Putin will neue Union

Der Mitte Oktober von acht post-sowjetischen Staaten unterzeichnete Vertrag über eine Freihandelszone ist nach dem Willen von Putin nur ein Zwischenschritt zu einer Eurasischen Union

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So sehr können die Wahrnehmungen auseinandergehen: Während die westlichen Medien die Gründung der Freihandelszone kaum wahrnahmen, lobte die Moskauer liberal-konservative Nesawisimaja Gaseta den Vertrag als "epochales Dokument".

EurAsEC-Treffen der Regierungschefs am 19. Oktober. Bild: premier.gov.ru

Über den Vertrag von St. Petersburg wurde zehn Jahre verhandelt. Unterzeichnet haben ihn jetzt Russland, die Ukraine, Weißrussland, Kasachstan, Armenien, Kirgistan, Moldau und Tadschikistan. Doch ausgerechnet die an Gas und Öl reichen Staaten Turkmenistan, Aserbaidschan und Usbekistan wollen sich erst später entscheiden. Der Vertrag tritt am 1. Januar 2012 in Kraft. Bis dahin muss er noch von den Parlamenten der Mitgliedsländer ratifiziert werden.

Things are easier for us than, say, for integration in Europe as we share a past, and possess common transport, energy, communications and other infrastructures. We have a huge, deeply rooted cooperation. European countries have never had anything like it, while we inherited it from the Soviet national economy. We speak one common language, too. We don't need translation into 27 languages – which is more of an economic factor than a cultural one.

Wladimir Putin am 19. Oktober 2011

Warum die Eile?

Die Eile, mit welcher der Vertrag unterzeichnet wurde, erstaunt auf den ersten Blick. Eigentlich sollte der Vertrag erst im Dezember unterzeichnet werden, aber irgendetwas drängt den Kreml. Beim näheren Hinsehen wird klar, was ihn drängt. Putin sieht in der Krise der EU für Russland die Chance, die Ukraine und Moldau – aus russischer Sicht Wackelkandidaten - wieder stärker an sich zu binden.

Bei den Verhandlungen über den russischen WTO-Beitritt in Genf, die unmittelbar vor dem Abschluss stehen sollen, hofft Putin mit einer eurasischen Freihandelszone im Rücken bessere Bedingungen für sein Land rausschlagen zu können. Und dann sind da noch die Duma- und Präsidentschaftswahlkampf für die Putin noch ein zündendes Thema fehlt. Warum also nicht die Freihandelszone und als Endziel die Eurasische Union zum Thema machen? Viele russische Wähler trauern der Sowjetunion hinterher. Ein Staatenbündnis welches Russland stärker macht und die Hegemonialbestrebungen der USA in Georgien und Zentralasien bremst, sehen viele Russen positiv.

Unter Putin ging es Schlag auf Schlag

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat es von Seiten des Kreml immer wieder Versuche gegeben, die post-sowjetischen Republiken wieder fester an Russland zu binden. Doch vorangekommen ist dieser Prozess eigentlich erst unter Putin.

2001 wurde auf Initiative von Moskau und Peking die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) gegründet. Diese Organisation, der neben Russland und China auch Kasachstan, Tadschikistan, Kirgistan und Usbekistan angehören, versteht sich als eurasisches Sicherheitsbündnis. Als Beobachter sind Indien, der Iran, Pakistan und die Mongolei auf den Gipfelkonferenzen anwesend.

2002 wurde die "Organisation des Vertrages über kollektive Verteidigung" (ODKB) gegründet. Dem Militärbündnis gehören Russland, Weißrussland, Armenien, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan an. Die ODKB hat eine 4.000 Mann starke "schnelle Einsatztruppe" zu der auch eine Luftwaffen-Einheit auf der russischen Militärbasis "Kant" in Kirgistan gehört. Die OKDB sieht sich vor allem als Bündnis gegen terroristische Bedrohungen.

Am weitesten hat sich jedoch die Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet entwickelt. Im Juli dieses Jahres trat eine Zollunion in Kraft, der Russland, Weißrussland und Kasachstan angehören. Vor kurzem wurde auch Kirgistan in die Zollunion aufgenommen.

Anfang Oktober, nur zehn Tage nachdem Medwedew auf dem Parteitag von Einiges Russland erklärt hatte, er werde zugunsten des amtierenden Ministerpräsidenten nicht zur Präsidentschaftswahl kandidieren, veröffentlichte Putin in der Iswestija einen Grundsatzartikel, in dem er die Bildung einer politischen Union der post-sowjetischen Staaten zum langfristiges Ziel erklärt. Vorstufen auf dem Weg zur "Eurasischen Union" seien die Zollunion und der am 1. Januar in Kraft tretende "Eurasische Wirtschaftsraum".

