Entwicklung contra Calvinismus

Unter den Piraten gibt es einzelne Mitglieder mit rechtsextremer Vergangenheit - wie bei allen anderen Parteien auch

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In der letzten Woche erregte die Piratenpartei mit zwei Personalien öffentliche Aufmerksamkeit: Eine betraf den 25-jährige Valentin Seipt, der als Verbandsvorsitzender im Landkreis Freising zurücktrat, weil er früher in der NPD aktiv war, die andere den 27-jährigen Greifswalder Matthias Bahner, der sich aus dem aus dem Landes- und dem Kreisvorstand verabschiedete, weil er sich zwischen 2003 und 2004 für diese Partei engagierte.

Beide distanzierten sich ausdrücklich von ihren früheren Überzeugungen und bezeichneten sie als Fehler, weshalb ihnen auch kein Parteiausschluss droht. Auf entsprechende Presseanfragen erklärten der Bundesvorstand und die beiden betroffenen Landesverbände, dass man Rechtsextremismus nur dann effektiv entgegentreten könne, wenn man "tatsächlichen Aussteigern eine Alternative anzubieten" hat, weil Ausstiegswillige sonst "in den Fängen rechtsextremer Parteien und Organisationen" hängen blieben.

Valentin Seipt. Foto: PiratenWiki. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Darüber hinaus verwies der Bundesvorstand auf die Satzung der Piratenpartei, in der es heißt, dass man "totalitäre, diktatorische und faschistische Bestrebungen jeder Art […] entschieden ablehnt". Der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz bezweifelte öffentlich, dass seine Partei unterwandert werden könnte: Denn, so Nerz, wenn jemand "mit rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Thesen" auffalle, dann würde er sich damit "schnell ins Abseits" stellen und habe "keine Zukunft in der Piratenpartei".

Tatsächlich ist kaum etwas weniger Gegensätzliches denkbar als die Piraten-Kernforderung nach Liquid Democracy und das Führerprinzip. Das wird auch an der Reaktion von NPD-Funktionären wie Udo Pastörs sichtbar, der die Piraten dafür "ins Gefängnis bringen" will. Zufällige Überscheidungen mit einzelnen (mutmaßlich eher taktischen) NPD-Programmpunkten, wie es sie bei den Piraten etwa hinsichtlich einer Lockerung der Zensur gibt, kann allerdings keine Partei vermeiden. Trotzdem macht man es der Union oder den Grünen nicht zum Vorwurf, dass auch die NPD ein hohes Elterngeld und mehr Umweltschutz fordert.

Auch hinsichtlich ihrer Aufnahme von ehemals Rechtsextremen machen es die Piraten nicht anders als die etablierten Parteien: So stellte die Linkspartei beispielsweise mit Monika Strub bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg eine Direktkandidatin auf, die früher nicht nur ein Mann, sondern bis 2001 auch NPD-Mitglied Nummer 79879 war. Auf einem alten Foto, das die Bild-Zeitung ausgrub, sieht man Monika Strub, die damals noch Horst hieß, mit Bomberjacke und Stoppelfrisur. Horst, so heißt es in dem Blatt, sei ein "polizeibekannter Schläger" gewesen und "mehrfach aktenkundig" geworden. Linken-Sprecher Hanno Harnisch meinte dazu lediglich, die Kandidatin habe ihren Gesinnungswandel "glaubhaft dargelegt". "Wenn jemand", so Harnisch im Frühjahr, "radikal mit seiner Vergangenheit bricht und von der NPD weggeht, dann sollten wir alle uns darüber freuen. [...] Es gibt leider viel zu wenige Aussteiger aus der rechten Szene."

Monika Strub

Einen weniger offenen Umgang mit der Vergangenheit pflegte der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Hans Filbinger, der bis 1945 NSDAP-Mitglied und war als Marinerichter Todesurteile gegen Deserteure verantwortete. Als ihn Rolf Hochhuth Ende der 1970er in der Wochenzeitung Die Zeit kritisierte, wollte Filbinger den Schriftsteller mundtot machen und verklagte ihn wegen einiger seiner Formulierungen. Im darauf hin folgenden Prozess wurde allerdings so viel über Filbingers Vergangenheit bekannt, dass er schließlich seinen Hut nehmen musste.

Anfangs hatte der Ministerpräsident versucht, diesen Enthüllungen dadurch zu begegnen, dass er nur scheibchenweise zugab, was ohnehin schon an die Öffentlichkeit gedrungen war und weitere Taten bestritt. Nachdem aber immer weitere Fälle ans Licht kamen, berief sich der CDU-Politiker auf sein angeblich schwaches Gedächtnis und den langen Zeitraum, der seit dem Zweiten Weltkrieg vergangen war. Eine Entschuldigung bei der Familie eines wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilten Matrosen verweigerte Filbinger mit Hinweis auf die formale Rechtmäßigkeit der damaligen Entscheidung. Als Filbinger 2007 starb, veranstaltete das Land Baden-Würrtemberg ihm zu Ehren einen Staatsakt, an dem unter anderem Wolfgang Schäuble und der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger teilnahmen. Die in der Trauerrede getätigte Einschätzung Oettingers, Filbinger sei "kein Nationalsozialist" gewesen, kritisierten Historiker als Geschichtsfälschung.

Hans Filbinger. Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F054633-0026 / Engelbert Reineke / CC BY-SA 3.0.

Auch in der SPD brachten es ehemalige NSDAP-Mitglieder massenhaft zu Mandaten und hohen Ämtern, so beispielsweise Rudi Arndt, der unter anderem Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, hessischer Landesminister und Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Europaparlament war. Allerdings muss eine ehemalige Mitgliedschaft in einer Partei keineswegs bedeuten, dass jemand eine politische Schattierung in die neue Partei mitbringt. Sogar das genaue Gegenteil kann der Fall sein: Das zeigt sich besonders deutlich bei Jimmy Schulz, als junger Mann kurzzeitig bei den Republikanern war und der heute einer der profiliertesten Bürgerrechtler in der FDP ist.

Selbst die Grünen entdeckten im Laufe ihrer noch relativ kurzen Geschichte, dass Mitglieder und Mandatsträger wie Herbert Gruhl und Maximilian Spitzlberger nicht ganz ins Korsett der politischen Korrektheit passten. Und, dass auch in die anderer Richtung Wege führen: So verabschiedete sich etwa ihr ehemaliger Bundestagsabgeordneter Torsten Lange zur Partei Pro NRW, wo er mittlerweile auch schon wieder austrat. Wie schnell und gründlich ein Gesinnungswandel vor sich gehen kann, dass zeigen auch die Karrieren der ehemals eng zusammenarbeitenden Anwälte Horst Mahler, Otto Schily und Christian Ströbele, die innerhalb eines Zeitraums von 40 Jahren teilweise radikal die Linie wechselten und trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) immer wieder zu den bekanntesten Vertretern der jeweils neuen Richtung zählten. Solche Entwicklungsmöglichkeiten zu leugnen, hieße, mit der calvinistischen Vorstellung eines unabänderlichen Charakters zu operieren, die eigentlich nur gut zu solchen Parteien passt, die sich auf statische Konzepte wie die "Volksseele" berufen.

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