Hilferuf aus Spanien vor den Parlamentswahlen

Die Konservativen wähnen sich schon als klarer Sieger, während die Finanzmärkte das Land abstürzen lassen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die spanische Volkspartei (PP) schloss gestern ihren Wahlkampf im Siegesrausch ab. Doch der Sieg, wenn die vorhergesagte absolute Mehrheit dann auch kommt, könnte bitter werden. Noch bevor José Luis Rodríguez Zapatero die Regierungsgeschäfte an den mutmaßlichen Wahlsieger übergibt, könnte das Land faktisch die Entscheidungen an die Troika aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalen Währungsfonds (IWF) wie in Griechenland, Irland und Portugal übergeben haben. Die Zinsen sind in den letzten Tagen explodiert, als sich ein PP-Sieg abzeichnete. Zapatero hat nun die EU und die EZB zur Intervention aufgefordert, um den baldigen Absturz zu verhindern.

Nach den Umfragen, die der PP eine absolute Mehrheit bei den Wahlen am Sonntag vorhersagten, hat sie ihren Wahlkampf vor allem auf die zwei Regionen Katalonien und Andalusien konzentriert. Dort dürfte sich entscheiden, ob die Ultrakonservativen zukünftig tatsächlich allein regieren können. Der PP-Spitzenkandidat Mariano Rajoy hat deshalb am Freitag, da es am Samstag keine Wahlveranstaltungen mehr geben darf, noch einmal die Gelegenheit genutzt, um im andalusischen Huelva für seine Partei zu werben. Andalusien war bisher eine linke Hochburg.

PP-Spitzenkandidat Mariano Rajoy. Bild: PP

Der Spitzenkandidat der noch regierenden Sozialisten (PSOE), Alfredo Pérez Rubalcaba, versucht dagegen dort die Position zu verteidigen. Er hat in Punta Umbría, das in der Provinz Huelva liegt, die unentschlossenen Wähler zum Abschluss umworben. Er stemmt sich mit aller Kraft und einem vollen Terminkalender dagegen, dass die Wahlen nach Ansicht vieler Analysten längst gelaufen sein sollen. Er weiß, dass der Ausgang davon abhängt, wie hoch die Beteiligung ist. Die PSOE gewinnt - wie 2004 und 2008 - nur gegen die massive PP-Stammwählerschaft, wenn die Wahlbeteiligung sehr hoch ist.

Auch deshalb gibt sich die PP im Siegesrausch, um die Wähler der PSOE zu demobilisieren. Das PP-Führungsmitglied in der Region Valencia, Alfonso Rus, erklärte auf einer Wahlkampfveranstaltung deshalb schon: "Ich erwarte euch am Sonntagabend mit Champagner und Frauen." Die PP, die sich im Wahlkampf nur populistisch und schwammig äußerte, lässt nun zaghaft durchblicken, dass sie harte Einschnitte plant. Rubalcaba unterstellt seinem Widersacher stets ein "Geheimprogramm", das Rajoy den Wählern verschweige. Inzwischen stimmte auch die PP-Generalsekretärin Maria Dolores de Cospedal die Wähler langsam auf Einschnitte ein. Sie erklärte, dass es "schon am 25. November Demonstrationen der Gewerkschaften" geben werde. Rajoy bleibt schwammig und erklärt nur, dass fast alle Haushaltsposten geprüft werden müssten, um das Haushaltsdefizit zu senken. Der lispelnde 56-Jährige aus der nordwestspanischen Region Galicien versucht nun aber, zu hohe Erwartungen zu dämpfen. "Wenn wir die Wahlen gewinnen, wird es extrem schwierig." Er verschweigt, was er genau vorhat und erklärt nur: "Wenn die Regierung die Bedingungen und ein wenig Vertrauen schafft, wird man in den ersten beiden Jahren eine Verbesserung sehen." Bisher hatte er versprochen, dass die Schere nicht am Renten-, Bildungs- oder Gesundheitssystem angesetzt werde. In Kastilien-La Mancha zum Beispiel, wo seine Generalsekretärin Cospedal aber seit Mai regiert, geschieht genau dies (Schuldenbremse in Spanien sorgt für Empörung).

