Bezahlte Informanten und Provokateure

Nicht nur in Deutschland steht die Arbeit mit V-Männern in Kritik, in den USA könnten sich viele "aufgedeckte" islamistische Anschlagspläne der Arbeit von Spitzeln verdanken

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In den USA steht das Federal Bureau of Investigation (FBI) in der Kritik. Im Kampf gegen den Islamismus bezahlt die Bundespolizei nicht nur Spitzel für Informationen, diese sollen in einer Reihe von verdeckten Operationen sogar die Führungsrolle gespielt haben. Wäre es ohne die Arbeit der Provokateure überhaupt zu terroristischen Aktionen, beziehungsweise zu deren Vorbereitungen gekommen?

Die Erregung in Deutschland über das Beziehungsgeflecht zwischen Neonazis und Verfassungsschutz-Ämtern ebbt allmählich ab – nicht zuletzt, weil die großen deutschen Nachrichtenmedien die Problematik mittlerweile ausschließlich als "ein Versagen" der Behörden darstellen. Deren vermeintlicher Dilettantismus wird vehement angeprangert.

Nur geht in dem Empörungsnebel eine nicht unwesentliche Frage unter: Wie kontrolliert man überhaupt eine Sicherheitsbehörde, die einerseits nachrichtendienstlich – also im Geheimen – arbeitet, und die andererseits ein vitales Interesse an Unsicherheit hat? Oder, um es mit den Versen Heiner Müllers über die ostdeutsche Staatssicherheit zu sagen: "Ein Königreich für einen Staatsfeind. Wer / Wenn alles hier in Ordnung ist braucht uns?" Und was ist überhaupt mit den eingekauften Informationen anzufangen, wenn deren Lieferanten ganz eigene Interessen verfolgen?

Anschauungsmaterial zu diesen Fragen liefert eine Reihe von fragwürdigen Spitzel-Fällen aus den USA. Dort setzt das Federal Bureau of Investigation (FBI) seit den Anschlägen vom 11. September 2001 im Kampf gegen den islamistischen Terror verstärkt auf "präventive Polizeiarbeit", wie es der Chef der Behörde Robert Mueller formulierte. Viele liberale Amerikaner kritisieren mittlerweile heftig, das FBI würde mit Hilfe von Provokateuren die Gefahr durch "home-grown terrorists" aufbauschen.

"Es soll ihnen um die Sache gehen, verstehst du?"

Zum Beispiel die sogenannten "Newburgh Four" – vier schwarze Kleinkriminelle aus Newburgh, einer von extremer Armut geprägten Stadt im Bundesstaat New York. Im Herbst wurden sie als islamistische Terroristen verurteilt. Die Anklage lautete, sie hätten geplant, eine jüdische Synagoge in New York in die Luft zu sprengen und mit Stinger-Raketen auf Flugzeuge auf einem Flughafen zu schießen. Nur - sowohl die Idee, das Geld und das Material, als auch die ideologische Begründung für die Attentate stammten von einem bezahlten Informanten des FBI (Spitzel, Sicherheitsbehörden und geplante Terroranschläge).

Shahed Hussain wurde bereits 2002 vom FBI angeworben, im Gegenzug wurde ein Strafverfahren wegen Betrugs gegen ihn eingestellt. 2008 bekam er den Auftrag, eine Moschee in Newburgh zu unterwandern. Hussain gab sich als pakistanischer Geschäftsmann aus, verwickelte die Besucher in Gespräche über Politik und äußerte seine vermeintlichen islamistische Ansichten. Unter der Hand ließ er durchblicken, er habe Kontakte zu einer militanten Gruppe in Pakistan.

