"VermittlerInnen" und "ProduzentInnen"

Führende Grüne entdecken vor dem Bundesparteitag ihr Herz für die Rechteverwerterindustrie

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Manchmal hat man den Eindruck, dass die Grünen viel mit einem Zauberkünstler gemein haben: Das, was in den Hut reingesteckt wird, ist nämlich oft etwas ganz anderes, als das, was herauskommt. Zum Beispiel bei der Bundesregierungsbeteiligung nach 1998, als die Partei nicht nur mit einem Angriffskrieg überraschte, sondern auch mit einer Deregulierung der Finanzmärkte, in deren Rahmen unter anderem Leerverkäufe legalisiert wurden. Oder beim Netzpolitik-Wahlprogramm 2005, das von der Crowd erstellt werden sollte, aber dann doch komplett anders aussah, als das, was im dafür angebotenen Wiki zusammengestellt wurde.

Ähnliches könnte jetzt mit dem Netzpolitik-Leitantrag "Offenheit, Freiheit, Teilhabe" passieren, über den Ende des Monats ein Parteitag entscheiden soll. Er enthält in seiner jetzigen Form zum Beispiel die Anregung, Immaterialgüterrechte nicht automatisch 70 Jahre lang nach dem Tod eines jeden Urhebers gelten zu lassen, sondern erst einmal nur fünf Jahre ab Veröffentlichung. Wer glaubt, darüber hinaus noch Monopolrechte zu benötigen, müsste die jeweiligen Werke danach gebührenpflichtig registrieren. Das funktionierte in der Vergangenheit zum Beispiel in den USA sehr gut und würde das Problem der verwaisten Werke lösen.

Zu diesem Vorschlag gibt es einen Änderungsantrag D-02-526, der fordert, dass der entsprechende Passus vollständig aus dem Leitantrag entfernt wird. Zu Begründung heißt es darin, es gebe bei den Grünen "bezüglich der politischen Ausgestaltung einer Flexibilisierung von Schutzfristen unterschiedliche Auffassungen" und diese müssten "im Hinblick auf die komplexe Thematik in einer dafür eingerichteten Arbeitsgruppe diskutiert und abschließend geklärt werden".

Gestellt wurde dieser Änderungsantrag unter anderem von Agnes Krumwiede, der kulturpolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Sie sitzt zusammen mit dem SPD-Politiker Lars Klingbeil, dem CDU-Abgeordneten Steffen Kampeter, dem Musikindustrielobbyisten Dieter Gorny, dem Musikindustrieanwalt Jens Michow und dem Gema-Aufsichtsratsvize Frank Dostal (der Stücke wie Du, die Wanne ist voll, Das Lied der Schlümpfe und Unter dem Schottenrock ist gar nichts textete) im Aufsichtsrat der Initiative Musik. D-02-526 wurde unter anderem von Volker Beck mit unterzeichnet, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, der in den 1980er Jahren einmal das Programmieren von dBASE-Datenbanken lernte und bei den Grünen als Experte für Netzpolitik gilt.

Volker Beck. Foto: Mathias Schindler. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Während der Leitantrag in seiner ursprünglichen Form von einer Stärkung der Position von "KünstlerInnen" und "UrheberInnen" gegenüber den "Verwertern und Vermarktern" ihrer Werke spricht, wollen der Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag, die medienpolitische Sprecherin Tabea Rößner und eine unbekannte Anzahl weiterer Unterzeichner des Änderungsantrages D-02-430 auch die Monopolansprüche von "VermittlerInnen" und "ProduzentInnen" geschützt sehen. Da sowohl die GmbH als auch die Aktiengesellschaft weiblich sind, scheint es fast, als hätte man das große I in diesem Fall auch kleinschreiben können.

Tabea Rößner, die in der Vergangenheit unter anderem mit der Äußerung auf sich aufmerksam machte, [zensiert], möchte darüber hinaus die Zwischenüberschrift "Keine Internetsperren" durch "Teilhabe und Rechtsstaatlichkeit im Internet sicherstellen" ersetzen. Zur Begründung führt sie an, dass es in dem Abschnitt auch um Kinder- und Jugendschutz gehe und der Begriff Internetsperren "im Zusammenhang mit dem geplanten Jugendmedienschutzstaatsvertrag […] nicht korrekt" sei. Dieser Änderungsantrag wurde unter anderem von den Bundestagsabgeordneten Ekin Deligöz und der ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Krista Sager mit unterzeichnet.

An einer anderen Stelle im Antrag wollten die Autoren des Leitantrags einen Widerspruch im Immaterialgüterrecht auflösen und die "Wiederveräußerbarkeit von Immaterialgütern […] verbraucherrechtlich verankern". Damit hätten Gerichte Klarheit und Verbraucher könnten rechtssicher Software weiterveräußern, auch wenn sie beim Kauf keinen Datenträger dafür erhalten. Die Internet-Enquete-Kommission des Bundestages, in der auch Vertreter von Union, SPD, FDP und Linkspartei sitzen, findet das gut - die Verwerterlobby bei den Grünen nicht. Auch für diese Passage liegt deshalb ein Krumwiede-Änderungsantrag auf Streichung vor. In der ziemlich wirren Begründung dazu, die vor Binnen-Is geradezu wimmelt, bleibt unklar, ob die Antragstellerin verstanden hat, dass es hier nicht um Privatkopien, sondern nur um digitale "Originale" geht.

Nicht einmal die Kulturflatrate, die die Grünen schon seit vielen Jahren als eine Art netzpolitisches Aushängeschild vor sich hertragen, ist auf dem Parteitag vor Änderungsanträgen sicher: Die einschlägig bekannte Europaabgeordnete Helga Trüpel will das Modell nämlich dadurch entkernen, dass sie die Zahl der legalen Teilnehmer an einem P2P-System auf maximal 50 Personen beschränkt. Zusätzlich möchte die studierte Religionspädagogin eine Begrenzung "auf eine bestimmte Datenmenge" einführen, die von den Providern kontrolliert werden soll.

Setzt sich so viel Monopolförderung durch, wie sie in diesen Anträgen enthalten ist, dann könnte es leicht sein, dass die Grünen ungewollt noch ein anderes Monopol fördern: Das der Piratenpartei auf eine bürgerfreundliche Netzpolitik.

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