Kein Recht auf Ethikunterricht

Verwaltungsgericht Freiburg sieht Ungleichbehandlung in Grundschulen von der Verfassung gedeckt

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Zu den unbekannteren Passagen im Grundgesetz zählt eine Regelung in Artikel 7 Absatz 3, nach der Religionsunterricht "in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen [ein] ordentliches Lehrfach" ist. Wenig bekannt ist diese Regelung auch deshalb, weil der Absatz 2 des Artikels 7 Eltern die freie Wahl lässt, ob sie ihr Kind in solch einen Religionsunterricht schicken wollen oder nicht. Die meisten Kinder konfessionsloser Eltern freuen sich über die daraus resultierende Zusatzpause, in der sie Hausaufgaben machen oder mit dem Handy spielen können. Eine Mutter aus Baden-Württemberg sieht sich dadurch allerdings diskriminiert.

Anna I. hat drei Söhne. Zwei davon gingen bis zu den Sommerferien in die zweite und die vierte Klasse der Karoline-Kaspar-Grundschule im Freiburger Stadtteil Vauban. Im Februar verlangte I. vom baden-württembergischen Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, es solle die Grundschule dazu bringen, einen kostenlosen Ethikunterricht für ihre Kinder anzubieten. Das Ministerium lehnte das teure Ansinnen ab und verwies auf eine Verordnung, die solch ein Angebot erst ab der siebten Gymnasial- und der achten Hauptschulklasse vorschreibt.

Gegen diese Ablehnung legte die Freiburgerin im April vor dem örtlichen Verwaltungsgericht Klage ein. In der Begründung dieser Klage argumentiert sie, dass ihr der im Grundgesetz festgeschriebene Gleichheitsgrundsatz und die Trennung von Staat und Kirche einen Anspruch auf einen kostenlosen Ethikunterricht gewähren würden. Außerdem verweist sie darauf, dass an der Grundschule deutlich weniger als die Hälfte der Kinder evangelisch oder katholisch getauft ist.

Das Freiburger Verwaltungsgericht vertritt in seiner nun veröffentlichen Entscheidung (Az.: 2 K 638/10) jedoch die Auffassung, dass das Grundgesetz in Artikel 7 Absatz 3 den Religionsunterricht explizit privilegiert und dadurch eine Ungleichbehandlung erlaubt. Darüber hinaus halten es die Richter für fraglich, inwieweit solch eine Ungleichbehandlung überhaupt vorliegt, denn "auch Eltern, die der jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht angehören, können ihre Kinder in den jeweiligen Religionsunterricht schicken", wenn sie meinen, dass sie sonst um ihre "moralisch-ethische Orientierung" gebracht würden.

Allerdings dient der Religionsunterricht dem Gericht zufolge vor allem auf Grundschulniveau nicht der "Erörterung ethischer Fragen", sondern soll auf einer "emotional-persönlichen Ebene […] Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft […] als bestehende Wahrheiten […] vermitteln". "Abstrakte Diskussionen über ethische Problemfelder" wären Grundschülern nach Ansicht der Richter "nur schwer verständlich und erweisen sich daher erst ab einer höheren Altersstufe als sinnvoll". Eine "moralisch-ethische Orientierung" wird dem Verwaltungsgericht nach in der ersten bis zur vierten Klasse "fächerübergreifend geleistet", zum Beispiel im Deutschunterricht und beim "sozialen Miteinander innerhalb des Klassenverbandes".

Die Frist, während der gegen das noch nicht rechtskräftige Urteil Berufung eingelegt werden kann, läuft noch bis zum 19. November. Den Weg zum Verwaltungsgerichtshof hat I. davon abhängig gemacht, ob bis dahin genügend Spenden für dieses Vorhaben zusammenkommen. Solch ein Verfahren könnte jedoch recht lange dauern - und die neue baden-württembergische Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag bereits angekündigt, Ethikunterricht an Grundschulen einzuführen. Freilich könnte auch dieses Vorhaben aus finanziellen Gründen noch etwas auch sich warten lassen, wie die grüne Bildungspolitikerin Edith Sitzmann und eine Sprecherin des Kultusministeriums der Badischen Zeitung übereinstimmend mitteilten.

Auch wenn an der Karoline-Kaspar-Grundschule eine Philosophie-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen wurde, die Eltern 120 Euro jährlich kosten sollte, deutet einiges darauf hin, dass es der promovierten Philosophin I. bei ihrer Klage eher um die Stellung der Kirchen gehen könnte, als um den Ethikunterricht, der in den 1970er Jahren vor allem deshalb eingeführt wurde, damit sich Schüler nach Erreichen des Religionsmündigkeitsalters nicht massenhaft aus dem Unterricht verabschieden.

In Bayern gibt es Schulen, in denen Schüler und Lehrer im Konsens beschlossen, während der Ethikstunden Englisch zu machen - das Ergebnis ist für alle Beteiligten so vorteilhaft, dass sich noch niemand darüber beschwerte. Eine wichtige Ursache für solche informellen Lösungen weit abseits der Kultusbürokratie ist, dass der Lehrplan - gerade nach der Verkürzung der Gymnasialzeit - von vielen Schülern als unzeitgemäß und überfrachtet empfunden wird: nicht nur durch Religion und Ethik, sondern auch durch Fächer wie Musik und Sport. Sie sind vor allem Hobbys, gegen deren Ausübung im Privaten nichts spricht, die aber nicht unbedingt in eine öffentlich finanzierte Erziehungsergänzung gehören. Vor allem dann nicht, wenn diese zusehends mit Finanzierungs- und Überfrachtungsproblemen kämpft.

Bei der Verkürzung des Gymnasiums auf acht Jahre wurde zwar eine "Entrümpelung" des Schulunterrichts versprochen - aber nur sehr bedingt geliefert. 2005 riet eine von Baden-Württemberg ins Leben gerufene Arbeitsgruppe zur Verschlankung und Vereinfachung in einem Referentenentwurf dazu, den Sportunterricht zur Entlastung der Schüler in der gymnasialen Oberstufe in die Freiwilligkeit zu überführen. Die Experten kamen darin zu dem Ergebnis, dass eine Streichung der Sport-Pflichtstunden den Schülern mehr Wahlfreiheit und potenzielle Entlastung bringen würde. Das allerdings stieß auf den Widerstand der politisch ausgesprochen gut vernetzten Sportvereine, und so machte das Kultusministerium in Stuttgart stattdessen lieber Abstriche in den Fächern Physik und Chemie.

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