaftler davon aus, dass Psychopathen eine instrumentelle Weltsicht äußern und kaum Emotionen zum Ausdruck bringen. Anhand bestimmter Wörter würden sie sich mithin als Egoisten mit emotionaler Flachheit und Distanz zu ihren Verbrechen zu erkennen geben.

Das war auch das Ergebnis der automatischen statistischen Textanalyse. Psychopathen verwenden im Vergleich zu den anderen Mördern, wie die Wissenschaftler in ihrer Studie schreiben, die in der Zeitschrift Legal and Criminological Psychology vorab veröffentlicht wurde, mehr Verbindungswörter wie "weil", "da" oder "so dass", die eine Kausalität beinhalten. Damit würden sie den Eindruck erwecken, dass etwas zur Erreichung eines Zieles gemacht werden musste. Überdies hätten sie doppelt so oft Wörter verwendet, die wie Lebensmittel, Sex oder Geld mit körperlichen Bedürfnissen verbunden sind, während die Nicht-Psychopathen mehr Wörter für soziale Bedürfnisse wie Familie, Religion oder auch Spiritualität gebrauchen. Psychopathen würden überdies mehr Einzelheiten berichten, beispielsweise was sie am Tag ihrer Tat gegessen haben. Andererseits würden sie eher in der Vergangenheit erzählen oder weniger flüssig sprechen, etwa mehr "Ähs" gebrauchen, was die Wissenschaftler darauf zurückführen, dass sie positiver auftreten wollen oder auch größere Schwierigkeiten haben, ein emotionales Ereignis wie eben einen Mord zu beschreiben.

Würde man mit diesen statistischen Wahrscheinlichkeiten im weltweiten Netz nach Psychopathen suchen, dann gingen wohl viele Menschen ins Netz, zumal die Wissenschaftler offenbar glauben, sie könnten mit ihrer Methode auch bei kurzen Twittermeldungen und anderen Äußerungen in den sozialen Netzwerken fündig werden. Suggeriert wird gar, man könnte damit einen Mörder finden, der mit seinen Opfern über soziale Netzwerke oder Websites Kontakt aufnimmt.

Vermutlich wollte Hancock seine Forschung dadurch interessanter für Medien machen, weil mit der Methode und anhand nur weniger Versuchspersonen eben bestenfalls nur ein Vergleich zwischen zwei unterschiedlichen Typen von Mördern anhand einer bestimmten Textsorte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit möglich ist. Doch es ist auch unverantwortlich, die Medien (und vielleicht mögliche Geldgeber) mit solchen hochspekulativen Aussichten zu füttern, das entwertet das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. Angesichts einer Forderung von britischen Wissenschaftlern, dass doch Journalisten ihre Beiträge über Forschungsberichte vor Veröffentlichung erst einmal den Wissenschaftlern zum Faktencheck vorlegen sollten, weil doch die Wissenschaftsartikel schon durch Peer Review geprüft seien und keiner erneuten Kritik oder Würdigung bedürften, könnte man fast versucht sein, den Schwarzen Peter zumindest an manche Wissenschaftler zurückzuspielen.