Mehr TV für die armen Kinder und Apps für das bessere Milieu?

Neue "feine Unterschiede" in der Mediennutzung des Nachwuchses

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Amerikanische Kinder unter acht Jahren verbringen mehr Zeit denn je vor einem Bildschirm, meist vor Fernsehgeräten, und britische Jugendliche im Alter zwischen 12 und 15 sitzen ebenfalls länger als früher vor dem TV-Gerät, im Durchschnitt 17,5 Stunden. Bei den Kindergartenkindern und Erstklässlern in den USA sind es durchschnittlich 1 Stunde und 44 Minuten am Tag.

Man hat sich an solche Untersuchungsergebnisse schon gewöhnt. Die meisten Eltern hierzulande und in Frankreich, die der Mittelklasse entstammen, deren Bildungswerte teilen, und nicht auf Niedriglohnarbeit angewiesen sind, haben daraus längst Konsequenzen gezogen. Der Fernsehkonsum, TV und Filme auf Speichermedien, wird stark kontrolliert. Bei vielen dürfen die Kinder weitaus weniger schauen als die oben genannten Zahlen aus den USA. Und täglich schon gar nicht, mit Ausnahmen bei Alleinerziehenden, so zumindest das Bild, das sich aus Erfahrungen im weiteren Bekanntenkreis und aus unterschiedlichen Medienberichten ergibt.

Fernsehkonsum wird in diesem Milieu von Eltern - ausgenommen eine Minderzahl von bewährten Klassikern ("Sendung mit der Maus", "Willi wills wissen") oder neueren Wissenssendungen - eher nicht mit Bildung oder Lernen assoziiert. Die Zeit vor dem TV-Gerät wird als pure Ablenkung verstanden, bei der man etwa mit DVDs aus dem Haus Pixar, bzw. Disney, zur gut gemachten, intelligenten, phantasievollen, etc. Unterhaltung greift.

Man habe das gut im Griff, beteuern Eltern gerne und ein wenig stolz auf ihre Kompetenz, die dann auch den Kindern Kompetenz und Grenzen vermitteln soll - mal abgesehen von bestimmten Moden, so etwa der Prinzessin Liliyfee-Kult bei den kleinen Mädchen, der zu elterlichen Irritationen führt. Weil diese Moden die Unsicherheiten und Ohnmacht gegenüber einer Marketing-Konsumanreiz-Macht offenlegen, gegen die man sich doch mit eingeschränktem TV-Konsum tüchtig zu wehren glaubte.

Neue Mobilbildschirme: zwischen Verunsicherung und Begeisterung

Ganz anders liegt der Fall bei neueren, beweglichen Bildschirmen und beim Computer. Dort herrscht unter den Eltern einerseits schiere Panik, die gut verborgen wird, aber schnell die Fassade durchbrechen kann: fast alle fürchten sie den computer-internet- und spielsüchtigen Stubenhocker, der spätestens im Alter von zehn Jahren keine Lust mehr auf Bücher hat und die Tochter, die aus anderen Gründen nicht mehr vom Smartphone oder vom Computer zu trennen ist. Das mag ein Klischee sein, ist aber als Angst und Sorge real deutlich aus Gesprächen herauszuhören. Dem steht aber auch eine andere Seite gegenüber: die Begeisterung für die neuen Geräte bzw. das Gefühl, den Anschluss bei dieser i-Revolution nicht verpassen zu wollen. Dazu kommt, dass die Mittelklasse-Eltern selbst ihre Jugend in konsumfreudigen Zeiten verbracht haben.

Die "richtige Einstellung" ist für viele Eltern umso schwerer zu justieren, weil sie selbst von den Möglichkeiten der Smartphones, der Tablets begeistert sind und dies durch ihre Beschäftigung mit den Geräten auch an die Kleineren mitteilen. In Gesprächen wird immer auch darauf hingewiesen, wie geschickt die Kleinen sind, wie schnell sie lernen, wie förderlich manche Anwendungen auf dem Smartphone sind. Das sei ja auch interaktiv, im Gegensatz zu den eher passiv ausgerichteten"Lay-Back-Medien" wie TV. Je früher der Nachwuchs mit den Geräten umzugehen lernt, desto besser. In Ärzte/Anwalt-Haushalt spielt die Fünfjährige mit dem iPhone der Mutter, die dazu vergnügt strahlt.

Der "app gap"

Mit diesem Phänomen beschäftigt sich auch die oben genannte US-Studie, die zum ersten Mal auch die Nutzung der neuen, mobilen Bildschirme in ihre Untersuchung des Mediengebrauchs von Kindern einschließt.

Mehr als die Hälfte der Kinder unter acht Jahren, so fand die gestern veröffentlichte Common Sense Media Research Study heraus, haben Zugang zu einem der neueren Mobilgeräte im Haus. Zehn Prozent der bis zu einem Jahr alten Babys dürfen mit ihren neugierigen Finger auf einem solchen Gerät spielen, bei den 5 bis 8-Jährigen ist es die Hälfte. Mehr als ein Viertel der Eltern kommen der Neugier der Kleinen entgegen, in dem sie Anwendungen für sie herunterladen:

Half (52%) of all children now have access to one of the newer mobile devices at home: either a smartphone (41%), a video iPod (21%), or an iPad or other tablet device (8%). More than a quarter (29%) of all parents have down- loaded "apps" (applications used on mobile devices) for their children to use. And more than a third (38%) of children have ever used one of these newer mobile devices, including 10% of 0- to 1-year-olds, 39% of 2- to 4-year-olds, and 52% of 5- to 8-year-olds. In a typical day, 11% of all 0- to 8-year olds use a cell phone, iPod, iPad, or similar device for media consumption, and those who do spend an average of :43 doing so.

Das Phänomen, das die Untersuchung dabei zutage fördert, hat den einprägsamen Namen "app gap". Gemeint ist damit, dass es vor allem Kinder aus besserverdienenden Haushalten sind, die an die neue Geräte herangeführt werden. Kontrastiert wird dies mit der Beobachtung, dass sich bei den ärmeren Haushalten - wo jeder Dritte nicht wusste, was eine App ist - sich der TV-Konsum weiter auswächst und immer noch mehr TV-Geräte in die Kinderzimmer gestellt werden (20 Prozent der Kinder aus Haushalten mit einem höheren Einkommen und 64 Prozent der Kinder aus Haushalten mit geringem Einkommen haben ein eigenes Fernsehgerät in ihrem Zimmer).

Der "app gap" wird als Fortsetzung der digitalen Kluft zwischen ärmeren Haushalten interpretiert

This disparity in access has led to a disparity in use: while 55% of children from higher-income families have used a cell phone, iPod, iPad, or similar device for playing games, watching videos, or using apps, just 22% from lower-income families have done so used a computer, the average age at first use was just 3 ½ years old.

Bis zu zwei Stunden mehr als in besser verdienenden weißen Haushalten würde in afroamerikanischen Haushalten ferngesehen, so ein weiteres Ergebnis, das Unterschiede zwischen privilegierten und benachteiligten Gesellschaftsschichten beschreibt.

In der aktuellen Untersuchung der Ofcom über das Medienverhalten von britischen 12 - bis 15 Jährigen hätten "zum ersten Mal" Jugendliche bei der Frage nach Medienverzicht nicht mehrheitlich Fernsehen als das Medium genannt, das sie am meisten vermissen würden, sondern ihr Mobiltelefon (28 Prozent) oder das Internet (25 Prozent). TV kam nur auf 18 Prozent. Geht es nach Zahlen der Ofcom, so verfügen 95 Prozent der Teens über einen Internetanschluss zuhause.