Allerdings machte sich Hussain damit in der Gemeinde eher unbeliebt; schon damals vermuteten einige Besucher der Moschee offenbar, er sei ein Provokateur. Erst als der Informant den ehemaligen Drogenhändler James Cromitie traf, gab es Aussicht auf die "Gründung" einer terroristischen Organisation. Hussain lud Cromitie zum Essen ein, machte ihm Geschenke und stellte ihm für eine terroristische Aktion Geld, einen BMW und ein Friseurgeschäft in Aussicht. Trotz dieser verlockenden Aussicht brach Cromitie zeitweise den Kontakt zu dem FBI-Spitzel ab. Nach Darstellung einer Verwandten eines der Angeklagten meldete sich Cromitie erst wieder, als er seine Stelle als Verkäufer bei Wal-Mart verloren hatte. Daraufhin habe er Hussain angerufen und ihm gesagt, er sei bereit, "den Job zu übernehmen".

Nur fehlten zur Terrorzelle noch weitere Islamisten. Der Informant bestand nun darauf, für die Aktion ausschließlich Muslime anzuheuern. Hussain nahm die Gespräche heimlich auf, in den Abhörprotokollen ist zu lesen, wie er, nachdem Cromitie im Dezember 2008 (fälschlicherweise) behauptete, er habe eine Truppe für die Anschläge zusammen, sagte: "Meinst du, das sind Muslime? Machen die es wegen des Geldes oder für die Sache?"

Vier Monate später diskutieren die beiden wieder darüber, wer bei der Aktion Schmiere stehen sollte. Hussain sagte: "Es soll ihnen um die Sache gehen, verstehst du? Weniger ums Geld, mehr um die Sache." (zitiert nach Targeted and Entrapped: Manufacturing the 'Home-Grown' Threat in the US). Das New Yorker Magazin Village Voice zitiert einen dieser Kämpfer namens David Williams folgendermaßen: "Cromitie sagte zu mir: "Dieser Typ bietet mir 250.000 Dollar, und ich geb dir die Hälfte ... Du musst bloß Schmiere stehen. Mach dir keine Sorgen, alles wird glatt gehen!"

Um die Anschlagsziele auszukundschaften, fuhr Hussain die vier aus Newburgh in seinem Auto in das New Yorker Viertel Bronx. Er war es, der die Anschlagsziele vorschlug, und er beschaffte den Sprengstoff und die Flugabwehrraketen, mit denen die Angriffe stattfinden sollten. Am 20. Mai 2009 platzierten die Angeklagten in New York Bomben(-Attrappen) im Kofferraum zweier Autos, die vor Synagogen geparkt waren. Kurz darauf wurden sie vom FBI verhaftet.

"Niemand kann leugnen, dass das FBI hervorragend seine eigenen Anschlagspläne verhindern kann"

Zynisch kommentiert der amerikanische Anwalt und Publizist Glenn Greenwald diesen Fall: "Niemand kann leugnen, dass das FBI hervorragend seine eigenen terroristischen Anschlagspläne verhindern kann." Auch die Juristin und bekannte Bürgerrechtlerin Karen Greenberg spricht in einem Artikel für den Guardian über die "Newburgh Four" vom "Synagogen-Anschlag des FBI". Obwohl die Richterin Colleen McMahon während des Prozesses wiederholt Zweifel an der Glaubwürdigkeit und den Motiven des Spitzels Hussain äußerte, verurteilte sie drei der vier Angeklagten zu jeweils 25 Jahren im Knast – die Mindeststrafe für Terrordelikte dieser Art.

Im Kampf gegen den militanten Islamismus sind verdeckte Ermittlungen dieser Art weit verbrreitet. Seit 2001 schickt das FBI Informanten in Moscheen und andere Treffpunkte von Muslimen, wo sie sich als Islamisten ausgeben, um potentielle Terroristen aufzuspüren. In Targeted and Entrapped: Manufacturing the 'Home-Grown' Threat in the US, einer Zusammenfassung des Center for Human Rights and Global Justice (CHRGJ) an der New York University School of Law, die Anfang dieses Jahres erschien, heißt es, dass bei über 200 Anklagen Provokateure eine Rolle gespielt hätten.

