Eurorettung darf nicht in Geheimgremien abgehandelt werden

Die Regierung Merkel bekommt vom Verfassungsgericht einen Riegel beim Aushebeln des Parlaments vorgeschoben

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Zwei SPD-Parlamentarier hatten einen Eilantrag am Verfassungsgericht gestellt und zunächst bestätigten die Richter ihre Einschätzung, dass die Mitbestimmungsrechte der Abgeordneten des Bundestags unzulässig eingeschränkt werden. Das geplante neunköpfige Geheimgremium zur Kontrolle des Rettungsfonds EFSF konnte sich deshalb am Freitag nicht konstituieren. Bis zur endgültigen Entscheidung muss weiterhin auch in Eilfällen das Plenum des Bundestages über Milliardenhilfe zur Euro-Rettung entscheiden.

Der Schwenk der Bundesregierung in der vergangenen Woche war auffällig. Denn plötzlich holte sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel das Plazet für ihren Hebel doch vom Bundestag (Merkel will nur auf eine Billion hebeln), mit dem der European Financial Stability Facility (EFSF) auf eine Billion aufgehebelt werden soll. Ursprünglich war geplant, die Frage im Haushaltsausschuss abnicken zu lassen, um auch die Mitbestimmung des Bundestags auszuhebeln. Hatte man aus Karlsruhe der Bundesregierung gesteckt, dass man mit diesem Vorgehen am Bundesverfassungsgericht scheitern könnte?

Denn das kann man nach der Entscheidung (Az.: 2 BvE 8/11) des Bundesverfassungsgerichts über den Eilantrag der zwei SPD-Abgeordneten vermuten. Gemäß der einstweiligen Anordnung durfte am Freitag deshalb das neunköpfige Sondergremium nicht gebildet werden, das erst am Mittwoch zur parlamentarischen Kontrolle des EFSF eingesetzt worden war. Angehören sollten dem Gremium Norbert Barthle, Bartholomäus Kalb und Michael Stübgen von der Unionsfraktion. Die SPD sollte von Lothar Binding und Carsten Schneider und die FDP von Otto Fricke und Michael Link vertreten werden. Für die Grünen sollte Priska Hinz und für die Linke Dietmar Bartsch teilnehmen. Mit fünf Stimmen hätte die schwarz-gelbe Regierungskoalition die Opposition auch dann überstimmen können, wenn sich SPD, Grüne und Linke in dem Gremium einig gewesen wären.

Das Verfassungsgericht begründete die Entscheidung damit, dass der neunköpfige Unterausschuss auch Entscheidungen treffen könne, welche die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestags berührten. Damit stellten sich die Richter zunächst hinter die Kritik von Peter Danckert und Swen Schulz. Die SPD-Abgeordneten hatten die Klage eingereicht, weil "die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen des Bundestags auf ein solches Kleinstgremium seine Rechte als Abgeordneter aus Art. 38 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich einschränkt", meinte der Brandenburger Danckert. Die beiden Kläger konnten sich bei ihrem Eilantrag und der Organklage auch auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags berufen, in dem die Verfassungsmäßigkeit des Sondergremiums angezweifelt wurde.

Die Richter schoben dem Unterausschuss einen vorzeitigen Riegel vor, um schwere Nachteile für die Kläger zu vermeiden, wenn der Sonderausschuss zunächst Entscheidungen treffe, die später vom Gericht für verfassungswidrig erklärt würden. Diese Rechtsverletzungen für die Abgeordneten könne das Gericht nicht mehr rückgängig machen, da Deutschland aber international an die Entscheidungen des Geheimgremiums gebunden wäre. Deshalb gaben die Richter dem Eilantrag statt. Der Bundestag bliebe ohnehin handlungsfähig, weil das Parlament jederzeit im Plenum über entsprechende Anträge der Bundesregierung entscheiden könne, argumentieren die Richter.