Die internationale Finanzkrise und der russische Wahlkampf sind für Putin offenbar die wichtigsten Hilfsmittel, mit denen der russische Ministerpräsident das verwirklichen will, was die im Dezember 1991 gegründete "Gemeinschaft unabhängiger Staaten" (GUS) nie schaffte: Die wirtschaftliche Vereinigung der postsowjetischen Staaten. Eine bereits 1994 von der GUS beschlossene Freihandelszone wurde nie realisiert, weil die Parlamente der Mitgliedsstaaten den entsprechenden Vertrag nicht ratifizierten.

Wladimir Putin auf dem EurAsEC-Treffen der Regierungschefs am 19. Oktober. Bild: premier.gov.ru

Finanzkrise hilft Putin bei seinen Plänen

Warum könnte Putin jetzt Erfolg haben? Die Auswirkungen der Finanzkrise zwingen die kleinen und ärmeren Nachbarn Russlands sich der wirtschaftlich potenteren Führungsmacht unterzuordnen. Außerdem entfernte sich die Ukraine mit ihrem harten Urteil gegen die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko demonstrativ von der EU.

Zudem verspricht Wladimir Putin, die Freihandelszone habe wachstumsfördernde Wirkung. Doch nach Meinung der Wirtschaftsexpertin Tamara Kasjanowa hat die Freihandelszone vor allem einen geopolitischen Grund. Russland habe mit seinen 142 Millionen Einwohnern einen wesentlich größeren Markt und ist auf die Freihandelszone wirtschaftlich weniger angewiesen als beispielsweise Kirgistan oder Armenien mit ihren fünf bzw. drei Millionen Einwohnern. Russland werde "mehr geben als nehmen", meint die Expertin. Moskau habe schon durch die Zollunion von Russland, Weißrussland und Kasachstan 430 Millionen Euro verloren, insbesondere an Zolleinnahmen, schreibt die Nesawisimaja Gaseta. Für die russischen Produzenten verstärke sich durch die Freihandelszone außerdem der Konkurrenzdruck durch Importwaren.

Volodymyr Fesenko vom Kiewer Penta-Institut ist dagegen der Meinung, dass Russland und die Ukraine die Hauptnutznießer einer Freihandelszone sein werden, denn das Handelsvolumen der elf GUS-Staaten betrug im ersten Halbjahr 2011 134 Milliarden Dollar. Davon entfallen 60 Milliarden Dollar auf den Handel zwischen Russland und den anderen GUS-Staaten und davon wiederum 25 Milliarden Dollar auf den Handel zwischen Russland und der Ukraine.

Auf seine Export-Zolleinnahmen für Öl und Gas will Russland trotz der jetzt beschlossenen Freihandelszone nicht verzichten. Für eine Übergangszeit sollen Öl, Gas und auch Zucker von dem zollfreien Handel in der Freihandelszone ausgenommen werden.

Moskau lockt mit Preisnachlass beim Gas

Wenn das Parlament in Kiew den Vertrag für die Freihandelszone ratifiziert, wäre das für Putin zweifellos ein Erfolg, mit dem er im Präsidentschaftswahlkampf punkten könnte. Moskau hat schon in der Vergangenheit alles getan, um ein Abdriften der Ukraine nach Westen und insbesondere einen Nato-Beitritt des slawischen Nachbarn zu verhindern.

Offenbar um Kiew die Zustimmung zur Freihandelszone schmackhaft zu machen, kündigte Dmitri Medwedew bei einem Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Janukowitsch im ostukrainischen Donezk an, man sei grundsätzlich bereit, über die Gaspreise mit Kiew erneut zu verhandeln. Wie die Nesawisimaja Gaseta berichtete, ist Moskau bereit, den Basispreis für das russische Gas von zur Zeit 450 Dollar für tausend Kubikmeter auf 350 Dollar zu senken. Im Gegenzug erwartet Moskau, dass sich Kiew mit der Bildung eines ukrainisch-russisch-europäischen Konsortiums für die Bewirtschaftung der ukrainischen Gaspipelines einverstanden erklärt.

Nach dem bisherigen Plan sollen die Ukraine und Russland jeweils 40 Prozent plus eine Aktie an dem Konsortium bekommen, die europäischen Konzerne Gaz de France und Ruhrgas jeweils zehn Prozent. Seit die Ostseepipeline in Betrieb ist, hat das ukrainische Pipelinenetz für Russland weniger als Transitpipeline Bedeutung denn als Instrument, auf dem ukrainischen Markt selbst Gas zu verkaufen.