Bürger legen Handlungsempfehlungen zur Energiewende vor

Arbeitsgruppen. Bild: Silvio Duwe

Mehr Beteiligung steht ganz oben auf der Wunschliste

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Nach acht Bürgerkonferenzen und 22 Bürgerwerkstätten zu den Energietechnologien der Zukunft geht der vom Bundesforschungsministerium (BMBF) initiierte Bürgerdialog zur Energiewende mit der Übergabe des Bürgerreports an Forschungsministerin Annette Schavan zu Ende.

Zu der zweitägigen Abschlussveranstaltung im Berliner Paul-Löbe-Haus sind rund 100 Teilnehmer gekommen, die bereits auf den vorherigen Veranstaltungen mit diskutiert haben. Lediglich drei von ihnen haben ausschließlich am Online-Dialog teilgenommen. Nun sitzen sie zwei Tage lang in Arbeitsgruppen zusammen, um Handlungsempfehlungen zu verschiedenen Themenbereichen zu erarbeiten. "Finalisieren Sie Ihre Handlungsempfehlungen. Sie haben 80 Minuten Zeit", werfen derweil Beamer Arbeitsaufgaben an die Wand. Ein wenig erinnert das an Projektarbeit im Sozialkundeunterricht.

Wie schon bei den vorangegangenen Bürgerkonferenzen arbeiten die Teilnehmer in festen Gruppen zu verschiedenen Themen. Diese sind breit gefächert und reichen von "Technologischen Dimensionen" über "Forschung und Entwicklung" und "Dezentralisierung" bis hin zu "politischer Steuerung", "Erziehung, Bildung und Information" und dem "Bürger als Mitgestalter". Die Themenschwerpunkte wurden auf den vorangegangenen Veranstaltungen entwickelt. Anders als damals halten sich die Experten allerdings vermehrt im Hintergrund - was sowohl von den Teilnehmern als auch von den Experten selbst gern gesehen wird.

Die Teilnehmer des Bürgerdialogs haben die unterschiedlichsten Hintergründe, die Organisatoren haben darauf geachtet, keine Expertenrunden zusammenzustellen. Überraschend ist das rege Interesse gerade auch der älteren Generation, die auf der Konferenz stark vertreten ist - obwohl es sich bei der Energiewende um ein langfristiges Projekt handelt, welches vor allem die jüngere und sogar noch kommende Generationen betreffen wird. Dass die Energiewende kommen muss, ist allerdings ein generationenübergreifender Konsens beim Bürgerdialog.

Damit die Handlungsempfehlungen der Bürger nicht jenseits jeder Realität liegen, sorgt ein Beraterkreis für das nötige Wissen. Das Forschungsministerium hat darauf geachtet, ihn mit unterschiedlichen Interessenvertretern zu bestücken. So sind der Energiekonzern E.ON und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) genau so vertreten wie die Verbraucherzentrale, der ForschungsVerbund Erneuerbare Energien (FVEE) und der Nabu. Deren Vertreter sitzen an einem eigenen Tisch abseits und stehen jederzeit für Fragen bereit. Welchem der Experten die Bürger letztlich vertrauen, müssen sie jedoch selbst entscheiden. Die Bürger finden diese Vielfalt durchaus positiv, Berührungsängste mit der einen oder der anderen Seite scheint es nicht zu geben. Immerhin, so bemerkt ein Teilnehmer gegenüber Telepolis, könne man die Hintergründe der geladenen Experten am Namensschild leicht erkennen und so ihre Aussagen einordnen - im Alltag sei das meist nicht so einfach.

Annette Schavan hört die Vorstellung der Ergebnisse. Bild: Silvio Duwe

Der Bürgerdialog kommt bei allen Beteiligten - sowohl bei den Experten als auch bei den Bürgern selbst gut an. Und dabei können sogar die Experten noch etwas lernen: zwar sind die Ideen, die die Bürger an sie herantragen, nicht grundsätzlich neu. Ihre Herangehensweise an das Thema ist jedoch eine grundsätzlich andere wie die der Forscher. Diese dächten zuerst über Technologien nach und versuchten dann zu überlegen, wie sie in der Praxis eingesetzt werden könnten. Die Bürger hingegen haben konkrete Wünsche und erwarten von der Forschung passende Lösungen - der Denkprozess verläuft bei ihnen genau umgekehrt.

