Mängel und fehlende Daten bei der Riester-Rente

Zehn Jahre nach Einführung der Riester-Rente ist immer noch unklar, ob das Prestigeprojekt den Erwartungen gerecht werden kann, die Bundesregierung setzt schon auf die nächste private Zusatzversicherung

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Der Namensgeber hat sich längst in die Privatwirtschaft verabschiedet und vermutlich keine Probleme mit seiner Altersversorgung. Denn Walter Riester (SPD) bemühte sich schon in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter, das schmale Politiker-Salär aufzubessern und für schlechte Zeiten ein paar Euro beiseite zu legen.

Viele seiner Landsleute setzen dagegen auf das bekannteste Projekt des ehemaligen Arbeits- und Sozialministers - in der Hoffnung, das sinkende Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung perspektivisch ausgleichen zu können. Bis Ende Juni 2011 wurden fast 14,8 Millionen Riester-Verträge abgeschlossen und knapp 37 Milliarden Euro angespart.

Ob die Kontrakte halten, was sie versprechen, steht aber auch zehn Jahre nach Inkrafttreten des Altersvermögensgesetzes noch immer in den Sternen.

Defizite in der Forschung

Die allgemeine Ratlosigkeit ist umso erstaunlicher, als im vergangenen Jahrzehnt gleich bändeweise Untersuchungen durchgeführt wurden, die mit Modellrechnungen und Kalkulationen aller Art aufwarteten. Trotzdem diagnostiziert Florian Blank vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung in einer aktuellen Studie ein erhebliches Forschungs- und Erkenntnisdefizit.

Es zeigt sich, dass aufgrund der Forschungslage eine abschließende Bewertung nur für einzelne Aspekte möglich ist, da zu einigen zentralen Fragen keine oder nur lückenhafte Daten vorliegen oder verfügbare Daten teils widersprüchliche Schlüsse zulassen.

Florian Blank

Blank kritisiert zunächst die unvollständigen Informationen über den Umfang der Förderung und die Zahl der potenziellen Nutznießer. Den 14,8 Millionen Riester-Verträgen stehen fast 40 Millionen Menschen gegenüber, die einen Anspruch auf diese Form der privaten Altersvorsorge haben. Überdies sollen Sparer einen Teil der Verträge ruhen lassen, wieder storniert haben oder nur einen Teil der möglichen Förderung ausschöpfen. Generell scheint das große Interesse der ersten Jahre kontinuierlich nachzulassen. Im ersten Halbjahr 2011 wurden nur etwas mehr als 400.000 neue Riester-Verträge abgeschlossen, im gesamten Jahr 2010 waren es mehr als 1,1 Millionen.

Die möglichen Gründe (mangelhafte Informationen, finanzielle Probleme, Verlust des Arbeitsplatzes) liegen nach Blanks Einschätzung weitgehend im Dunkeln. Unter diesen Umständen könne der Staat aber kaum angemessen auf mögliche Fehlentwicklungen reagieren.

Unbeantwortet bleibt auch die seit Jahren diskutierte Frage nach der Rendite der Riester-Rente, die ursprünglich vier Prozent pro Jahr betragen sollte. Dass Versicherungen und Banken von dem Milliardenspiel profitieren, steht außerfrage, denn das zuständige Bundeszentralamt für Steuern hat mittlerweile über 5.000 Produkte zertifiziert. Ob auch die Sparer auf ihre Kosten kommen oder eher darauf sitzenbleiben, lässt sich nur bedingt vorhersagen. "Systematische Überblicke über Kosten und Renditen der Riester-Produkte fehlen", bilanziert Florian Blank, nicht einmal die Bundesregierung könne für diese Bereich verlässliche Daten liefern.

Schließlich befürchtet der Wissenschaftler ungewollte Mitnahmeeffekte. Denn auch Zeitgenossen, die bereits ausreichend für ihren Ruhestand vorgesorgt haben, interessieren sich für die nicht unbeträchtlichen Zulagen und die verschiedenen steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten. Immerhin zahlt der Staat jedem Sparer eine Grundzulage von 154 Euro und weitere 300 Euro für Kinder, die 2008 oder später geboren wurden. Die imaginäre Modellfamilie mit Eltern und zwei Kindern kommt so im Idealfall auf 908 Euro staatlicher Zulagen pro Jahr für die private Altersvorsorge.

Wer die komplizierten Richtlinien nicht durchschaut, kann aber schnell leer ausgehen. Mitte des Jahres mussten zahlreiche Riester-Sparer feststellen, dass sie offenkundig irgendetwas falsch gemacht und die notwendigen Voraussetzungen doch nicht erfüllt hatten. Die Zulagenstelle für Altersvermögen buchte bereits ausgezahlte Zulagen im Wert von immerhin 490 Millionen Euro wieder zurück.

Florian Blank hält die Frage, wie zielgenau die Riester-Förderung am Ende wirkt, für unzureichend geklärt. Auch in diesem Bereich gebe es noch erheblichen Forschungsbedarf.

Kein Modell für Geringverdiener

Auch die Stiftung Warentest nimmt den 10. Geburtstag der Riester-Rente zum Anlass, sich ausführlicher mit der privaten Altersvorsorge zu beschäftigen. Sie sieht die "Schwachstellen" besonders in der sozialen Ausgewogenheit - also ziemlich genau da, wo Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gerade noch die Chancen verortete:

Wer auch via Riester in die Alterssicherung investiert, ergänzt die gesetzliche Rente und verschafft sich zusätzliche Sicherheit. Das geht schon mit kleinen eigenen Beiträgen - gerade für Frauen und Familien mit Kindern, und für die, die nicht so viel verdienen. Wer in Zukunft im Alter auf seinen gewohnten Lebensstandard nicht verzichten will, muss heute einen Teil seines Geldes in die zusätzliche Altersvorsorge stecken - privat, betrieblich oder beides.

