Irak: USA verlassen das sinkende Schiff

Dankbar nutzt US-Präsident Obama die Gelegenheit, aus dem Irak abzuziehen, aber die Amerikaner hinterlassen ein Pulverfass

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Lange zogen sich die Verhandlungen zwischen der irakischen und der US-Regierung hin, ob der unter Bush vereinbarte, von Obama im Wahlkampf versprochene Abzug der Truppen aus dem Irak doch nicht ganz vollständig geschehen soll. Von US-Seite war diskutiert worden, einige tausend Soldaten im Land zu lassen, um das irakische Militär auszubilden und natürlich auch, um Einsätze gegen Aufständische auszuführen.

US-Präsident Obama verkündet den vollständigen Abzug der US-Truppen aus dem Irak. Bild: Weißes Haus

Nun aber hat US-Präsident Obama einen Schlussstrich gezogen, bis Ende des Jahres sollen die letzten 40.000 Soldaten abgezogen sein. Nur 150 sollen zurückbleiben, um die riesige US-Botschaft in Bagdad zu sichern - neben einigen tausend privaten "Contractors", die die Sicherheit und Versorgung der US-Präsenz im Land gewährleisten sollen. "Nach fast neun Jahren", so erklärte Obama, "ist Amerikas Krieg im Irak beendet." Jetzt müsse man in den USA Nation-Building machen. Das klingt erst einmal nach Endgültigkeit, angeblich will sich das Weiße Haus aber eine Hintertüre offenlassen, um vielleicht doch wieder 2012 neue Truppen im Irak zu stationieren, meldet die New York Times in Berufung auf einen "official" der Regierung.

Die irakische Regierung stand unter hohem Druck, nicht um eine weitere Präsenz von US-Truppen bitten zu müssen. Viele Iraker sind der Meinung, dass die Gewalt so lange anhält, bis die letzten Besatzungstruppen abgezogen sind. Und noch immer gibt es keine Regierung, die das Ergebnis der letzten Wahlen repräsentiert. Der Schiit al-Mailiki will von seiner Macht nicht lassen, eine Regierung der nationalen Einheit mit dem von Allawi geführten, die Sunniten einschließenden Parteienbündnis kam nicht zustande. Dadurch wurde die Regierung entscheidungsunfähig.

Auch wenn zuletzt Anfang Oktober doch noch die von Schiiten, Sunniten und Kurden erwartete Anfrage kam, US-Soldaten im Land zu lassen, geschah dies mit einer Bedingung, von der jeder irakische Politiker wusste, dass sie von der US-Regierung niemals akzeptiert werden würde. So wurde auch keine konkrete Zahl genannt, aber verlangt, dass die US-Soldaten, meist militärische Ausbilder genannt, ab dem 1. Januar 2012 ihre Immunität verlieren müssten. Damit soll die irakische Souveränität gegenüber den USA sichergestellt werden, aber der Hauptzweck der Veranstaltung lag auf der Hand: Alle haben versucht, die Amerikaner im Land zu halten, die wollten aber nicht, also sind die Amerikaner an dem Schuld, was nach dem Abzug geschehen könnte.

Umgekehrt bot die Forderung den Amerikanern die Möglichkeit, den Antrag abzulehnen und die Verantwortung an die irakische Führung abzugeben. Das hat Obama nun wohl gerne aufgegriffen, zumal der Abzug von konservativer Seite im Wahlkampf durchaus zum Thema gemacht werden könnte, wenn der Irak nach dem Krieg, einer neunjährigen Besatzung, mehr als 4000 toten US-Soldaten und Kosten von mehr als einer Billion US-Dollar ins Chaos versinken würde. Obama kann jetzt darauf verweisen, sein Versprechen eingelöst und den Wünschen der irakischen Regierung gefolgt zu sein. Allerdings verlieren die USA damit einen geostrategisch wichtigen Stützpunkt in der Region, vor allem gegenüber dem Iran, der wiederum seinen Einfluss auf die schiitische Bevölkerungsmehrheit ausbauen dürfte.

Der Abzug der US-Soldaten erscheint dem Weißen Haus gegenwärtig wohl auch geeignet zu sein, um nicht in den Konflikt zwischen Türken und Kurden hineingezogen werden. Bislang haben die Amerikaner den Türken mit Drohnen geholfen, die kurdischen Aufständischen von der PKK bis hinein in den Irak zu beobachten, wenn nun aber türkische Truppen in den Nordirak einmarschieren, könnte dies zu Problemen mit den irakischen, bislang sehr USA-freundlichen Kurden führen. Gleichzeitig scheinen sich die Türkei und Iran in der Bekämpfung der Kurden anzunähern, weil beide Staaten gegen kurdische Autonomiebestrebungen kämpfen. Auch im Irak gibt es zwischen Kurden, Schiiten und Sunniten sowie Turkmenen Konflikte über die Ausbeutung von Ölquellen.

Die Situation ist hochexplosiv, so dass es aus Sicht der US-Regierung vernünftig erscheinen könnte, möglichst schnell aus dem Irak abzuziehen, mit dem Risiko freilich, dass die Intervention die Situation nur verschlimmert hat. Aus der arabischen und USA-freundlichen Vorzeigedemokratie, die Bush mit dem Sturz des Tyrannen Hussein schaffen wollte und die nach der Dominotheorie dann auch alle anderen autoritären Regime zum Einsturz bringen sollte, könnte durchaus eine Welle der Unruhe ausgehen, die nicht nur die autoritären Regime, sondern auch die vom "arabischen Frühling" befreiten Länder anstecken könnte.

Noch immerhin kann die US-Regierung mit der Tötung von Gaddafi und der endgültigen Befreiung des Landes einen Erfolg verbuchen. Das wird von Obama, der an der Dominotheorie von Bush festhält, entsprechend gefeiert. Der Erfolg aber kann sehr kurzfristig sein. Schließlich weiß niemand, ob sich in Libyen eine demokratische Regierung bilden kann und nicht doch wieder interne Konflikte und Kämpfe ausbrechen, die durch den Kampf gegen das Regime nur überdeckt wurden.