Da Rubalcaba ihm den Widerspruch immer wieder vorhält, relativierte Rajoy nun. "Über Bildung und Gesundheit bestimmen die Autonomen Regionen", die den deutschen Bundesländern ähnlich sind. Aber er will die "Kaufkraft der Rentner erhalten". Er verspricht aber nicht, das auf 67 angehobene Renteneintrittsalter abzuschaffen, gegen das er bei der Einführung gewettert hat. Er weiß genau, dass er nur siegen kann, weil die Wähler von den Sozialisten tief enttäuscht sind und kaum Alternative sehen. Der PSOE fällt ihre miserable Politik in der tiefen Wirtschaftskrise auf die Füße. Ein Ausdruck davon ist die extreme Arbeitslosigkeit. Mehr als fünf Millionen Menschen sind real ohne Job. Die Quote liegt bei etwa 23% und sogar fast die Hälfte aller jungen Menschen ist arbeitslos.

Alfredo Pérez Rubalcaba, Spitzenkandidat der PSOE. Bild: PSOE

Sozialisten können wohl höchstens noch eine absolute Mehrheit der PP verhindern

Der 60-jährige Rubalcaba, der aus der rechten Hochburg Kantabrien im Nordwesten stammt, versucht nun frenetisch vor allem, eine absolute PP-Mehrheit zu verhindern. Er warnt davor, dass wichtige Errungenschaften wie das Abtreibungsrecht, die gleichgeschlechtliche Ehe und die Gleichstellung der Frau von der PP zurückgedreht werden sollen. Er warnt, dass die "Rechte umso härtere Einschnitte vornimmt, umso mehr Macht sie hat". Argumentationsprobleme hat er aber, was das Sozialsystem angeht. Denn Rajoy verweist darauf, dass die PSOE in den letzten beiden Jahren die tiefsten Einschnitte ins Sozialsystem seit dem Ende der Diktatur 1975 vorgenommen hat.

So wurden die Mehrwertsteuer und andere Steuern erhöht, während die Regierung mitten in der Krise die Vermögenssteuer abschaffte (Spanische Regierung wird die Steuern massiv anheben). Dafür wurden Löhne und Renten gesenkt und der Kündigungsschutz geschliffen. Rubalcaba hätte sich scharf vom neoliberalen Kurs des Noch-Ministerpräsidenten Zapatero distanzieren müssen, um glaubhaft wirken zu können. Seine zaghaften Versuche, nun etwas auf Distanz zu Zapatero zu gehen, helfen dem Ex-Innenminister und Vizeministerpräsident nicht mehr, um noch siegen zu können. Rubalcaba erklärt nun, dass ihm einige Entscheidungen Zapateros "nicht gefallen" hätten. "Ich war mir bewusst darüber, dass es weder gut für mich, noch für die PSOE war." Das ist angesichts der Tatsache zu wenig, dass Zapateros Schlingerkurs das Land an den Rand des Abgrunds gebracht hat.

Denn nun hat sich die Lage aber für Spanien extrem zugespitzt. Deshalb hat sogar Rajoy nun an die Investoren appelliert, seiner Regierung auch nur eine kleine Chance zu geben. Der Zinsanstieg sei "extrem negativ" für die spanischen Interessen. Da er jetzt hofft, am Sonntag selber Regierungschef zu werden, bietet er der Regierung seine Unterstützung an, und "vertraut darauf, dass sie fähig ist", diese Situation zu überwinden. Fast vier Jahre hatte er dagegen fast alles getan, um aus wahltaktischen Gründen das Misstrauen gegen die Regierung zu schüren. Bis auf die Verankerung der Schuldenbremse in der Verfassung hat er den Sozialdemokraten jede Unterstützung in der Krise verweigert.

Vom Absturz der Sozialisten gegenüber den Konservativen profitieren Links- und Regionalparteien

Die Prognosen zu den spanischen Parlamentswahlen sagen voraus, dass vor allem die Linksparteien vom Absturz der regierenden Sozialisten (PSOE) profitieren werden. So kann die Vereinte Linke (IU) den Unmut über deren tiefe Einschnitte ins Sozialsystem nun in einen Zuwachs an Stimmen verwandeln. Statt mit knapp fünf Prozent wie 2008 nur noch auf zwei Sitze zu kommen, soll sie mit knapp neun Prozent sogar wieder elf Sitze erhalten. Damit wäre ihr Absturz beendet, den Gaspar Llamazares mit seinem Schmusekurs zur PSOE eingeleitet hatte. Noch 2009 konnte die IU bei den Europaparlamentswahlen nicht vom Unmut im Land profitieren und stürzte sogar auf vier Prozent ab.

Unter dem neuen Chef Cayo Lara kann die Koalition wieder an alte Zeiten anknüpfen, als sie dem charismatischen Julio Anguita 1996 sogar 21 Sitze holte und drittstärkste Kraft im Parlament war. Sie wird nun von der größten Gewerkschaft CCOO unterstützt und profitiert von enttäuschten PSOE-Wählern. Sogar PSOE-Stadträte haben der kommunistisch dominierten Formation öffentlich ihre Stimme zugesagt. Sie kehren ihrer Partei den Rücken, weil sie mit den Konservativen ausschließlich die einfache Bevölkerung für die Krise und Bankenrettung zur Kasse gebeten hat. Lara erklärt, die PSOE habe sich als linke Kraft endgültig diskreditiert, als sie mit der rechten Volkspartei (PP), dem voraussichtlichen Wahlsieger sogar die Verfassung für eine Schuldenbremse geändert hat.

Während die linksnationalistischen Parteien in Katalonien (ERC) und Galicien (BNG) sich mit drei und zwei Sitzen behaupten oder leicht Gewinne verzeichnen sollen, zeichnet sich in Valencia eine Neuerung ab. Erstmals soll in der konservativen Hochburg die Koalition Compromís mit Joan Baldoví ins Parlament einziehen. Die Linksnationalisten treten in der Region nun gemeinsam mit der neuen grünen Partei Equo an.

Die baskische Linke dürfte regelrecht in den Madrider Kongress gespült werden. Die Koalition Amaiur, in der die gesamte linke baskische Unabhängigkeitsbewegung antritt, dürfte auf Anhieb sogar zur stärksten Kraft im Baskenland werden. Sie soll die große Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) schlagen. Die PNV könnte einen Sitz verlieren und käme nur noch auf fünf, während Amaiur sieben Sitze erreichen kann. Sie will das Selbstbestimmungsrecht auf die Tagesordnung setzen und der neoliberalen Politik von PSOE, PP, PNV und CiU nun auch in Madrid begegnen, was sie bisher stets abgelehnt hatte.

Auch die konservativen katalanischen Nationalisten der CiU haben, wie die PNV, die Einschnitte der PSOE-Minderheitsregierung ins Sozialsystem in den letzten Jahren mitgetragen. Nach den Prognosen, bekäme die CiU dafür aber nicht die Rechnung von den Katalanen, sondern soll mit 14 Sitzen nun zur drittstärksten Kraft aufsteigen. Ihr Spitzenkandidat Josep Antoni Duran Lleida, fordert die Wähler auf, "eine von der Idee einer absoluten Mehrheit besessenen PP zu stoppen". Er hofft, als Mehrheitsbeschaffer der PP eine eigene Finanzierung für das unterfinanzierte Katalonien zu erreichen.

Wahlslogan der Grünen, die einen politischen Neuanfang machen wollen.

Gespannt darf man auf das Abschneiden von Equo sein, denn die Grünen dürften von der Empörten-Bewegung profitieren. Die wollen aber nicht ungültig wählen, wie oft fälschlich berichtet wird, sondern informieren darüber, dass eine Wahlabstinenz oder eine ungültige Wahl einen Wahlsieg der ultrakonservativen PP fördert. Eine Wahlempfehlung geben sie mangels Konsens nicht ab. Sie priorisieren aber Parteien wie Equo, IU, ERC, BNG oder Amaiur. Sie warnen davor, dass auch Stimmen verloren gingen, wenn eine Partei zu klein ist und keine drei Prozent erreicht. Anders als die Umfragen suggerieren, ist eine absolute PP-Mehrheit nicht ausgemacht, wenn die Wahlbeteiligung hoch ist. Die Empörten, die im Oktober mehrere Millionen im Land mobilisiert haben, könnten am Sonntag für Überraschungen sorgen, die in Spanien nicht selten sind.