Ursula von der Leyen

Die Tester bemängeln dagegen eine Ungleichbehandlung von Gut- und Geringverdienern. 4 Prozent des rentenversicherungspflichtigen Bruttoeinkommens aus dem Vorjahr müssen in den Riester-Vertrag fließen, um die staatlichen Zulagen in voller Höhe ausschöpfen zu können. Wer allerdings 2.100 Euro pro Jahr einzahlt, erreicht die Förderhöchstgrenze und bleibt, unabhängig vom tatsächlichen Gehalt, von weiteren Forderungen verschont. Wer jedoch so wenig verdient, dass die Zulagen schon mehr als 4 Prozent des Bruttoeinkommens ausmachen, muss mindestens 60 Euro im Jahr aufbringen.

Geringverdiener, die im Alter auf Grundsicherung angewiesen sind, haben nach Ansicht der Stiftung überhaupt keine Vorteile von der Riester-Regelung, da eigene Einkünfte und Vermögenswerte auf die Sozialleistungen angerechnet werden. Die Grundsicherung schmilzt in diesen Fällen um die Erträge aus den Riester-Verträgen.

Mangelnde Transparenz

Mitte des Jahres sorgte eine Untersuchung des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP) für weiteren Diskussionsstoff.

Demnach fühlen sich viele Banken und Versicherungen durch das Milliardengeschäft mit den Riester-Verträgen offenbar nicht verpflichtet, ihren Kunden transparente Konzepte vorzulegen. Gerade einmal ein Viertel aller Anbieter hatte die Kosten von Riester-Versicherungen und Riester-Fondspolicen "klar und nachvollziehbar" ausgewiesen. "Teils werden die Kosten nur im Fließtext abgebildet und über undurchsichtige Zeiträume hinweg kumuliert", meinte IVFP-Geschäftsführer Michael Hauer.

Ähnliches geschieht mit der bereits erwähnten Renditeerwartung, sodass die Vermutung nahe liegt, das komplizierte Regelwerk könne einzig und allein dazu dienen, die Sparer über Probleme und Risiken, die möglicherweise erst in Jahrzehnten sichtbar werden, hinwegzutäuschen.

Die staatliche geförderte Altersvorsorge entpuppt sich bei genauem Hinsehen nicht als der viel gepriesene wertvolle Zusatzbaustein, um die magere gesetzliche Rente aufzubessern. Vielmehr hängt es von den Lebensumständen und - wie bei anderen Rentenversicherungen auch - letztlich von der Lebensdauer ab, ob sich Riestern jemals rechnet. Denn trotz Förderung müssen Sparer oft erst ein fast schon biblisches Alter von über 90 Jahren erreichen, um auf eine auskömmliche Rendite nach Steuern zu kommen und wenigstens die Inflation, aktuell etwa 2,6 Prozent pro Jahr, zu schlagen.

Niklas Hoyer, WirtschaftsWoche

Den erheblichen Zweifeln am individuellen Nutzen entsprechen gewichtige Bedenken gegen die gesamtwirtschaftlichen Vorteile der Riester-Rente, die bereits 2009 ausführlich dokumentiert wurden.

"Das ist der Pflege-Bahr"

Trotz der erheblichen Probleme und zahlreicher ungeklärter Fragen soll nun ausgerechnet die Riester-Rente zum Modell für eine neue Pflegeversicherung werden. Die ist längst überfällig, und das nicht nur, weil der frühere Gesundheitsminister und jetzige FDP-Chef Philipp Rösler 2011 zum "Jahr der Pflege" ausgerufen hat.

Doch vom großen Wurf war die schwarz-gelbe Bundesregierung am vergangenen Wochenende weit entfernt. Die Koalition einigte sich auf eine Anhebung der Beiträge um 0,1 Prozentpunkte ab 2013 und den Aufbau einer freiwilligen privaten Pflegevorsorge, die der Bundesgesundheitsminister konzipieren soll. "Das ist der Pflege-Bahr", frohlockte FDP-Generalsekretär Christian Lindner.

Verbände, Gewerkschaften und Oppositionsparteien erteilten der Miniaturreform allerdings bereits eine klare Absage. "Das ist weniger als eine kurzfristige Notlösung, die weder die Situation der Pflegebedürftigen noch die der Angehörigen ausreichend verbessern wird", meinte Andreas Westerfellhaus, der Präsident des Deutschen Pflegerats . Die stellvertretende SPD-Vorsitzende hatte denn auch gleich eine Zielgruppe für das neue Projekt ausgemacht. "Die einzigen, die hier verdienen werden, ist die Versicherungswirtschaft", schimpfte Manuela Schwesig.

Aber war das bei ihrem alten Parteifreund Walter Riester nicht ganz ähnlich? Insofern wäre der 67-Jährige sicher der geeignete Berater - nur für den Fall, dass der Gesundheitsminister fürs erste eine Kommission einrichten möchte.

Auch nach meiner aktiven Zeit im Bundestag, werde ich weiterhin nicht nachlassen, bei Vorträgen, Schulungen und Konferenzen für eine nachhaltige Entwicklung sozialer Sicherungssysteme zu werben.

Walter Riester