Es war wie eine 180-Grad-Wende von diesem peinlichen Geheimnis!

In Erinnerung an L. Frank Baums Kindergeschichte Ozma von Oz versah Frank Drake sein Projekt mit dem Namen der sagenhaften Prinzessin Ozma. Mit dem auf dem Foto zu sehenden Radioteleskop (26 Meter Durchmesser) führte er am 8. April 1960 den ersten wissenschaftlich-systematischen Lauschangriff auf außerirdische Intelligenzen durch. Bild: SETILeague

Heute vor 50 Jahren konferierten erstmals Wissenschaftler über die Wahrscheinlichkeit extraterrestrischer Intelligenz

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Am 1. November 1961 fand die erste Konferenz der Menschheitsgeschichte statt, in der sich zehn Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen gezielt mit der Frage auseinandersetzten, wie viele intelligente Technologien in der Galaxis sende- und empfangsbereit sind. Einer der Initiatoren war der SETI-Pionier Frank Drake, der zur Vorbereitung des dreitägigen Meetings in Green Bank (West-Virginia/USA) jeden Tagesordnungspunkt mit einem mathematischen Symbol versah und die einzelnen Faktoren zu einer aus simplen Multiplikationen bestehenden Formel zusammen zog, die heute Kultstatus hat.

Der Anruf

Ozma, das auf diesen märchenhaften Namen getaufte erste echte SETI-Projekt der Wissenschaftsgeschichte, war gerade einmal ein Jahr alt, als sein Initiator Frank Drake von dem Verwaltungsoffizier des Weltraumforschungsvorstands der National Academy of Sciences, J. Peter Pearman, angerufen wurde.

In Würdigung des Ozma-Projekts versuchte der Engländer eine Konferenz am "National Radio Astronomy Observatory" (NRAO) in Green Bank zu organisieren, an der neben Drake noch weitere ausgewählte Spezialisten teilnehmen und das erste Mal gezielt über die Existenzwahrscheinlichkeit von intelligenten außerirdischen Lebensformen philosophieren und diskutieren sollten.

Im besten Oxford-Englisch teilte der eloquente Brite dem sichtlich überraschten US-Radioastronomen mit, dass er sein Ozma-Projekt eingehend verfolgt habe und seitdem in Regierungskreisen nach Verantwortlichen Ausschau halte, welche die Suche nach extraterrestrischer Intelligenz unterstützen.

Er halte eine baldige Einberufung einer Konferenz für unbedingt notwendig, um zu klären, wie groß das Forschungspotential sei, so Pearman. Drake, der für dieses Vorhaben sofort Feuer und Flamme war und auch seinen Chef, Otto Struve, hierfür begeistern konnte, begann postwendend mit der Planung der Sitzung und erstellte zusammen mit Pearman eine vorläufige Gästeliste.

Tagesordnungspunkte als Formel

Während Pearman sich schwerpunktmäßig um die logistischen und organisatorischen Dinge rund um den kleinen Kongress kümmerte, richtete Drake sein Augenmerk auf die wissenschaftlichen Inhalte und denkbaren Themen. Eine gut strukturierte Tagesordnung mit der detaillierten Reihenfolge der zu besprechenden Inhalte musste her; eine, die eine lebhafte, aber substanzielle Debatte garantierte.

Das Green Bank Telescope (GBT), das weltweit größte lenkbare Radioteleskop, starrt in Green Bank im US-Bundesstaat West Virginia in den Himmel. Es liegt ganz in der Nähe des Teleskops, mit dem Frank Drake 1960 die erste SETI-Observation durchführte (vgl. erstes Bild). Durchmesser des GBTs: 100 bis 110 Meter; Reflektorfläche: 7854 m2. Bild: NRAO/AUI

Nachdem Drake einige wichtige Diskussionspunkte notiert hatte, sah er sich der Frage gegenüber, in welcher Abfolge die Themen behandelt werden sollten. Da die Tagesordnungspunkte alle von gleicher Wichtigkeit waren und ferner in keinem direkten Verhältnis zueinander standen, zog Drake die einzelnen Faktoren einfach zu einer aus simplen Multiplikationen bestehenden Formel zusammen, mit der die Anzahl hoch entwickelter und kommunikationsbereiter Zivilisationen im All bestimmt werden sollte.

