Staatsschuldenbbau durch eine einmalige Besteuerung hoher Vermögen

Endrunde in der Finanz- und Wirtschaftskrise

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Die Finanzkrise kann in ihrer Dramatik auch Stilblüten treiben. Während nationalstaatlich fragmentierte Politik sich in der stereotypen Generierung von "Rettungspaketen" im Hamsterrad einer Defizitkonjunktur erschöpft, kommen politisch konstruktive Vorschläge aus wirtschaftsnahen Kreisen.

In einer Studie der (kaum marxistischen Gedankenguts verdächtigen) Boston Consulting Group (BCG) machen die Autoren im wesentlichen den Vorschlag, die selbstverstärkende Verschuldungsdynamik von Staaten, Haushalten und Unternehmen durch eine einmalige Besteuerung hoher Vermögen (etwa ab € 100.000) zu durchbrechen.

Prämisse dieses Vorschlags ist, dass eine Defizitkonjunktur dann eine negative, selbstverstärkende Dynamik erfährt, wenn der kombinierte Verschuldungsgrad eines Staatshaushaltes 180% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) überschreitet; Haushalte, Unternehmen bzw. Staaten sich also je höher als 60% des BIP verschulden. Bezogen auf die Eurozone wären hohe Privatvermögen mit durchschnittlich 34% zu besteuern, um die bestehenden Defizite auf genannten Verschuldungsgrad zu reduzieren - mit markanten regionalen Unterschieden: Während sich in Deutschland die Privatvermögen auf lediglich 89% reduzieren würden, würden sich die Vermögen etwa in Griechenland, Spanien und Portugal im Schnitt um die Hälfte vermindern. In den USA bzw. England würde die einmalige Notbesteuerung von Privatvermögen bei 26 bzw. 27% liegen.

Konstruktiv und praktikabel ist dieser Vorschlag deshalb, weil er grundsätzlich politisch, also mit dem Instrumentarium der Macht, mit der Durchsetzung gesetzlichen Reglements durchführbar ist. Denn der in diesem Zusammenhang immer wieder zu hörende vage Ruf nach einer stärkeren "Regulierung", nach einer "Bändigung" des Banken- und Finanzsektor muss eine politische Leerformel bleiben. Mit dem 1997 verstorbenen deutschen Soziologen Niklas Luhmann kann man wissen, dass die Funktionssysteme der Gesellschaft, hier Politik und Wirtschaft, in ihrer unterschiedlichen funktionalen Logik und mit ihren inkompatiblen Zielen gegenseitig intransparent operieren. Während die Politik demnach der (Finanz-)Wirtschaft seit 2008 sogenannte "Rettungspakete" mit dem Ziel zur Verfügung stellt, die Finanzmärkte zu "stabilisieren", "missbrauchen" diese die billig zur Verfügung gestellten Gelder in der ihre eigenen funktionalen Logik zur Profitmaximierung. Dass die Zahl der Millionäre im Zuge der Wirtschaftkrise zugenommen hat, ist deshalb wenig erstaunlich.

Der Einfluss der Politik auf die Wirtschaft beschränkt sich im Wesentlichen auf die Erhöhung oder Senkung von Steuern. Ob etwa Leerverkäufe verboten werde sollen oder ein Verbot von bestimmten Finanzinstrumenten wie Kreditverbriefungen sinnvoll ist, muss in den inkompatiblen Perspektiven von Wirtschaft und Politik umstritten bleiben. Jedenfalls ist im hohen Masse politisch naiv, davon auszugehen, dass von der Politik zur Verfügung gestellte "Rettungspakete" von der Wirtschaft gemäß politischen Zielen verwendet würden. Generell werden ja auch Steuern in der Wirtschaft nicht bezahlt, um einem politischen oder gar gesamtgesellschaftlichen Nutzen gerecht zu werden, sondern im Sinne einer funktionsnotwendigen Logik zur Wirtschaftlichkeit, zur Profitabilität, vermieden. Andererseits dient Bimbes in der Politik auch nicht der Maximierung von Profiten, sondern kann zum Ausbau von Macht benutzt werden.

Politisch praktikabel und gerechtfertigt ist der Vorschlag der Autoren der BCG auch deshalb, weil die Zielgruppe der Besteuerung einerseits in den letzten Jahrzehnten am stärksten von der nun kollabierenden Defizitkonjunktur profitierte, wie etwa die Gegenüberstellung der Entwicklung der Privatvermögen und der Staatsverschuldung in Deutschland zeigt. Anderseits wird sie auch zukünftig am stärksten von der Notbesteuerung ihrer Vermögen profitieren. Es ist die Zielgruppe, die bei einem Kollaps des Finanzsystems oder bei einer Inflationierung von Geldwerten am meisten verlieren würde und damit stärkstes Interesse an der Stabilität von Währungen haben muss. Deren Stabilität ist allerdings keine Selbstverständlichkeit, sondern genauso mit Kosten verbunden, wie eine wirtschaftsnotwendig funktionierende Infrastruktur, oder die Verlässlichkeit und Funktionalität der Justiz eines Staates.

Nicht zuletzt ist festzuhalten, dass sich die Politik gemäß dieses Vorschlages wieder einer ihrer Kernkompetenzen widmen müsste, statt verzweifelt an der seit Jahrzehnten nun in den Endzügen liegenden wirtschaftlich korrumpierten Defizitpolitik festzuhalten. Nämlich mit den ihr eigenen Mitteln (nationalstaatlicher) Macht, (weltpolitische) Macht aus- und aufzubauen, um global fiskalpolitisch koordiniert die gefährliche Eigendynamik eines weltwirtschaftlichen Schuldenkreislaufs zu durchbrechen, der mittlerweile eine riskante Bedrohung für die Weltgesellschaft darstellt.

Langfristig muss Politik dafür sorgen, dass der Kreislauf der Konsumtion (sich reproduzierender Zahlungsunfähigkeit) nicht mehr exzessiv wie derzeit durch das im Zuge der Globalisierung entstandene Finanzsystem bedient wird, das exzessiv profitabel Verschuldungen bewirtschaftet. Hingegen muss über ausreichend hohe, die wirtschaftliche Profitabilität berücksichtigende Besteuerung etwa von Unternehmensgewinnen, Vermögen, Erbschaften und Finanztransaktionen, sowie durch eine angemessen hohe Entlohnung von Arbeit - in Deutschland ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns überfällig -, das Finanzsystem wieder unmittelbar an den Produktionskreislauf (sich reproduzierender Zahlungsfähigkeit) gekoppelt werden.