Wir sind Zombies

In Großbritannien nimmt der Zombie-Kult zu, Wissenschaftler sehen dies als Ausdruck der gesellschaftlichen Situation

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Großbritannien liebt man angeblich die Zombies. Zumindest soll es ein großes Interesse an Zombie-Geschichten und -darstellungen in Computerspielen und Filmen, aber auch an organisierten Zombie-Spaziergängen durch die Städte geben. Am letzten Wochenende haben sich allein in Brighton wieder einmal 3000 Menschen als Zombies verkleidet (Fotos) und sind wie jedes Jahr seit 2007 als lebendige Tote durch die Stadt gezogen, wie BBC berichtet. Die Lust am Morbiden, eine Art Fasching, ist aus den USA und aus Kanada übergeschwappt.

Und weil die Zombies in den letzten Jahren so populär geworden sind, interessieren sich nun auch vermehrt britische Medien- und Sozialwissenschaftler für das Phänomen. Weil nach Marcus Leaning von der University of Winchester der Zombie-Kult auch in Büchern, etwa in Form von ironischen Zombie-Überlebensratgebern, und selbst als Zombie-Gartenzwerge so verbreitet ist, wird man hier erstmals auch einen Kurs über das Phänomen anbieten. Leaning meint, dass die Attraktion für die blutüberströmten und entstellten Körper der Scheintoten auch etwas mit der Wirtschaftskrise zu tun haben könnte: "Wir erleben gerade die wirtschaftlich härtesten Zeiten in der Erinnerung vieler junger Menschen", so Leaning. "Vielleicht sprechen Zombies das von Knappheit geprägte Großbritannien auf eine Weise an, wie das Monster nicht können."

Der Soziologe Nick Pearce von der University of Durham hat das Phänomen studiert und wird auf dem Festival of Social Science des Economic and Social Research Council (ESRC) eine Veranstaltung zum Thema leiten, in der danach gefragt wird, inwiefern Zombies einen Einblick in die gegenwärtige Gesellschaft bieten könnten. Gezeigt wird auch der erste Zombiefilm "White Zombie" (1932) von Victor Halpern, der den Voodoo-Zauberern die Macht gab, Menschen in Zombies zu verwandeln. Besonders originell ist es nicht, von den Zombies auf die Gesellschaft zurückzuschließen, schließlich waren die Zombies auch immer eine Metapher für die Gesellschaft. Interessant ist daher eher, wie dies nun von den Interpreten gemacht wird.

Pearce ist der Überzeugung, dass sich die Zombies, wie sie heute in Filmen oder Computerspielen dargestellt werden, sehr von ihren Ursprüngen entfernt haben. Die ersten Zombies in Halperns Film seien "amoralische, untote Sklaven von Voodoo-Priestern" gewesen. Am Ende der Filme dieser Zeit sei Hoffnung entstanden, wenn sich die Zombiesklaven aufgelehnt hätten und der Herrschaft ihrer Herren entglitten seien.

Seit den späten 1960er Jahren in den Zombie-Filmen von George A. Romero sei der Voodoo-Kontext verschwunden, es habe keinen beherrschenden Meister mehr gegeben, die Zombies würden seitdem als Horden von Menschenfleisch fressenden Monstern dargestellt, was eine sehr stark vereinfachte Zuspitzung ist. Weil sie nicht mehr versklavt seien, könnten sie sich auch nicht mehr auflehnen und sich aus einer Herrschaft befreien, so die Interpretation des Soziologen. Diese Situation würde auch der der Menschen in der Gegenwart gleichen:

Es gibt keine wirklichen Widerstandspläne und keine Hoffnung auf die Zukunft mehr. Zombies könnten deswegen so populär heute sein, weil sie einem ähnlichen Gefühl der Machtlosigkeit entsprechen, das vielen Mitgliedern unserer Gesellschaft gemeinsam ist.

