Regiert Goldman Sachs nun in Italien?

Während der Regierungsbildung in Italien wird nun auch die Lage für Spanien bedrohlich

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Wurde mit dem neuen italienischen Premierminister Mario Monti nun der Bock zum Gärtner gemacht? Schließlich ist er Berater der US-Investmentbank Goldman Sachs. Die hat bekanntlich eine unrühmliche Rolle in der Finanzkrise gespielt und mit Monti ist der zweite Goldman-Vertraute in europäische Führungspositionen aufgerückt. Auch auf den neuen italienischen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) fällt der lange Schatten von Goldman Sachs. Unklar ist, ob Monti überhaupt die nötige Unterstützung im Parlament erhält. Die Lage an den Finanzmärkten ist weiter angespannt und mit dem Chaos in Italien sind nun auch Spaniens Zinsen auf eine Höhe gestiegen, die es zum Rettungskandidaten machen.

Von einigen wird Mario Monti als "genau der richtige Mann für Italien" bezeichnet. Es wird von Technokraten-Regierungen gesprochen, die angeblich den Karren aus dem tiefen Schlamm ziehen sollen. In diesem Schlamm haben aber Konservative in Griechenland und Italien ihre jeweiligen Länder versenkt, die nun aber in den jeweiligen Übergangsregierungen mitwirken wollen oder sollen. Zwar ist klar, dass mit Berlusconi und seinen Korruptions- und Bunga-Bunga-Affären nun wirklich kein Staat zu machen ist. Doch Monti ist eher einer der Böcke, die verstärkt zum Gärtner gemacht werden (Eine Gärtnerstelle und mehrerlei Böcke).

Es ist erstaunlich, wie in nur wenigen Jahren abgehalfterte Technokraten mit Vorstellungen an die Spitze von Institutionen und sogar Staaten gespült werden, die sich in der Krise als Sprengstoff für das Finanzsystem herausgestellt haben. Auffällig ist hier die italienisch-amerikanische Achse. Denn Mario Monti ist kein unbeschriebenes Blatt und er ist nicht nur als "seriöser Vertreter seines Landes, mit guten Noten als EU-Kommissar" bekannt. Monti ist noch immer Berater der US-Investmentbank Goldman Sachs. Im aktuellen Jahresbericht der Bank wird er als Mitglied des "Board of International Advisors" geführt und hat schon in dieser Funktion "die EU bei der Bewältigung der Schuldenkrise beraten".

Es ist deshalb auch erstaunlich, dass sich eine Bank zum Berater einer Schuldenkrise aufspielt und noch dazu von Brüssel in dieser Funktion akzeptiert wird, die selbst in der Finanzkrise 2008 in arge Not kam. Mit Montis italienischem Kollegen Mario Draghi, gerade sogar zum Chef der Europäischen Notenbank (EZB) aufgestiegen, ist nun ein weiterer gestandener Neoliberaler ohne Wahlen in ein hohes Amt gehievt worden.

Von wem? Nicht die Affären oder die Wähler haben Berlusconi aus dem Amt gejagt. Es waren die Finanzmärkte, die ihn über den Zinsdruck zu seinem Rücktritt gezwungen haben. So konnte neben Draghi ein weiterer Mann aus ihren Reihen auf einem hohen Posten in der Euro-Zone platziert werden. Draghi hat schon alle Hoffnungen der Finanzindustrie erfüllt. Mit seiner ersten Entscheidung hat er die Zinsen trotz der Inflationsgefahren gesenkt und flutet damit den Geldmarkt weiter. Damit wird die grundsätzlich Aufgabe der EZB, für Geldwertstabilität zu sorgen, weiter unterminiert.

Mit Maßnahmen, Geschäftsmodellen und Technokraten, die für die derzeitige Krise mitverantwortlich sind, sollen die aktuellen Probleme gelöst werden

Mit Draghi und Monti sitzen also nun zwei italienische Wirtschaftswissenschaftler auf hohen Posten, die auf der Lohnliste einer höchst umstrittenen US-Bank standen oder stehen. Und es sei daran erinnert, dass es die Bank Goldman Sachs war, die Griechenland dabei geholfen haben soll, einen Teil seiner Staatsschulden zu verschleiern, um überhaupt in den Euroraum aufgenommen zu werden. Darin war im Übrigen auch der neue Chef der griechischen Übergangsregierungschef Loukas Papademos verwickelt. Damit wurde die europäische Statistikbehörde Eurostat getäuscht, um das "wahre Haushaltsdefizit erst nach der Aufnahme in die EU" auftauchen zu lassen. Immer wieder tauchen auch Berichte auf, dass auch die Zahlen Italiens aufgehübscht worden sein sollen, woran Draghi federführend beteiligt gewesen sein soll. Man kann also dem Handelsblatt nur beipflichten, das heute von einem "stillen Putsch" spricht, denn nun "bekommen die Finanzmärkte, was sie wollen".

