Berlin macht Eurobonds sexy

Durch permanentes Neinsagen und Dramatisieren verhindert die Bundesregierung eine sachliche Debatte über Gemeinschaftsanleihen. Selbst die neue Machbarkeitsstudie der EU-Kommission wird bekämpft, als stünde der Sozialismus vor der Tür

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Manche Themen werden nur deswegen so groß, weil die Bundesregierung sie zum Tabu erklärt. Die Eurobonds sind so ein Thema. Unter Experten ist man sich längst einig, dass die Gemeinschaftswährung auch gemeinsame Anleihen braucht. Nur mit gemeinsamen Bonds lassen sich die gefährlich hohen Spreads (Zinsdifferenzen) zwischen deutschen und italienischen oder spanischen Schuldtiteln auf ein erträgliches Maß senken. Nur mit gemeinsamen Anleihen lässt sich ein hochliquider Markt schaffen, der es mit den USA aufnehmen und die gezielte Spekulation gegen einzelne Euroländer eindämmen kann.

Entsprechende Vorschläge liegen längst auf dem Tisch - etwa vom Brüsseler Thinktank Bruegel oder vom Sachverständigenrat in Berlin, der gerade erst einen Schuldentilgungsfonds mit eigenen Anleihen vorgeschlagen hat.

Doch Berlin sagt Nein - und macht das Expertenthema Eurobonds damit erst so richtig sexy. So ist es auch jetzt wieder, kurz vor der offiziellen Vorstellung eines Grünbuchs der EU-Kommission zum Thema. Obwohl die Brüsseler Behörde von den Euroländern - also auch von Deutschland - beauftragt wurde, die Machbarkeit von Gemeinschaftsanleihen zu untersuchen, und obwohl es sich vorerst nur um Optionen, nicht jedoch um Gesetzesvorschläge handelt, mauert Kanzlerin Angela Merkel, als gelte es, den Einmarsch der Russen zu verhindern. "Die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung teilen den Glauben vieler, dass Eurobonds jetzt eine Art Allheilmittel für die Krisen wären, nicht", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Die FDP warnte sogar vor einer "Zinssozialisierung" - offenbar ist der Sozialismus nahe.

Wohlgemerkt, die Vorschläge der Kommission liegen noch gar nicht vor. Das sie trotzdem schon heiß diskutiert werden, liegt an einem dieser Brüssel-typischen "Leaks" - einer undichten Stelle, die unliebsame Kommissionsentwürfe systematisch ein paar Tage vor der eigentlich geplanten Veröffentlichung durchsticht. Bei Businessthemen sind es oft Wirtschaftsverbände aus Berlin, die die "Drafts" an die Presse geben und so Stimmung gegen Brüssel machen. In diesem Fall schieben sich Berlin und Brüssel wechselseitig die Schuld in die Schuhe. Während man in Brüssel vermutet, die Bundesregierung habe den Entwurf "geleakt", um ihn besser abschießen zu können, heißt es in Berlin, die undichte Stelle könne nur in Brüssel liegen, da man Deutschland vorführen wolle.

Statt Eurobonds spricht man nun von Stabilitätsbonds

Dabei enthält das Papier, um das es hier geht, nun wirklich keine Sensation, schon gar keine Provokation an die deutsche Adresse. Im Gegenteil: Kommissionspräsident José Manuel Barroso und sein getreuer Adlatus, Währungskommissar Olli Rehn, haben sich alle Mühe gegeben, die Eurobonds weich zu spülen und von einem Solidaritäts- zu einem Disziplinierungsinstrument umzudefinieren. Die umstrittenen Gemeinschaftsanleihen werden zum Beispiel in "Stabilitätsbonds" umgetauft, um den deutschen Stabilitätsaposteln zu gefallen. Zudem stellt die Kommission gleich in der Einleitung klar, dass es gemeinsame Anleihen nur um den Preis noch größerer Budgetdisziplin und noch schärferer Überwachung geben kann:

Any type of Stability Bond would have to be accompanied by a substantially reinforced fiscal surveillance and policy coordination as an essential counterpart, so as to avoid moral hazard and ensure sustainable public finances. This would necessarily have implications for fiscal sovereignty, which calls for a substantive debate in euro area member states.

Immerhin, die Abschaffung des Haushaltsrechts wird von der Kommission noch als diskussionsbedürftig betrachtet. Doch auch das dürfte Berlin nicht zufrieden stellen - schließlich will Merkel bereits beim nächsten EU- und Eurogipfel im Dezember schärfere Eingriffsrechte fordern und entsprechende Änderungen des EU-Vertrags auf den Weg bringen. Erst danach, wenn alle "Schuldensünder" auf Kurs gebracht und alle Schulden abgetragen sind, will sich Merkel eventuell auf eine Debatte über Eurobonds einlassen.

So viel Zeit hat die Eurozone aber bestimmt nicht mehr. Die Krise frisst sich Tag für Tag tiefer in den Kern einst sicherer Euroländer wie Frankreich, Österreich und Belgien hinein. Zugleich rücken große, letztlich nicht rettbare Krisenländer wie Italien und Spanien immer näher an den Abgrund - und das, obwohl diese Länder neuerdings über marktliberale Regierungen verfügen und den von Berlin und Brüssel gewünschten "Reformkurs" auf Punkt und Komma erfüllen dürften. Dies werfen denn auch die Befürworter von Eurobonds in die Waagschale: Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, die Krise hat den Kern erfasst, warnte am Montag sogar Währungskommissar Rehn.

Könnten Gemeinschaftsanleihen überhaupt schnell aus dem Boden gestampft werden?

Nein, heißt es in Berlin, denn dafür wären Änderungen am EU-Vertrag nötig. Doch, heißt es nun in Brüssel, eine der drei Optionen des Grünbuchs ließe sich zeitnah umsetzen. Die einfachste Lösung wäre, dass die Euro-Länder gemeinsame Schuldscheine ausgeben, für die jedes Land anteilig haftet. Ein ähnliches Modell wird bereits von den deutschen Bundesländern praktiziert; nach Angaben der Kommission haben sich diese so genannten Jumbo-Bonds bestens bewährt. Zudem wären sie schnell umsetzbar, da keine Änderung am EU-Vertrag nötig wäre.

Etwas komplizierter, da mit Vertragsänderungen verbunden, wären die anderen beiden Vorschläge. So könnte die Eurozone ihre Schulden komplett vergemeinschaften, so dass auch die Zinsdifferenzen verschwinden würden, die Ländern wie Italien oder Spanien derzeit schwer zu schaffen machen. Denkbar wäre auch, die Schulden nur bis zu einer bestimmten Grenze gemeinsam zu finanzieren - etwa bis zur vom Maastricht-Vertrag zulässigen Schwelle von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Umsetzung eines dieser Modelle würde "signifikante" Vorteile bringen und könnte die Märkte rasch beruhigen, heißt es in dem Kommissionspapier: