(Fast) kein Patent auf menschliche embryonale Stammzellen

Der Europäische Gerichtshof hat in der Patentfrage restriktiv entschieden, lässt aber auch Freiräume für die Patentierbarkeit von ES-Zellen offen

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Der Europäische Gerichtshof hat in seinem abschließenden Urteil zur Patentierung von embryonalen Stammzellen gewonnenen neuronalen Vorläuferzellen sowie des entsprechenden Verfahrens vieles offen gelassen. Die Richter konnten sowieso nur über die Frage der Patentierbarkeit im Rahmen der Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen entscheiden, nicht etwa über die, ob die Gewinnung von Zellen aus menschlichen embryonalen Stammzellen rechtens ist. Allerdings hat das Gericht für die Wissenschaftler, die die von ihnen entwickelten Verfahren auch kommerziell verwerten wollen, nun deutliche Grenzen gesetzt, auch wenn das Europäische Patentamt seit 2006 keine Patente mehr auf menschliche embryonale Stammzellen erteilt. Für nationale Patentämter, die dies bislang gestattet haben, wird das nun schwierigere werden, was auch Folgen für die Stammzellenforschung etwa in Großbritannien haben wird.

Ausgegangen ist der Rechtstreit 2004 von der Umweltorganisation Greenpeace, die Klage gegen das 1999 vom Deutschen Patentamt erteilte Patent auf embryonale Stammzellen, aus denen neurale Vorläuferzellen entwickelt werden können, eingereicht hatte. Nach Ansicht von Greenpeace ist nach der EU-Richtline eine Patentierung von menschlichen Embryonen verboten. Das Bundespatentgericht gab der Klage recht, nach einem Einspruch Brüstles ging es vor dem Bundesgerichtshof weiter, das den Fall an den Europäischen Gerichtshof verwies, wobei es um die Klärung dessen ging, was ein menschlicher Embryo ist und ob dieser bereits mit der befruchteten Eizelle beginnt.

Der Neurobiologe Oliver Brüstle, jetzt Direktor des Instituts für Rekonstruktive Neurobiologie an der Universität Bonn, hatte 1997 ein Patent auf embryonale Stammzellen angemeldet, das 1999 vom Deutschen Patentamt erteilt wurde. Es umfasst die Herstellung und Nutzung menschlicher embryonaler Stammzellen. Laut Patentschrift sollen die Zellen auch durch das Klonen von Embryonen gewonnen werden. Brüstle stellt aus den Stammzellen Vorläuferzellen her, die sich dann zu Nervenzellen entwickeln. Auch aufgrund seiner Forschungsarbeit kam es in Deutschland zu einer Auseinandersetzung über den Beginn des menschlichen Lebens und über die Stammzellenforschung (Haben umprogrammierte Hautzellen Menschenwürde?), die zur Einrichtung des Nationalen Ethikrats und zur Verabschiedung des Stammzellengesetzes 2002 führte (Von der Menschenwürde tiefgefrorener Embryonen). Gefunden wurde der "Kompromiss", dass die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen in Deutschland verboten ist, die Wissenschaftler aber Stammzelllinien aus dem Ausland zu Forschungszwecken einführen dürfen, wenn sie vor dem 1.2.2002 gewonnen wurden (Weihnachtsgeschenk für Bonner Stammzellforscher). 2009 trat eine Novelle des Stammzellengesetzes in Kraft, nach dem Wissenschaftler die Stichtagsregelung scharf kritisiert hatten, da die Zelllinien zu alt und unbrauchbar für die Forschung seien. Der Stichtag wurde auf den 1. Mai 2007 verschoben.

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass der Begriff des menschlichen Embryos "weit" auszulegen sei. Jede menschliche Eizelle sei ab ihrer Befruchtung als ein solcher anzusehen. Das gelte auch für entkernte Eizellen ab dem Zeitpunkt, an dem durch Klonen ein Zellkern einer adulten Körperzelle eingefügt wurde, oder an dem sie durch Parthogenese zum Teilen angeregt wurde, worauf Brüstles Patent sich ebenso erstreckte. Auch wenn hier "genau genommen" keine Befruchtung stattgefunden habe, seien die so entstandenen Zellen "ebenso wie der durch Befruchtung einer Eizelle entstandene Embryo geeignet, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen". Damit wird also das Klonen einer natürlichen Befruchtung gleichgesetzt, insofern aus einer geklonten Einzelle ein Embryo wachsen kann.