Die Mittelstands Nachrichten weisen auch darauf hin, dass es Goldman Sachs ist, die mit den Wetten gegen den Euro ihren Kunden ein attraktives Produkt anbietet. Damit wurde dazu beigetragen, dass die Eurozone in diese Krise geführt wurde. Dazu dienen massive Angriffe mit hohen Summen, damit sich die Wetten gewinnbringend in selbsterfüllende Prophezeiungen verwandeln. Portugal ist deshalb regelrecht abgeschossen worden. Doch die Produkte und das Geschäftsmodell von Goldman Sachs führten bekanntlich auch in die Subprime-Krise, die als Auslöser der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise gilt.

Erwähnt sei hier auch, dass deshalb Goldman Sachs sogar in den USA angeklagt wurde. Allerdings kamen bei den Hearings, bei denen Goldman Sachs vom "Levin-Komitee" des US-Senats "gegrillt" wurde (US-Senat "grillt" Goldman Sachs), nur harte Rügen heraus. Konsequenzen gab es keine. Es ist auch bekannt, dass sich die US-Regierung unter Barack Obama, auf die die Großbanken großen Einfluss haben, sich sogar gegen die zaghaften Vorstöße aus Europa wehrt, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. So ist man bei der Regulierung der Finanzmärkte, um die Finanzmärkte wenigsten zu bändigen, in vier Jahren kaum einen Schritt weiter gekommen. Man muss sich nicht wundern, dass die Finanzkrise wieder voll auf die Tagesordnung gerückt ist, vor der sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) im Frühjahr gewarnt hatte. Der IWF erklärte, es werde die "Saat für die nächste Krise" gelegt.

Dass mit Maßnahmen, Geschäftsmodellen und Technokraten, die zentral für die derzeitige Krise mitverantwortlich sind, die aktuellen Probleme in den Griff zu bekommen sind, darf nun wirklich bezweifelt werden. Es sollte nun später wirklich niemand sagen, er oder sie habe von all dem nichts gewusst. Denn das Goldman-Geschäftsmodell wird gerade sogar gegen Italien angewendet, während sich ihr Berater in der Regierungsbildung versucht.

Das Chaos in Italien zieht Spanien in den Abgrund

Die Lage in Europa und für den Euro hat sich derweil deutlich zugespitzt und längst wird in Hinterzimmern an der Aufspaltung der Euro-Zone debattiert. Deutlicher als am Dienstag konnte sich das kaum zeigen, als es Spanien nicht einmal gelang, an den Finanzmärkten seine Staatsanleihen vernünftig loszuschlagen. Die Staatskasse in Madrid hat versucht, Papiere mit Laufzeiten von 18 und 12 Monaten zu versteigern. Doch die erwarteten 3,5 Milliarden Euro konnte nicht eingenommen werden, obwohl erneut Rekordzinsen geboten wurden. Versteigert wurden nur Anleihen für gut 3,1 Milliarden Euro, weil die Renditen zu hoch waren. Es ist bedenklich, wenn Madrid für Anleihen mit einer Laufzeit von einem Jahr einen durchschnittlichen Zinssatz von 5,2% bezahlen muss. Für die 18-monatigen Anleihen waren es sogar 5,32%. Noch im Oktober bewegten sich beide Renditen im Bereich von 3,5%.