Also gab ich jedem Tagesordnungspunkt ein Symbol mathematischer Art und konnte auf diese Weise die gesamte Agenda für die Konferenz in einer einzigen Zeile zusammenfassen

Frank Drake

Zielgerichtete Auswahl

Von noch größerer Tragweite als die einzelnen zu behandelnden Themenpunkte war die Rekrutierung der zu ladenden Gäste, deren Auswahl wohl überlegt sein musste. Schließlich galt es, ein heißes Eisen anzufassen, das außer Drake zuvor kaum ein Wissenschaftler angefasst hatte. Nach einigen Überlegungen setzten Drake und Pearman ausschließlich Wissenschaftler auf die Liste, deren Namen bekannt waren und von denen sie wussten, dass diese sich wenigstens schon einmal mit der Suche nach außerirdischem Leben auseinandergesetzt hatten.

Carl Sagan (1934-1996). Bild: NASA

Halloween war gerade einige Stunden alt, als sich am 1. November 1961 neben Drake und Pearman die geladenen Gäste Dana Atchley (Radioamateur und Elektronik-Unternehmer), Melvin Calvin (Chemiker), Su-Shu Huang (Astronom), John C. Lilly (Neurowissenschaftler), Philip Morrison (Physiker), Barney Oliver (Erfinder und Forschungsmagnat von Hewlett-Packard), Carl Sagan (Astronom) und Otto Struve (Radioastronom) in einem kleinen Konferenzzimmer des Gästehauses in Green Bank versammelten.

Geheime Konferenz im Blitzlichtgewitter

Angesichts des delikaten Themas schottete man sich ab und verzichtete darauf, die Medien über die Tagung in Kenntnis zu setzen, obwohl die amerikanische Presse einen Tag später über einen der Gäste förmlich herfiel, ohne von dem wunderlichen Thema der Sitzung Notiz zu nehmen. Der Grund hierfür war die Bekanntgabe der Verleihung des Nobelpreises für Chemie (1961) an Melvin Calvin, der dem erlesenen Zirkel jener auserwählter Wissenschaftler angehörte, die zum ersten SETI-Treffen geladen waren.

Dabei kam es zu der kuriosen Situation, dass damals die Presse zwar unzählige Bilder von dem frisch ernannten Nobelpreislaureaten vor Ort aufnahm, die Konferenzteilnehmer hingegen es aber versäumten, selbst ein Erinnerungsfoto der illustren Runde zu schießen. Kein Teilnehmer antizipierte damals die wissenschaftshistorische Bedeutung der Zusammenkunft in Green Bank. Keiner fertigte ein Sitzungsprotokoll an oder nahm die tiefsinnigen Gespräche mit einem Tonbandgerät auf.

Melvin Calvin (1911-1997). Bild: The Nobel Foundation 1961

Nachdem Frank Drake die ersten Faktoren seiner Gleichung an die Tafel geschrieben hatte, entfachte zwischen den Forschern ein lebhafter Meinungsaustausch, der anstatt abzuebben stetig zunahm. Während der dreitägigen Konferenz nutzte die multidisziplinäre Runde praktisch Gelegenheit, um über außerirdische Intelligenzen zu debattieren. Drake erinnert sich:

Es war ein Diskussionsmarathon, und wenn wir nicht gerade im Konferenzraum miteinander sprachen, dann redeten wir in der Cafeteria oder in kleinen Gruppen beim Spaziergang um das Observatorium und in die nahe gelegene Umgebung. Unsere Gespräche begannen stets frühmorgens und endeten immer spät in der Nacht.

Kritischer L-Faktor

Gesonderte Beachtung fand dabei der letzte Faktor der Gleichung L, der die Lebensdauer, streng genommen die zeitliche Lebensspanne einer technischen Zivilisation definiert, die das Interesse und die Fähigkeit für eine interstellare Kommunikation mitbringt (mehr hierzu siehe Beitrag: Ein Kompositum von Unsicherheiten). Hierbei fokussierte sich alles auf die Frage, wie lange eine außerirdische Zivilisation, die im Besitz von Nuklearwaffen ist, interplanetare Botschaften per Radiosignal auszutauschen vermag. Würden fortgeschrittene extraterrestrische Technologien nicht ebenfalls in Versuchung geraten, Atom- oder Wasserstoffbomben zu bauen und diese schlimmstenfalls sogar im Kriegsfall einsetzen?