Die Informanten werden vor ihrem Einsatz zwar formell beim FBI eingestellt – man kennt das aus den Krimiserien aus dem Fernsehen –, aber sie sind nicht als Ermittler ausgebildet. Anders als die neonazistischen V-Leute des deutschen Verfassungsschutzes arbeiten sie für die Poizei nicht "für die Sache", sondern um eine Strafanzeige loszuwerden, um nicht abschoben zu werden oder auch schlicht fürs Geld. Laut der American Civil Liberties Union (ACLU) ist es üblich, dass die Spitzel für "nützliche Informationen" eine bestimmte Summe (angeblich häufig im sechsstelligen Bereich) bekommen. Dieses Anreizsystem führt dazu, dass sie ein Interesse daran haben, islamistische Sympathisanten als entschlossene Terroristen darzustellen. Das FBI wiederum beweist mit jedem "vereitelten Anschlag", wie effektiv und notwendig seine Terrorabwehr ist.

Die "Newburgh Four" eignen sich besonders gut, um solche verdeckten Ermittlungen anzuprangern. Schließlich können sie einigermaßen glaubhaft behaupten, sie hätten sich nicht aus politischer Überzeugung, sondern aus Geldgier auf die Pläne des Provokateurs eingelassen. In anderen Fällen, bei denen agents provocateurs wie Hussain tätig waren, hatten die Angeklagten durchaus islamistische Ansichten. Fraglich ist allerdings, ob sie ohne das Anstacheln durch den Polizeispitzel jemals zur Tat geschritten wären.

Zum Beispiel der junge Rezwan Ferdaus, der mit einer "Drohne im Eigenbau" das Weiße Haus angreifen wollte (FBI-grown Terrorism?). Der 26-Jährige glaubte, Teil einer Al Qaida–Zelle zu sein – die allerdings aus FBI-Angestellten bestand. 2007 ging der FBI-Informant Craig Monteilh den Muslimen in einer Moschee in Los Angeles mit seiner dschihadistischen Propaganda derart auf die Nerven, dass sie ihn schließlich denunzierten – bei seinem Arbeitgeber, dem FBI.

Juristische Grauzone "Bereitschaft" zum Terror

Viele liberale Amerikaner sprechen in diesen Zusammenhang von "entrapment" – Fallenstellen. Dieses Vorgehen ist den Strafverfolgungsbehörden verboten. Laut der juristischen Definition von entrapment muss (1) die ursprüngliche Idee zur Straftat von den Polizeibeamten stammen, (2) sie müssen den Angeklagten zu der Tat aufstacheln und der Angeklagte hatte (3) vor dem Kontakt zu dem Beamten keine Absicht oder Bereitschaft, die Tat zu begehen.

Eigentlich scheint diese Definition exakt auf das Vorgehen des FBI im Fall der "Newburgh Four" zu passen. Aber durch den letzten Punkt rücken die ideologischen Überzeugungen der Angeklagten in den Mittelpunkt der Verhandlung. Die Staatsanwälte weisen in solchen Fällen regelmäßig nach, dass die Angeklagten islamistische Schriften gelesen oder entsprechende Internetseiten besucht haben. Die Polizei wiederum bemüht sich, möglichst drastische Aussagen aufs (Abhör-)Band zu bekommen. Für eine Verurteilung genügt die prinzipielle "Bereitschaft", einen bestimmte Tat zu begehen. Der Unterschied, den es macht, ob jemand etwas abstrakt befürwortet oder selbst tätig wird, wird so tendenziell verwischt.

Kritiker weisen immer wieder darauf hin, dass das Spitzelsystem den echten Terrorismus, der in den vergangenen Jahren oft von Einzeltätern ausging, nicht verhindert hat. Mit ihrer Kritik stehen liberale Amerikaner ziemlich alleine da. Bei Richtern und Geschworenen finden mutmaßliche islamistische Attentäter kaum Verständnis. Die "Newburgh Four" haben gegen ihr Urteil Berufung eingelegt. Anfang des nächsten Jahres wird darüber entschieden werden. Viel Hoffnung sollten sie sich nicht machen.