Damit wird die Dramatik deutlich, mit der nun auch die Zinslast für Spanien explodiert ist. Hatte das Land schon im Oktober deutlich höhere Zinsen für diese kurzfristigen Anleihen als Deutschland für zehnjährige Papiere bieten müssen, sind die Renditen in einem Monat erneut um fast 50% gestiegen. Die Staatsschulden des Landes werden immer unbezahlbarer. Die Zinsen für zehnjährige spanische Staatsanleihen sind am Sekundärmarkt am Dienstag auf einen neuen Rekordwert gestiegen. Der Zinsunterschied (Spread) zu Bundesanleihen hat die magische Grenze von 450 Basispunkten überschritten. An diesem Punkt waren Griechenland, Irland und Portugal nicht mehr zu retten und mussten EU-Nothilfe in Anspruch nehmen.

Die Renditen sind auf mehr als 6,3% gestiegen, obwohl die Europäische Zentralbank (EZB) erneut massiv das umstrittene Aufkaufprogramm fortsetzt und Anleihen von bedrohten Ländern kauft, um ihre Zinsen zu senken. Doch das hilft immer weniger. Dabei kann Spanien, das viertgrößte Euroland, derlei Zinsen sogar noch etwas länger verkraften als Italien. Denn Spanien war Ende 2010 nur mit gut 60% seiner jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet. Italien wies dagegen mit 1,8 Billionen Euro schon 118% auf.

Vor allem das Chaos in Italien sorgt nun dafür, dass Spanien in den Abgrund gerissen wird. Italien musste am Dienstag sogar schon 7,5% Zinsen bieten und steht praktisch mit beiden Beinen im Rettungsfonds. Dass das Land noch nicht aufgefangen wurde, hat schlicht damit zu tun, dass auch der aufgestockte EFSF, der auf eine Billion gehebelt werden soll, das drittgrößte Euroland nicht auffangen kann. Stürzte mit Italien auch noch Spanien ab, wird der Aufprall enorme Schockwellen aussenden.

Der wachsweiche Rücktritt von Silvio Berlusconi hatte nur kurz für etwas Entspannung an den Finanzmärkten gesorgt. Nicht nur die Zinsen für Staatsanleihen sind weiter gestiegen, am Montag und Dienstag gingen auch die Börsen zum Teil deutlich in den Keller. Darin zeichneten sich auch die Schwierigkeiten von Monti ab, überhaupt ein Kabinett zu bilden. Unklar ist, ob Montis Regierung, die er gerade vorgestellt hat, überhaupt auf die nötige Unterstützung im Parlament bauen kann, um Reformen durchsetzen zu können. Die Chancen sind nun etwas gestiegen, weil sich Berlusconi Einfluss in der neuen Regierung gesichert hat und sie deshalb unterstützen will. So versicherte Monti auch dem Chaos-Chef seinen "Respekt vor der geleisteten Arbeit.

In seinem "Experten-Kabinett" finden sich tatsächlich keine früheren Politiker. "Die Abwesenheit von Politikern macht die Regierung solider", meint Monti. Er selbst wird auch das Wirtschaftsressort übernehmen und soll noch heute vereidigt werden. Der Chef der Bank Intesa Sanpaolo, Corrado Passera, soll demnach neuer Minister für Infrastruktur und Industrie werden. "Ich wollte ein einziges Ministerium, damit es zu koordinierten Initiativen für das Wachstum und die Entwicklung kommt." Im Kabinett finden sich auch diverse Frauen. Innenministerin wird Anna Maria Cancellieri. Die 67-jährige ExPolizeichefin Genuas und Katanias. Justizministerin soll Paola Severino werden, eine bekannte Strafrechtlerin. Das kleine Kabinett muss nun noch vereidigt und vom Parlament bestätigt werden.

Da aber sein ehemaliger Koalitionspartner, die Lega Nord, Oppositionspolitik machen will, ist weiterer Streit und Chaos programmiert und auch die Gewerkschaften werden den zu erwartenden Einschnitten nicht tatenlos zusehen. Und so stellt sich die Frage, ob Rom nicht doch bald Neuwahlen einberufen muss und ein noch längerer Zeitraum der Ungewissheit bevorsteht. Heute hat die Ankündigung, dass Monti sein Kabinett vorstellen will, wieder für leichte Gewinne an den Börsen und leicht sinkende Risikoaufschläge für Staatsanleihen gesorgt.

