Schweig, Weib!

Religion und Mysogynie - immer noch ein starkes Bündnis

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Der Fortschritt ist eine Schnecke, und eine sehr langsame dazu. Beleg gefällig? Freikirchliche Glaubenslehren stützen sich wie eh und je auf die wortgetreue Auslegung der Bibel zur ideologischen Unterfütterung ihres Frauenhasses.

Und einfach zu sagen: "Vergib ihnen, Frau, denn sie wissen nicht, was sie tun!" ist in diesem Fall genauso verfehlt wie in vielen anderen - sie wissen ganz genau was sie tun, und finden das auch noch besonders gottgefällig. Die Rede ist von einem Text auf dem Internetportal bibelkommentare.de, der die Frage beantwortet: "Darf eine Frau in den Gemeindestunden beten, lesen, lehren oder weissagen?" Schon der seltsame Sprachgebrauch weist darauf hin, dass wir es hier mit einer besonderen Form des christlichen Bekenntnisses zu tun haben, und wer ein bisschen nachforscht, findet über das Impressum des Portals schnell zu "Verbreitung des christlichen Glaubens e.V." Dieser Verein ist der sogenannten Brüderbewegung zuzurechnen, einem Sammelsurium von religiösen Gemeinden, das es in Deutschland seit 150 Jahren gibt, und dessen wechselvolle Geschichte, inklusive Spaltungen und Wiedervereinigungen, leider niemals in Richtung Rationalität geführt hat, sondern zu allen Zeiten und in allen Schattierungen einem evangelikalen Fundamentalismus verpflichtet blieb. Die Bibelkommentierer von bibelkommentare.de gehören zu den "geschlossenen Brüdern" (sic), einer besonders recht- und enggläubigen Fraktion.

Die ernsthaften Brüder nehmen die Frauenfrage wahrlich nicht auf die leichte Schulter. Sie sind zwar verbohrt, aber nicht so blind, dass sie nicht die Vorsintflutlichkeit ihrer eigenen Vorstellungen im Vergleich zur gesellschaftlichen Realität erkennen. Daher wollen sie, wie andere Hinterwäldler auch, ihre Geistesenge dadurch aufhübschen, indem sie ihr einen Hauch von Unangepasstheit verpassen:

Wohl keine Meinung ist heute im 21. Jahrhundert so unpopulär wie die, dass Frauen sich unterordnen sollen.

Und dann legen sie die Bibel aus, dass die Schwarte kracht. Mit folgenden Ergebnissen:

In dem für die Menschen sichtbaren Teil der Schöpfung hat Gott den Mann als Haupt über die Frau gesetzt. Folglich nimmt die Frau eine untergeordnete Stellung ein. Gott möchte, dass der Mann die Führung und Lenkung auf dieser Erde übernimmt und nicht die Frau. (…)
Ein Mann, der in der Öffentlichkeit betet oder weissagt, repräsentiert darin Gott, weil er „Gottes Bild und Herrlichkeit ist“ (V. 7). Er ist sozusagen das Verbindungsglied zwischen Gott und Menschen.
Der Mann ist Gottes Repräsentant in der Schöpfung und daher ist es in erster Linie seine Aufgabe zu beten und zu weissagen. Dabei soll er sich nicht bedecken, weil er in dem sichtbaren Teil der Schöpfung kein anderes Haupt über sich hat als Christus. Eine Frau kann auch beten oder weissagen (z.B. Apg 2,17; 21,9), wobei sie dann ihren Kopf bedecken soll. Damit gibt sie ihrer untergeordneten Stellung in der Schöpfungsordnung Ausdruck und zeigt, dass das, was sie gerade tut, eigentlich nicht ihrer Stellung entspricht, sondern der des Mannes. Das schließt auch erst einmal aus, dass eine Frau betet oder weissagt, wenn ein Mann anwesend ist, der diese Aufgabe übernehmen kann.

Dumm gelaufen, Frauen. Ihr seid halt einfach immer noch nur zweite Wahl. Nur die mit Glied sind die wahren Verbindungsglieder zu Gott, ihr dürft nur, wenn die grad mal nicht können.

Nun könnte man das alles für lächerlich und vernachlässigbar halten. Die Brüderbewegung zählt in Deutschland nur 45.000 Mitglieder. Aber so einfach ist das nicht. Die heiligen Bücher haben für jeden etwas. Man nimmt sich heraus, was man braucht, um sein eigenes Ding zu drehen. Während aber der liberale Theologe insgeheim immer von der Furcht geplagt wird, der Fundamentalist könne Recht behalten, weil der ja immerhin auch göttlichen Applaus für seine Ideen in den heiligen Schriften findet, ist der Fundamentalist von solchen Sorgen frei - weiß er sich doch von vornherein im Besitz der Wahrheit. Seine wahnhafte Sicherheit ist sein größter Trumpf, und sie beeindruckt auch den Liberalen, dessen Scham über die Entfernung vom Kern der heiligen Sache niemals ganz vergeht. So lange die Autorität der heiligen Bücher nicht grundsätzlich in Frage steht, sind die Liberalen und die Fundamentalisten sowohl Gegen- als auch Mitspieler, mit dem interessanten Nebeneffekt, dass die Liberalen ihren Schatten, den Fundamentalisten, immer eine Tür in die Mitte der Gesellschaft offen halten. Das erklärt, warum das Mobilisierungspotenzial der Fundamentalisten immer größer ist als ihre eigentliche Mannschaftsstärke.

Wenn es heutzutage möglich ist, dass im evangelischen Religionsunterricht gepredigt wird, der Mensch habe zehn Finger, um die zehn Gebote abzählen zu können, oder wenn es im Konfirmationsunterricht heißt, dass es für die historische Existenz von Jesus Christus bessere Belege gebe als für die von Julius Cäsar - zwei Beispiele, die mir in jüngerer Zeit untergekommen sind - dann ist der fundamentalistische Wahn nicht so weit entfernt, wie man glauben mag. Analoges gilt für die freikirchlichen Thesen von der untergeordneten Stellung der Frau in der göttlichen Schöpfungsordnung. Der Extremismus der Fundamentalisten versteht sich oft erschreckend gut mit dem schlummernden Extremismus der Mitte.

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