Nachdem sich der exklusive Kreis für jeden Faktor auf mindestens einen Wert geeinigt hatte, extrapolierte er unter Einbeziehung der Drake-Faktoren, dass mindestens 1000 bis maximal 100 Millionen hochentwickelte Technologien in der Galaxis beheimatet sein könnten.

Endlich salonfähig

Lässt man die Gespräche am NRAO mitsamt Agenda-Formel Revue passieren, ist der in West-Virginia abgehaltende Kongress en miniature fraglos höher zu bewerten als die Drake-Gleichung selbst. Schließlich steht er für den ersten Versuch, außerirdische Intelligenz zu quantifizieren. Erstmals verabredeten sich Forscher aus den unterschiedlichsten Disziplinen, um über ferne Hochkulturen im Universum nachzudenken. Carl Sagan schwärmte noch Jahre später von der Zusammenkunft:

Es war wunderbar. All diese guten Wissenschaftler verdeutlichten, dass es keineswegs Unsinn war, sich über das Thema Gedanken zu machen. […] die Tatsache, dass sie kamen, belegte, dass sie das Ganze nicht für ausgemachten Humbug hielten. […] Es war wie eine 180-Grad-Wende von diesem dunklen und peinlichen Geheimnis. Mit einem Male würde es salonfähig.

Dass nach dem Green-Bank-Meeting etwas völlig Neues in der Luft lag, imponierte auch Frank Drake, der das Gefühl hatte, endlich einmal mit Kollegen aus verschiedenen Fachdisziplinen über ein vermeintlich delikates Thema zu fabulieren, ohne dabei seltsame Blicke zu ernten.

Was uns vereinte, war unsere außergewöhnliche und starke Überzeugung, dass das Universum über und über bevölkert sein musste. In Gegenwart dieser Menschen konnte man sich, ohne zu zögern, ohne in Verlegenheit zu geraten oder sich gar lächerlich zu machen, in engagierte Diskussionen über außerirdisches Leben einlassen.

Ein frischer Wind wehte durch etliche verstaubte Elfenbeintürme und ermutigte viele Wissenschaftler, sich selbst dem heiklen Sujet zu nähern. Viele taten dies. Nach dem Treffen in Green Bank überschwemmte eine wahre Flut von Artikeln über SETI die Wissenschaftslandschaft. Selbst im renommierten Science-Magazin häuften sich die Beiträge mit außerirdischem Bezug. Drakes "Baby" war nach seinen ersten Gehversuchen (OZMA) auf dem besten Weg, das Laufen zu erlernen.

Eine Welt ganz nach dem Geschmack von SETI, vor allem dann, wenn hierauf intelligente, technologisch interessierte Lebensformen existieren sollten, die "senden". Bild: NASA/ESA

Spekulationen in der Vor-Green-Bank-Ära

Die Sitzung in Green Bank markierte auch eine andere Zäsur. Sie bildete den Startschuss für weitere SETI-Konferenzen, von denen sicherlich die spektakulärste die erste gemeinsame sowjetisch-amerikanische Tagung über Kommunikation mit extraterrestrischen Intelligenzen war, die im September 1971 in der Nähe von Byurakan (Armenien) abgehalten wurde. Sie avancierte zur ersten internationalen SETI-Konferenz überhaupt.

Gewiss, auch in der Vor-Green-Bank-Ara räsonierten bereits honorige Wissenschaftler vom Schlage eines Fred Hoyle, Harlow Shapley oder Ronald Bracewell über extraterrestrische Kulturen im All.