Während aber Greenpeace schreibt: "Zellen aus menschlichen Embryonen dürfen nicht patentiert werden", schränkt das EuGH jedoch ein, dass es trotz der zuvor getroffenen "weiten" Auslegung die nationalen Gerichte "im Licht der technischen Entwicklung" entscheiden müssten, ob Stammzellen, die wie im Verfahren Brüstles Blastozysten entommen werden, "den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang setzen, und folglich unter den Begriff des menschlichen Embryos fallen". Eigentlich sind das pluripotenete Stammzellen, die sich selbst ohne technische Hilfe nicht zu einem Embryo entwickeln können, weswegen man sie also mit gutem Recht nicht als menschliche Embryonen betrachten könnte - und auch sollte.

Das EuHG lässt hier also einen Spielraum offen, allerdings im Hinblick auf die Patentierbarkeit nur dann, wenn die Blastozysten nicht durch die Entnahme der Stammzellen vernichtet würden, was bei Brüstles Patentantrag der Fall ist. "Eine Erfindung ist nicht patentierbar", so die Mitteilung des EuGH, "wenn die Anwendung des Verfahrens die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert, selbst wenn bei Beantragung des Patents in der Beschreibung dieses Verfahrens, wie im vorliegenden Fall, die Verwendung menschlicher Embryonen nicht erwähnt wird." Damit wird absurderweise aber auch die Verwendung von Stammzellen aus vorhandenen Stammzelllinien unterbunden.

Eindeutig stellt das Gericht klar, dass ein Patent, auch wenn es erst einmal für wissenschaftliche Zwecke geltend gemacht wird, grundsätzlich eine industrielle oder kommerzielle Verwertung einschließt, zumal just aus diesem Grund ja überhaupt wohl nur ein Patent beantragt wird (man könnte theoretisch aber auch versuchen, ein Patent auf ein Verfahren zu beantragen, um eine Anwendung zu verhindern). Das Gericht verbietet die Patentierbarkeit von menschlichen Embryonen auch nicht vollständig, sondern macht klar, dass sie nach der Richtlinie möglich sei, "wenn sie die Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken betrifft, die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist – z. B. um eine Missbildung zu beheben und die Überlebenschancen des Embryos zu verbessern". Das ist eine Einschränkung, die möglicherweise einlädt, sie zu benutzen, um andere Anwendungen schützen zu lassen.

Für Bürstle ist das Urteil ein "Schwarzer Tag", da sich in Europa die Wissenschaftler nun auf die Grundlagenforschung beschränken müssten, während im Ausland die Anwendungen entwickelt und patentiert würden, um dann womöglich als Therapien hier wieder eingeführt werden. Er kritisierte überdies, dass sein patentiertes Verfahren von "bereits etablierten ES-Zelllinien" ausgehe, "die international erhältlich sind und an denen in Deutschland legal gearbeitet werden darf". In einigen europäischen Ländern würden solche embryonalen Stammzellen "aus überzähligen befruchteten Eizellen gewonnen, die im Rahmen der künstlichen Befruchtung in großen Mengen entstehen. Mittlerweile stehen weltweit mehrere Hundert solcher Zelllinien zur Verfügung." Gleichwohl wurden dazu, auch wenn nun die Stammzellen beliebig vermehrbar sind, Embryonen getötet, sagen die Kritiker.

Bundeswissenschaftsministerin Schavan CDU) begrüßte das Urteil, das sie darin bekräftigt, die Forschung mit adulten Stammzellen zu fördern. Ähnlicher Meinung der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Montgomery. Christoph Then, Patentberater von Greenpeace, freut sich und sieht das Urteil so: "Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes muss der Mensch in allen Phasen seiner Entwicklung vor kommerzieller Verwertung geschützt werden. Dies gilt auch für Embryonen in der Petrischale. So hat der Gerichtshof den Schutz menschlichen Lebens gegenüber wirtschaftlichen Interessen deutlich gestärkt. "