Die Zinsen für die Staatsanleihen schossen in die Höhe, seit Umfragen einen Wahlsieg der PP wahrscheinlich machen

Jeden Monat, wenn neue Horrormeldungen vom Arbeitsmarkt kamen, schien sich Oppositionsführer Rajoy sogar zu freuen. Die PP verweigerte der PSOE sogar die Stimmen zu einer Arbeitsmarktreform, wie sie die Ultrakonservativen hätten kaum besser machen können. Denn den Kündigungsschutz praktisch abschaffen, wollte auch schon sein politischer Ziehvater José María Aznar 2002. Doch seine dekretierte Reform zerschellte an einem massiven Generalstreik, der in den von der PP dominierten Medien nicht vorkommen durfte und wofür sogar später der Chef des öffentlich-rechtlichen Fernsehens verurteilt wurde (Spanische Medienwirklichkeiten).

An den Finanzmärkten geht man offenbar davon aus, dass der Konservative das Land mit einer harten Sparpolitik tief in die Rezession treiben wird, wie es die Konservativen beim Nachbar Portugal gerade vormachen. Er wird, anders als Zapatero, auch auf deutlich mehr Widerstand bei den Gewerkschaften treffen. Deshalb ist es fraglich, ob er so problemlos wie Zapatero harte Reformen umsetzen kann.

So erklärt sich, warum die Zinsen für spanische Staatsanleihen explodieren, seit die Umfragen Rajoy eine absolute Mehrheit vorhersagen. Am Donnerstag musste Madrid für zehnjährige Anleihen am Primärmarkt nun schon 7% Rendite bieten. In Griechenland, Irland und Portugal hat sich gezeigt, dass ein Land diese Zinsen nicht lange verkraften kann und bald Nothilfe braucht. Am Freitag ist der Zinsunterschied (Spread) zu deutschen Bundesanleihen sogar weiter auf über 520 Basispunkte gestiegen. Damit muss Spanien erstmals seit August sogar wieder einen höheren Zinsaufschlag als Italien hinnehmen. Damit ist klar, dass es nicht mehr Italien ist, das Spanien mit in den Abgrund zieht. Auch massive Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB), die seit August extrem ausgeweitet wurden, erreichen keine Zinssenkungen mehr.

Zapatero hat die EU und die EZB nun um Hilfe angefleht. Er fordert, dass die EZB für die umstrittenen Anleihekäufe die Notenpresse auf Hochtouren laufen lassen soll, um noch massiver Anleihen zu kaufen. "Jetzt bedarf es einer europäischen Zentralbank, die auch wirklich ihrem Namen gerecht wird und die gemeinsame Währung verteidigt", sagte Zapatero. Fast jämmerlich wirkt er, wenn er erklärt, schon ohne Nothilfe habe Spanien Kompetenzen an den EU-Ministerrat, an die EU-Kommission und die EZB abgegeben, die nun auch reagieren müssten. Er fordert eine unverzügliche Antwort auf die Krise, doch wie die aussehen soll, weiß der gescheiterte Regierungschef nicht. "Europa muss eine Antwort auf die Krise geben und dafür sorgen, dass die Stabilität zurückkehrt."

Vermutlich wird einen unbegrenzten Anleihekauf erst geben, wenn es darum geht, den großen Schuldenmeister Italien vor dem Absturz zu retten. Das hat schlicht damit zu tun, dass der aufgestockte Rettungsfonds, der nun auf eine Billion gehebelt werden soll, für das viertgrößte Euroland noch ausreicht. Italien mit seinen Staatsschulden von 2 Billionen Euro sprengt das Netz aber und die Schockwellen dürften enorm sein, wenn das drittgrößte Euroland abstürzt. So darf man sich nicht darüber wundern, wenn aus Brüssel dem angezählten Spanien entgegenschallt. "Spanien muss sich selbst helfen." Das sagte der Sprecher von Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn, in Brüssel. Amadeu Altafaj fügte an, dass schon alles Mögliche unternommen werde. Spanien wird intern wohl schon dem Schwach-Euro zugerechnet, den man mit der Aufspaltung der Euro-Zone in Berlin und Paris bereits in Erwägung zieht.