Shapley, der frühere Direktor des Harvard-Observatoriums, etwa nahm in seinem 1958 erschienenen Buch Of Stars and Men Bezug auf die Häufigkeit intelligenter Lebensformen im Universum, ohne dabei einen Zusammenhang zur interstellaren Kommunikation herzustellen. Obgleich Shapley die Anzahl der Planetensysteme in der Galaxis auf 106 bis 109 veranschlagte, vermutete er seltsamerweise auf keinem davon intelligente Lebensformen.

Diese Erinnerungsplakette hängt noch heute in dem Konferenzraum in Green Bank, in dem Drakes Gleichung erstmals Anwendung fand. Bild: SETILeague

Der US-Radioastronom und Ingenieur Ronald N. Bracewell hingegen ließ in diversen Diskussionen und Vorträgen durchblicken, dass er die Existenz fortgeschrittener Zivilisationen in der Galaxis für möglich halte, wobei er aber seine Überlegungen nur als Grafiken und nicht etwa in Gestalt von Formeln festhielt.

Faktoren nach Gutdünken

Letzten Endes führt die Anwendung der Drake’schen Formel auch heute - 50 Jahre später - immer noch zu völlig verschiedenen Ergebnissen. Optimisten garantierte sie stets schöne Zahlen, weil hoffnungsvolle Frohnaturen bekanntlich die Größe der einzelnen Faktoren viel freigiebiger berechnen als Pessimisten, die ein eher negativeres Ergebnis erwarten und auch erhalten. Denn wer N bestimmen will, muss im Gedankenexperiment zunächst einmal alle Größen abschätzen, wohl wissend, dass die einzelnen Faktoren nicht zu klein sein dürfen.

Unsere Milchstraße im Infrarotlicht. Dieses Bild basiert auf Datenmaterial, dass das Infrarot-Weltraumteleskop IRAS einst binnen sechs Monate gesammelt hat. Laut dem Ergebnis der ersten Drake-Formel-Extrapolation könnten in der Galaxis bis zu 100 Millionen Technologien beheimatet sein. Bild: NASA/Caltech

Welche Zahl als Multiplikator jedoch zu wählen ist, bleibt im Endeffekt dem Gutdünken jedes Einzelnen überlassen. Es ist nämlich auch immer eine perspektivische Frage, ob beispielsweise der Faktor fi, also die Anzahl der Planeten mit intelligenten Lebewesen, hoch oder gering veranschlagt werden soll.

Tatsächlich gilt nur für den Faktor R, also für die mittlere Sternentstehungsrate in der Galaxis pro Jahr, der astronomisch gesicherte Wert 1 (= jährlich ein neuer Stern in der Milchstraße). Er erweist sich als Konstante.

Auch wenn sich abzeichnet, dass fast jeder Stern Planeten bildet und besitzt (fp) und fast jeder Stern auch Planeten in habitablen Zonen hält, scheint es noch zu früh, sich hier jeweils auf einen fixen Wert festzulegen. Für die anderen Faktoren der Drake-Gleichung gilt dies umso mehr.

Leicht instrumentalisierbar

Kein Wunder demnach, dass das theoretische Fundament, auf dem SETI-Forscher oder Exobiologen bzw. Bioastronomen ihr Denkgebäude mitsamt extraterrestrischen Mitbewohnern errichten, samt und sonders ein höchst Imaginäres ist, fußt es doch zu guter Letzt auf Wahrscheinlichkeiten oder persönlichem Glauben.

Da handfeste, greifbare und reale Vorlagen schlichtweg fehlen, bleibt die potenzielle Anzahl hochstehender Technologien im All eine Unbekannte, eine Größe ohne Zahlenwert, den auch die besten wissenschaftlichen Prognosen, Computersimulationen oder Formeln nicht zu konkretisieren vermögen. Auch Drakes Agenda-Gleichung nicht.

Wie leicht diese sich übrigens instrumentalisieren lässt, und wie schnell und willkürlich die sendebereite Anzahl der intelligenten Zivilisationen in der Galaxis im Rechenexperiment verändert werden kann, vermag jeder User mit dem Drake-Calculator auf spielerische Weise im Selbsttest zu prüfen.

Näheres zur Drake-Formel siehe Telepolis-Beitrag: Ein Kompositum von Unsicherheiten

Video: Carl Sagan über die Drake-Formel bzw. Green-Bank-Gleichung