Die Evolution der Familie

Gruppe, Familie, Paar, Einzelgänger: Forscher zeigen, wie sich das soziale Verhalten des Menschen und seiner Vorfahren entwickelt haben könnte

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Vor fünf bis sieben Millionen Jahren lebten weder Menschen noch Schimpansen auf der Erde - stattdessen durchstreiften die gemeinsamen Vorfahren dieser beiden Primaten-Arten die Wälder und Savannen Afrikas. Von seinen Gewohnheiten ist nicht viel bekannt - britische Anthropologen meinen nun aber, zumindest Rückschlüsse auf sein soziales Verhalten ziehen zu können. In Nature verraten sie, dass der gemeinsame Vorfahr gelebt haben müsste, wie es manch' heutigem Mann durchaus paradiesisch erscheint: Als singulärer Chef eines weiblichen Harems nämlich.

Dschelada-Affen (Theropithecus gelada) sind ein Beispiel für Primaten, die in einer stabilen Gemeinschaft leben. Bild: Peter Fashing/Nature

Die Forscher verknüpfen dazu in ihrem Paper in einer gewissen Fleißarbeit bereits bekannte Daten neu. Zum einen notierten sie die sozialen Strukturen der zahlreichen Primatenarten, zum anderen betrachteten sie die evolutionäre Verwandtschaft dieser Arten untereinander. Ihre These: Das Gruppenverhalten einer bestimmten Art stellt sich nicht, wie bisher vermutet, aus äußeren Gründen ein. Forscher hatten bisher zum Beispiel die Nahrungsverteilung als ursächlich angenommen. Das klingt plausibel: Je nachdem, wie sich die Beschaffung und Verteilung von Nahrung am effizientesten gestalten lässt - etwa durch Jagd in der Gruppe - entstehen auch die passenden sozialen Verhaltensweisen.

"Modell der reversiblen Sprünge"

Diese Theorie haben die Verfasser der neuen Arbeit nicht etwa einfach aufgegeben: Sie haben vielmehr die Verteilung bestimmter Lebensweisen auf unterschiedlich miteinander verwandte Arten statistisch analysiert und geprüft, auf welche Modelle die tatsächlichen Daten am saubersten passen. Mit der Einschränkung, dass ein bisher unbekanntes Modell die Daten noch besser erklären könnte, scheint ein Schema die wenigsten Widersprüche zu generieren, das die Forscher "Modell der reversiblen Sprünge" genannt haben.

Zwischen den Lebensweisen "Solitär", "als Paar / Familiengruppe", "Gruppe mit einzelnem Männchen" und "Mehrere-Männer-mehrere-Frauen-Gruppe" sind demnach Übergänge in jede Richtung möglich - jedoch mit unterschiedlich hoher Übergangsrate. Für jeden dieser Übergänge haben die Forscher aus den Daten eine Wahrscheinlichkeit errechnet. Eben deshalb ist es unwahrscheinlich, dass die direkten gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen schon in Familien zusammenlebten - die Schimpansen hätten dann kaum ihre jetzigen Gruppenstrukturen entwickeln können. Erst einige Zeit nach der evolutionären Trennung der Arten hätte sich dann beim Menschen die aktuelle Familienstruktur entwickelt.

Auch Krabbenesser (Macaca fascicularis) leben in stabilen Gemeinschaften. Bild: Roy Fontaine/Nature

Der Übergang von der Nacht- zur Tagaktivität

Die neue Studie lässt eine Reihe älterer Theorien als unwahrscheinlich erscheinen. Da wäre zunächst die Idee, dass die Gruppengröße allmählich gestiegen ist, indem sich kleinere zu größeren Gruppen vereinten. Vielmehr vollzog sich die Entwicklung in Sprüngen, für die es Auslöser gegeben haben müsste.

Den ersten dieser Übergänge vermuten die Forscher in grauer Vorzeit, vor 52 Millionen Jahren, als Primaten von der Nacht- zur Tagaktivität übergingen. Die Tiere konnten dann nicht mehr im Schutz der Nacht als Einzelgänger auf Nahrungssuche gehen. Stattdessen fanden sie sich in zunächst lockeren Gruppen zusammen, um Stärke durch Quantität zu demonstrieren. Diese aus mehreren Männchen und Weibchen zusammengesetzten Gruppen stabilisierten sich mit der Zeit.

Vor rund 16 Millionen Jahren gab es dann eine weitere Differenzierung, als einerseits stabile Lebensweisen als Paar / Familie entstanden, andererseits Gruppen-Harems mit einzelnen Männchen als Chefs. Die zweite nun zweifelhafte Theorie besteht darin, dass Mutter-Kind-Beziehungen der Treibstoff des sozialen Zusammenfindens zu Gruppen gewesen sein könnten - unter dem Aspekt, dass Verwandtschaft die Kooperation befördert. Eher war es wohl andersherum: Stabile Gruppenstrukturen ermöglichten es erst, dass sich die Verwandtschaft gewissermaßen als Schmierstoff der Kooperation in diesen Gruppen etablieren konnte.