Das Geheimgremium wird es nun also nicht geben. Wer derweil real zu entscheiden darf, ist noch unklar. Während Danckert meint, der 41-köpfige Haushaltsausschuss des Bundestags sei das richtige Gremium für nötige Geheimentscheidungen bei Nothilfen des EFSF, ist man sich sogar bei seinen Genossen darüber nicht so sicher. Der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider will nun von der Bundesregierung wissen, an wen sie jetzt ihre Entscheidungsvorlagen richten will: "in das Bundestagsplenum oder den Haushaltsausschuss"? Auch Danckert meint, für vertrauliche und eilige Entscheidungen sei das Plenum ungeeignet.

Auch wie lange es dauert, bis das Urteil fällt, ist derweil unklar. Die obersten Richter haben lediglich mitgeteilt, dass die endgültige Entscheidung noch vor Weihnachten möglich wäre, wenn auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werde. Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, geht eindeutig davon aus, dass bis zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts nun auch der Haushaltsausschuss nicht entscheiden darf. "Dazu entnehme ich der einstweiligen Anordnung überhaupt nichts."

Da sich Karlsruhe dazu nicht geäußert hat, müsse derweil das Plenum entscheiden. Dass der Haushaltsausschuss nicht als Ersatzgremium auftreten kann, hat nämlich damit zu tun, dass das zugrunde liegende Stabilisierungsmechanismusgesetz ihn nicht als Entscheidungsgremium nennt. Lammert meint aber, dass deshalb die Handlungsfähigkeit erhalten bleibe. Man habe gerade in den letzten Tagen bewiesen, dass der Bundestag dazu "bereit und in der Lage" sei. Angesichts der Entwicklungen in Italien (Börsen jubeln und Italien stürzt ab) könnte in den nächsten Wochen hektische Zeiten auf den Bundestag zukommen.

Insgesamt wird aber nicht die Frage gestellt, warum es überhaupt Geheimentscheidungen geben soll, wenn es um Steuermilliarden der Bundesbürger geht. Es bleibt derweil auch offen, ob die Verfassungsrichter nun ihre letzte Entscheidung im September zu dieser Materie aufhebeln wollen. Damals hatte das Gericht geurteilt, dass der Bundestag an allen Entscheidungen über Finanzhilfen größeren Umfangs beteiligt werden müsse, wenn dadurch Belastungen für den Bundeshaushalt entstehen.

Allerdings hatten die Verfassungsrichter mit dieser Begründung die Klage von Euro-Skeptikern verworfen. Sie wollten feststellen lassen, dass die Bundesregierung bei den Beschlüssen zu Griechenland-Hilfe und EFSF ebenfalls Rechte des Bundestages missachtet habe. Das sahen die Verfassungsrichter nicht, koppelten aber zukünftige Finanzhilfen an die Vorgabe, dass der Haushaltsausschuss jedem Schritt zustimmen muss. Doch die Regierung Merkel wollte genau den Haushaltsausschuss über das Sondergremium aushebeln. Sie ist damit auf die Nase gefallen und kann nun bei eiligen Entscheidungen mit Verzögerungen rechnen, weil der Haushaltsausschuss in ihrem Gesetz nicht genannt wurde.

Die Verfassungsrichter sind sich wohl auch darüber bewusst, dass die Risiken für deutsche Steuermilliarden mit den Gipfel-Entscheidungen deutlich gestiegen sind. Ohnehin hatten sie schon im September geurteilt, dass es "keine Blanko-Ermächtigung für weitere Rettungspakete" geben könne. In den Fällen von den drei Verfassungsbeschwerden, die aus mehr als 50 Beschwerden für drei Pilotverfahren (Az. 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10) ausgewählt wurden, hatte das Gericht schon definitiv entschieden, dass die Rechte der Abgeordneten dabei nicht ausgehebelt werden dürfen. Der Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte damals auch erklärt, dass der Bundestag keine Gesetze verabschieden könne, durch die er sich selbst entmachte und seiner Rechte beraube. Es ist nicht auszuschließen, dass die Einrichtung des Geheimgremiums als eine solche Selbstentmachtung gesehen wird.