Auch die Renditen für Staatsanleihen von Belgien und Frankreich schießen in die Höhe

Doch insgesamt hat die Euro-Krise ein bisher ungeahntes Niveau erreicht. Wie ein Krebsgeschwür wächst sich die Euro-Krise aber immer weiter aus. Denn sogar die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen aus Frankreich und Belgien waren am Dienstag auf neue Rekordstände geklettert. Frankreich, das längst um sein Top-Rating zittert, gilt noch als tragende Säule mit Deutschland bei der Euro-Rettung. Doch mit 3,6% musste Frankreich nun mehr als doppelt so hohe Zinsen für zehnjährige Anleihen wie Deutschland bieten. Auch das hoch verschuldete Belgien gerät immer stärker auf die Abschussliste der Investoren. Die Anleihen des Landes werden nun schon mit Zinsen von etwa 4,8% gehandelt. In beiden Fällen sind auch das Höchstwerte seit der Einführung des Euro. Sogar Österreich muss so hohe Zinsen wie Frankreich bieten und wie Paris bangt man auch in Wien um das Top-Rating.

Anders als Belgien, das im dritten Quartal ein Nullwachstum verzeichnete, wiesen Frankreich (+0,4%) und Österreich (+0,3%) aber noch ein moderates Wachstum auf. Mit Deutschland (+0,5%) sorgen sie dafür, dass die Eurozone ein minimales Wachstum von 0,2% im dritten Quartal verzeichnete, wie die europäische Statistikbehörde schätzt. Während für Griechenland, Irland und das Rezessionsland Dänemark noch keine Zahlen vorliegen (die das Ergebnis nach unten korrigieren könnten), ist die Wirtschaft Portugals angesichts des Sparkurses aber noch tiefer in die Rezession gerutscht. Das Minus von 0,1% im Vorquartal ist im dritten Quartal auf ­-0,4% gewachsen.

Auf diesem gefährlichen Weg ist auch Spanien. Nach einem kleinen Wachstum von 0,2% im Vorquartal haben die Statistiker im dritten Quartal ein Nullwachstum ermittelt. Für die Iberer ist eine Stagnation im Sommer fatal. Denn das Tourismusland verzeichnete einen deutlichen Zuwachs an Urlaubern gegenüber dem Vorjahr. Spanien profitierte davon, dass Urlaubsländer in Nordafrika wegen den Unruhen in Tunesien, Libyen und Ägypten gemieden wurden. Man muss kein Wahrsager sein, um vorherzusagen zu können, dass das Land wegen der harten Sparprogramme im Herbst und Winter in die Rezession abrutscht, wenn der starke Tourismus den Absturz der Wirtschaft nicht mehr kompensiert. Ein deutliches Indiz dafür sind die Daten vom Arbeitsmarkt. Waren schon Ende September fast fünf Millionen Menschen ohne Job, kamen im Oktober noch einmal 134.000 Menschen hinzu. Von einer Herbstbelebung ist keine Spur. Nur zu Beginn der tiefen Finanz‑ und Wirtschaftskrise gingen 2008 mit 193.000 in einem Oktober noch mehr Stellen verloren.

Für Spanien stellt sich die Frage, ob die Entwicklung an den Finanzmärkten der letzten Woche mit den Umfrageergebnissen vor den vorgezogenen Parlamentswahlen am kommenden Sonntag zusammenhängt. Nach allen Prognosen soll die ultrakonservative Volkspartei (PP) dabei die absolute Mehrheit erhalten. Doch das Programm von Oppositionsführer Mariano Rajoy ist mehr als schwammig. Er macht viele populistische Versprechungen und will die Schere nicht am Renten-, Bildungs-, oder Gesundheitssystem ansetzen, doch in den Regionen, in denen die PP regiert, geschieht genau das. Vermutet wird deshalb, dass sich die sozialen Konflikte im Land bald radikalisieren, wenn seine Versprechen nach den Wahlen nicht eingelöst werden und sich die Gewerkschaften mit der Opposition gegen seine reale Politik stellen. Die noch regierenden Sozialdemokraten wurden schließlich von den großen Gewerkschaften mit Samthandschuhen angefasst und bekamen von ihnen sogar das Plazet für die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67. Ob die PP gegen eine breite Widerstandsfront im Land reale Reformen ohne brachiale Mittel durchsetzen kann, ist fraglich. Spanien erinnert sich noch gut an ihre Arbeitsmarktreform 2002. Nach einem Generalstreik, den es nach Lesart der PP damals gar nicht gab, musste die PP-Alleinregierung ihre Reform danach klammheimlich wieder zurücknehmen.