Wer sich die Forderungen der Bürger, die nach zwei arbeitsreichen Tagen auf dem Tisch liegen und ein immerhin 35seitiges Papier füllen, ansieht, der merkt schnell: ein zentrales Anliegen der Menschen ist es, aktiv an der Energiewende mitzuarbeiten. Es sind also keine fortschrittsfeindlichen Wutbürger, wie mancherorts in den Medien suggeriert wird, die sich gegen Kraftwerke, Strommasten und sonstige Infrastrukturmaßnahmen zu Wehr setzen, sondern Menschen, die ihre Umgebung selbst mitgestalten wollen. Das kommt beispielsweise in der Forderung nach Dezentralisierung der Stromversorgung zum Ausdruck, die laut Bürgerreport mit einer Stärkung demokratischer Strukturen einhergehen soll. Zugleich betonen die Teilnehmer des Bürgerdialogs, nicht vor der daraus entstehenden Verantwortung weglaufen zu wollen. Jeder Einzelne solle die Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft übernehmen, heißt es. Geht es nach dem Willen der Bürger, ist die Dominanz der großen Energiekonzerne bis 2022 weitgehend beendet - ein ehrgeiziges Ziel, das wohl kaum erreichbar sein dürfte, aber immerhin die Richtung weist, in die die Gesellschaft künftig gehen möchte.

Übergabe des Berichts. Bild: Silvio Duwe

Weiterhin fordern die Teilnehmer die Erstellung eines Energieatlasses, welcher den Energiebedarf und die Energieerzeugung in jeder Region transparent machen soll - eine Idee, die auch Forschungsministerin Annette Schavan für wichtig hält. Zudem verlangt der Bürgerreport eine transparentere Politik. Diese soll sich mittels Verschärfung bestehender Regelungen für eine schnelle Einführung von intelligenten Stromzählern einsetzen. Auf kritische Stimmen zu Smart Metern bezüglich des Datenschutzes und des Nutzens in einem Haushalt, in dem eine große Anzahl der Stromverbraucher, wie Herd, Licht, Fernseher oder Computer, nur schlecht oder gar nicht von günstigen Tarifen zu Nebenzeiten profitieren könnten, geht der Bürgerreport nicht ein.

Bei der Übergabe des Bürgerreports betont die Forschungsministerin, wie wichtig der Bürger gerade auch für die Energiewende sei - ohne ihn gehe nichts, egal, was die Politik beschließt. Um so mehr freut sich die Ministerin über den Optimismus, mit dem die Teilnehmer an die Energiewende herangehen. Insbesondere die Passage im Bürgerreport, wonach Deutschland der Impulsgeber bei der Energiewende sein müsse, gefällt ihr. Zugleich versprach sie, den Bürgerreport nicht in der Schublade verschwinden zu lassen, immerhin gebiete das schon der Respekt vor den Bürgern, die sich damit viel Arbeit gemacht haben. Schavan versprach, den Report persönlich an die Bundeskanzlerin zu übergeben, zudem wolle sie ihn im Kabinett und an weiteren Stellen in den politischen Diskurs einbringen. Nach einem Jahr, so verspricht Schavan, soll es dann sogar eine Rückmeldung geben, welche Ideen aus dem Bürgerreport in die Politik eingeflossen sind.

Eines will Schavan damit ganz deutlich machen: der Bürgerdialog soll keine Alibiveranstaltung sein, sondern eine echte Möglichkeit der Bürger, sich einzubringen. Die Teilnehmer sind dafür sehr dankbar, kein einziger der von Telepolis befragten Bürger hatte auch nur ansatzweise die Befürchtung, es könne sich hier um eine Beteiligungs-Show handeln. Trotz dieser hohen Zufriedenheit für den Moment zeigt der Bürgerreport jedoch eines ganz deutlich: ohne mehr Mitspracherechte für die Bürger bei konkreten Projekten wird sich in Zukunft wohl kaum noch ein Großprojekt durchsetzen lassen. Wo möglich, wollen die Bürger gar die Infrastruktur selbst übernehmen und dafür beispielsweise Genossenschaften gründen. Derart weitgehende Forderungen allerdings dürften es, trotz der schönen Bilder, die der Dialog geliefert hat, auch in Zukunft äußerst schwer haben. Wenn die Politik keinen Schritt weitergeht und den Bürgern echte Handlungsmöglichkeiten jenseits der feierlichen Übergabe von Ideenpapieren lässt, sind die nächsten Konflikte schon vorprogrammiert.