Lehrerverband fordert "sofortige Annullierung" des Schultrojaner-Vertrages

Berliner Piratenfraktion wartet auf 26 Antworten vom Senat

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Am Montag machte der Blogger Markus Beckedahl einen Vertrag öffentlich, in dem die Bundesländer den Schulbuchverlagen und den Verwertungsgesellschaften das Recht einräumen, vom Februar 2012 an Rechner von Schulen und Lehrern stichprobenartig durchsuchen zu lassen. Dabei soll ein Programm nach Lehrmaterial stöbern, das Textteile beinhaltet, auf welche die Schulbuchverlage ein Monopol beanspruchen.

Der Deutsche Philologenverband (DPhV) fordert nach dem Bekanntwerden dieser Pläne über seinen Bundesvorsitzenden Heinz-Peter Meidinger eine Kündigung des Vertrages und eine "sofortige Annullierung" der Klauseln, die den Trojanereinsatz und Disziplinarmaßnahmen bei Urheberrechtsverstößen betreffen. Ein Sonderkündigungsrecht zum 31. Dezember eines Jahres steht nach § 8 der Übereinkunft allerdings nur den Verlagen zu – und zwar dann, wenn "die Überprüfungen aus nicht von [ihnen] zu vertretenden Gründen nicht realisiert werden können [oder wenn] deren Ergebnisse nicht mitgeteilt werden".

Foto: Dhscommtech. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE), eine andere Lehrerorganisation, empfiehlt seinen von verdachtsunabhängigen Durchsuchungen ohne richterliche Anordnung bedrohten 140.000 Mitgliedern dagegen die italienische Lösung: den "Dienst nach Vorschrift" mit veraltetem oder gar keinem Material und ohne Kopien. Am handzahmsten gibt sich die DGB-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die sich lediglich eine "Einbeziehung von Personal- und Betriebsräten" bei der Umsetzung wünscht.

Der Schultrojaner-Skandal lenkt inzwischen auch öffentliche Aufmerksamkeit auf das Geschäftsmodell von Verlagen, die über eine Verletzung von Monopolrechten durch Kopien jammern und in Bilanzen über die "erfreuliche Entwicklung" des Geschäfts mit Schulbüchern jubeln, das nicht nur aus deren Verkauf besteht: Alleine für Analogkopien müssen die Schulen in diesem Jahr 7,3 Millionen Euro an Rechteinhaber zahlen. Eine Summe, die bis 2014 auf 9 Millionen Euro gesteigert werden soll, ohne dass jemand nachvollziehbar erklären könnte, was die Grundlage für diesen Anstieg sein soll.

Dass besonders gute Verbindungen des von nur vier Anbietern beherrschten Schulbucholigopols zur Politik und zur Ministerialbürokratie bestehen, ist die harmloseste Erklärung für so ungewöhnlich vorteilhafte Verträge in Zeiten eines zunehmenden Angebots an freien Materialsammlungen. Landesregierungschefs und Kultusminister, die jetzt keine Vorteilsnahmeuntersuchungen einleiten, dürften auf jeden Fall bei der nächsten Wahl ein potenzielles Problem bekommen.

In Berlin hat der Senat dieses Problem schon jetzt: Dort sitzt nämlich seit der letzten Wahl eine Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus, die eine große parlamentarische Anfrage mit 26 Einzelfrage einbrachte. Darin wollen die Piraten unter anderem wissen, welche Personen den Vertrag genau ausgehandelt haben, ob und wie Betroffene in die Verhandlungen einbezogen wurden, was der Einsatz des (angeblich noch nicht fertiggestellten) Schultrojaners kostet, wer ihn herstellen soll, wann sein Quellcode veröffentlicht wird und wie die aus seinem Einsatz folgenden Grundrechtseingriffe gerechtfertigt werden.

Presseanfragen zum Schultrojaner (die Politiker und Behörden besser ignorieren können als solche der Opposition) blieben bislang häufig unbeantwortet – sogar dann, wenn sie vom nicht als besonders staatsfern bekannten ZDF kamen. Eine der wenigen Ausnahmen machte ausgerechnet der niedersächsische Kultusminister Bernd Althusmann, gegen den seit Juli ein Plagiatsverfahren läuft. Dem Radiosender ffn sagte der CDU-Politiker, die Verlage würden mit den Durchsuchungen nur ihr legitimes Interesse wahren, dass ihre Bücher nicht digital kopiert werden.

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