Gaddafis Todesbilder

Die letzten Bilder von Tyrannen sind eine heiße Ware, das macht nun bei Gaddafi auch die französische Nachrichtenagentur AFP auf peinliche Weise deutlich

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Schnell zirkulierten Bilder und Videos, die den verletzten und dann toten Gaddafi zeigten. Wenn der Diktator gestürzt wird, lechzen Medien und die Öffentlichkeit nach Bildern. Sie sollen zeigen, was man einst mit der Zurschaustellung der Leiche oder des Kopfes gemacht hat, nämlich dass einem Mächtigen der Garaus gemacht, dass er vom Thron gestürzt wurde, dass es mit ihm und seiner Herrschaft endgültig vorbei ist, dass er auch nur ein sterblicher Mensch ist und dass ein Aufstand Erfolg haben kann. Und natürlich auch, wie er ums Leben kam, ob als mutiger und aufrechter Herrscher bis in den Tod oder als jemand, der als winselndes und gedemütigtes Opfer von seinen Jägern erlegt wurde.

Das angebliche erste Foto nach Gaddafis Ergreifung, das AFP verbreitete und dazu gleich eine peinliche Pressemitteilung verfasste.

Gaddafi hat in dem von ihm inszenierten Personenkult die finale Szene auch immer selbst beschworen, nämlich dass er bis zum letzten Atemzug kämpfen werde und als Märtyrer für was auch immer sterbe, sofern es so weit käme. Dass nun die Öffentlichkeit - und die Medien als die kollektiven Aufmerksamkeitsorgane der Öffentlichkeit zumal - interessiert, wie die letzten Minuten des ebenso grausamen wie skurrilen Herrschers verlaufen sind, ist klar. Sie geben auch Aufschluss darüber, wie Gaddafi letztlich in die Geschichte eingehen soll oder wird. Aber es kommt natürlich auch darauf an, wer die letzten Bilder gemacht hat, und vor allem auch, wer sie zuerst als Ware in Umlauf bringen konnte. Dazu aber später.

Viele Motive mischen hier mit. Die Demütigung ist wohl immer dabei, mit der demonstriert wird, dass der einst Mächtige nun nichts mehr zu sagen hat, dass er ängstlich und klein wurde, dass er erbärmlich an seinem Leben klammert. Die Amerikaner hatten diese Szene am lebenden Diktator vielleicht am drastischsten vorgeführt, als US-Soldaten den verwirrt erscheinenden, abgehärmten Hussein aus dem Erdloch zogen und vorführten (US-Regierung erneut im Propagandakrieg?). Während sie aber zuvor noch die aufgehübschten Leichen seiner beiden Söhne der Öffentlichkeit vorgeführt hatten, sollte kein Bild von der Exekution Husseins an die Öffentlichkeit gelangen. Offiziell sollten nur Aufnahmen gezeigt werden, die den Ablauf bis zur Exekution dokumentieren, aber nicht diese selbst. Das gelang nicht ganz, im Zeitalter der Handykameras wird dies schwierig, daher gelangten auch Bilder von der Exekution an die gierige Öffentlichkeit (Saddams Exekution und das Video).

Die Leiche des irakischen Terrorchefs Sarkawi, der durch eine Bombe getötet wurde, hat man nicht mehr gezeigt, wohl aber Fotos von ihm. Inszeniert wurde dies vom Pentagon schon fast, als würde man einen Märtyrer präsentieren, auf dessen Todesbild er schön gewachsen, seine Wunden gereinigt und seine Haare frisiert sind. Die Fotos wurden der Presse zudem feierlich in massiven Goldrahmen vorgeführt. Das war vielleicht die kultivierte Variante, Sarkawi ließ seine al-Qaida-Leute schon mal Geiseln vor Kameras abschlachten und deren Köpfe abschneiden (Archaische Bilder vom Sieg).

Ganz anders verfuhr man nach der Tötung bin Ladens. Hier wurde das Bilderverbot durchgesetzt, sein Leichnam im Meer versenkt, er also spurlos beseitigt. Aber ganz ohne Bilder mag man es in der Propagandamaschinerie des Weißen Hauses doch nicht. So wurde der verdutzten Öffentlichkeit ein Foto gezeigt, das ins historische Gedächtnis eingehen dürfte. Präsiden Obama, Außenministerin Clinton und andere des Stabs sitzen und stehen um einen Tisch, vollgepackt mit Notebooks und schauen schräg aus dem Bild heraus gemeinsam die Szenen an, als die Soldaten der Sonderheit im fernen Pakistan das Haus erstürmten und schließlich Bin Laden töteten.