Auch in der Occupy-Bewegung (hier vom 3. Oktober am Liberty Place) spielen Zombies eine Rolle. Bild: David Shankbone/Creative Commons Attribution 3.0 Unported

Allerdings lehnen sich Zombies eben auch gegen die Menschen auf, für den Soziologen sind sie aber Sinnbild für die Menschen, die nicht mehr revoltieren und politisch nicht interessiert sind. Möglicherweise ist die Interpretation des Soziologen selbst ein Symptom unserer Zeit, wo "die Politik" mit "den Märkten" um Vertrauen, Stabilität und Vertrauen kämpft oder wo die Occupy-Bewegung sich gegen das Finanzsystem und die politische Kaste wendet. Einfacher, wenn auch riskanter, war und ist es aus dieser Sicht, gegen Diktatoren und deren Regime aufzubegehren. Sie lassen sich stürzen, aber wie stürzt man den Kapitalismus? Pearce schlägt vor, doch wieder zum alten Zombie-Konzept der von einem Zauberer beherrschten Untoten zurückzukehren, aber dann eine Geschichte zu erzählen, wie erfolgreich Widerstand geleistet werden kann:

Das heutige Zombie-Phänomen ist eine gute Gelegenheit, die Menschen darüber nachdenken zu lassen, wer unsere Gehirne kontrollieren will und welche Möglichkeiten des Widerstands wir haben.

Das hat etwas von Dr. Mabuse-Erzählungen, wie sie im vorfaschistischen Deutschland entstanden sind. Fragt sich nur, was mit solchen Dämonisierungen der Macht von Einzelnen politisch gewonnen werden soll. Wenn aber der Voodo-Zauberer der Kapitalismus ist, dann müsste man sich eher mit anonymen, durch die Handlungen von vielen Akteuren und unterschiedlichen Regeln funktionierenden Systemen beschäftigen. Für den Soziologen ist der Voodoo-Zauberer, der die Menschen in Zombies verwandelt, irgendwie mit dem System des Privateigentums und der Konkurrenz verbunden, das einen geistlosen Konsum verlangt. Den würden die Profiteure anstreben, weswegen sie auf eine "zombifierte" Gesellschaft setzten:

In der Vergangenheit zogen die Zombies umher und fraßen Gehirne, aber die heutigen Zombies werden darin bestärkt, herumzustreifen und die neuesten, heftig beworbenen Markenartikel zu kaufen.

Da wären wir dann wieder bei der Kritik an der Konsumgesellschaft und der manipulierenden Werbung, die die Menschen, wie es in den fünfziger Jahren hieß, durch die "geheimen Verführer" zu "manipulierten Bürgern" (Vance Packard) machte, oder bei der Konformität der "einsamen Masse" (David Riesman). Diese Retro-Orientierung dürfte zu keinem großen Erkenntnisgewinn führen, interessant ist eher, dass Pearce die mit den Zombies verbundene Gewalt beiseite zu lassen scheint. Sollte man vielleicht eher an sozialen Eruptionen denken, wie sie vor kurzem in britischen Städten geschehen sind, als ein Mem die Menschen in Gang setzte, das in wilder Zerstörung und Plünderung mündete? Waren das, im Unterschied zu den Menschen in den Revolten des "arabischen Frühling", die Zombies des Kapitalismus, die einerseits kaputt machten, was sie kaputt macht, und die sich andererseits das holten, was ihnen stets als angesagte Güter vorgegaukelt wurde?

Der britische Regierungschef Cameron hatte möglicherweise schon recht, wenn er den Revoltierenden mangelnde Selbstbeherrschung und fehlende Moral vorwarf (Moral, Strafe und Disziplin nur für die Gangs da unten). Da unten brodelt etwas, das sich jeder Zeit in Form marodierender Horden entladen kann, die auch den Profiteuren der Gesellschaft gefährlich werden können. Noch sind dies abscheuliche Zombies, aber vielleicht sind sie die Zukunft der Menschheit nach dem Kapitalismus und nach der Orgie der Zerstörung und des Fleischfressens?