Im Weißen Haus verfolgte man die Aktion und zeigte dies mit dem Foto auch der ausgeschlossenen Öffentlichkeit. Bild: Bild: Weißes Haus/Pete Souza

Die Öffentlichkeit sieht also nur, dass die Vertreter der US-Regierung im Weißen Haus etwas verfolgen, was ein Uneingeweihter nicht sehen darf: die Exekution eines Bösewichts, der vor Jahren als ebenbürtiger Gegenspieler des US-Präsidenten von der Regierung und den Medien aufgebauscht worden war. Mit dieser Fotografie, die Heerscharen von Bildwissenschaftlern und Politologen anziehen sollte, macht man also gleichzeitig Appetit und verweigert die Sehlust. Zudem wird die Hierarchie zwischen den Mächtigen und den Regierten durch einen unüberwindbaren Graben bestätigt.

Aber zurück zu Gaddafi, von dem schnell Bilder und Videos in den Medien und im Internet zirkulierten. Das wohl erste Bild, das gestern am frühen Nachmittag um die Welt ging, als noch völlig unklar war, ob Gaddafi lebendig, aber vielleicht verletzt gefangen wurde oder ob er schon tot war, ist von der französischen Nachrichtenagentur AFP in Umlauf gebracht worden. Es zeigt den blutüberströmten, aber wohl noch lebenden Gaddafi und stammt von einem Video, das mit einer Handykamera aufgenommen worden. Es zeigt eine erregte Menge, die Gaddafi zu einem Wagen schleppt. Auf einem anderen Video war er dann bereits tot zu sein.

"Ich hatte großes Glück"

Interessant ist, dass AFP schnell eine Mitteilung verbreiten ließ, in der sie sich brüstete, eben das "weltweit" erste Medium gewesen zu sein, das zwar das Video nicht gemacht, wohl aber ein Foto des getöteten Gaddafi veröffentlicht zu haben. Erzählt wird auch die Geschichte, wie es zu diesem Foto gekommen war. Sie macht zwischen den Zeilen deutlich, was Kriegsberichterstattung auch immer ist.

AFP-Fotograf Philippe Desmazes berichtete über die Kämpfe um Sirte. Er habe Schüsse gehört, die sich wie Freudenfeuer angehört hätten. Er bat Rebellen, ihn dorthin zu führen. An der Stelle hätte man ihm Abwasserrohre unter einer Straße gezeigt, in denen Gaddafi sich versteckt gehabt habe, bevor man ihn gefangen habe. Das ist schon wieder fast wie bei Hussein. Ob das stimmt, ist fraglich, es gibt allerdings Fotos, die Rebellen vor solchen Rohren mit einem getöteten Gaddafi-Kämpfer zeigen. Angeblich wollte Gaddafi sich in einem Konvoi absetzen, der dann aber von einem Nato-Flugzeug, den Gerüchten nach einem britischen, bombardiert wurde. Mit einem Leibwächter habe er sich dann, bereits verletzt, in einem Abwasserrohr versteckt. Auf dem Video wird Gaddafi von erregten Rebellen fortgeschleppt und geschlagen. Die Bilder sind zu ungenau, um Genaueres zu erkennen.

Interessanter ist aber, dass Desmazes nach Angaben von AFP erzählt, er habe dann viele Rebellen gesehen, die sich um ein Handy gedrängelt hatten. Offenbar war Desmazes nicht der einzige Journalist vor Ort, aber er war wiederum der erste, der die Gelegenheit nutzte, um vom Display des Handys ein Bild von Gaddafi abzufotografieren:

"

Ich hatte Glück, ich war der Einzige, der sie bemerkt hatte." Der Besitzer des Telefons habe ihm die Ergreifung von Gaddafi gezeigt, die er einige Minuten zuvor gefilmt hatte. "Das Licht um die Zeit machte es sehr schwierig, ein Foto machen. Aber die Kämpfer um mich herum warfen genug Schatten, um den Bildschirm abzufotografieren. Ich hatte großes Glück", betonte Desmazes.

AFP-Pressemitteilung

Das ist schon peinlich genug, aber die Nachrichtenagentur setzt sogar noch etwas drauf, um das Ereignis, dass der Fotoreporter ein Bild von einem Handy ablichtet, zu adeln:

"Dieser Scoop steht für die ununterbrochene Vor-Ort-Präsenz der AFP seit Februar in Libyen, unsere umfangreichen Anstrengungen und den Mut der Journalisten der Agentur", erklärte AFP-Informationsdirektor Philippe Massonnet. "Diese Leistung krönt Monate der Beharrlichkeit und des Durchhaltevermögens der AFP-Journalisten in diesem Teil der Welt, wie auch anderswo" (…), betonte AFP-Präsident Emmanuel Hoog.

AFP-Pressemitteilung