"Ohne demokratische Kontrolle"

Die gewählte bayerische Verfassungsrichterin Angelika Lex über den Verfassungsschutz als Problem

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Der Verfassungsschutz in Bayern wacht eifrig über die linke Szene im Freistaat: Jüngst wurde ein V-Mann enttarnt, der jahrzehntelang Informationen über Gruppen wie die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" lieferte. Andererseits war es der Freistaat, in dem sich nach 1945 die Funktionäre dieses Naziregimes gerne niederließen und in Behörden wie dem in Pullach bei München gegründeten Bundesnachrichtendienst pensionsberechtigt unterkrochen. Wie blind der Verfassungsschutz in Bayern auf dem rechten Auge ist, darüber sprach Rudolf Stumberger mit der Münchner Rechtsanwältin und gewählten Verfassungsrichterin Angelika Lex.

Sie haben umfangreiche juristische Erfahrung mit dem bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Welche?

Angelika Lex: Seit mehreren Jahren vertrete ich a.i.d.a. (Antifaschistische Informations- Dokumentations- und Archivstelle e.V.) mit dem Ziel, die Streichung des Vereins im Verfassungsschutzbericht zu erreichen, er wurde erstmals im Verfassungsschutzbericht 2008 unter der neu eingeführten Rubrik "Sonstige Linksextremisten" aufgeführt. Der hiergegen eingereichte Eilantrag zum Verwaltungsgericht war erfolgreich, so dass der Verfassungsschutz die entsprechenden Einträge schwärzen beziehungsweise löschen musste. Dennoch wurde a.i.d.a. auch im Verfassungsschutzbericht 2009 und 2010 erneut benannt.

Vorgeworfen wird a.i.d.a., dass sie Links zu angeblich verfassungsfeindlichen und gewaltbereiten Organisationen auf der Homepage unterhält und maßgeblich von linksextremistischen Personen geprägt wären. Dabei bezieht sich der Verfassungsschutz letztlich auf drei von mehr als 100 links. Auf diese wird von a.i.d.a. deshalb verlinkt, weil sie sich ebenfalls mit dem Thema Rechtsextremismus und Antifaschismus beschäftigen.

Für den Verfassungsschutzbericht 2009 und 2010 hat das Gericht bereits entschieden, dass die Behauptung, die Aktivitäten des Vereins werden maßgeblich durch Personen geprägt, die dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen sind, gelöscht werden muss, da eine derart pauschale Behauptung bereits aus formalen Gründen unzulässig ist. Auch für die Jahre 2009 und 2010 wird über eine vollständige Löschung von a.i.d.a. aus dem Verfassungsschutzbericht im Berufungsverfahren weiter gestritten.

Insbesondere in der derzeitigen Situation, in der offensichtlich wird, dass der Verfassungsschutz vollständig versagt hat, ist die Gesellschaft stark auf die Informationen von nichtstaatlichen Organisationen wie a.i.d.a. angewiesen. Es ist absurd, wenn eine Organisation als verfassungsfeindlich bezeichnet wird, die jene Aufgabe des Verfassungsschutzes übernommen hat, zu der dieser nicht in der Lage oder nicht Willens ist.

Weiterhin vertrete ich die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN) im Klageverfahren ebenfalls auf Löschung aus dem Verfassungsschutzbericht. Hier wird mit einer Argumentation, die an Zeiten des "Kalten Krieges" erinnert, behauptet, dass die Nähe zu Kommunisten es rechtfertigen würde, die VVN im Verfassungsschutzbericht zu erwähnen. Dabei wird zum Beispiel Ernst Grube, ein KZ-Überlebender, sogar namentlich benannt und diffamiert. Die VVN ist nur noch im Verfassungsschutzbericht Bayern und Baden-Württemberg enthalten. In den anderen Länderberichten und dem Bundesbericht ist sie längst gestrichen.

Aufgrund einer Spitzelenttarnung in München vertrete ich auch eine große Zahl von Personen, die vom Verfassungsschutz Auskunft darüber verlangen, was in deren Akten über sie gespeichert ist und eventuell auf rechtswidrige Überwachungsmaßnahmen zurückzuführen ist. Hier wird auch eine große Anzahl an Löschungsanträgen, die voraussichtlich auch gerichtlich durchgesetzt werden müssen, erhoben werden.

Sehen Sie eine demokratische Kontrolle des Verfassungsschutzes als gegeben?

Angelika Lex: Von einer demokratischen Kontrolle des Verfassungsschutzes kann keine Rede sein. Die Parlamentarische Kontrollkommission, die eigentlich diese Aufgabe erfüllen sollte, ist hierzu in keiner Weise geeignet. Hier werden einigen handverlesenen Parlamentariern im Geheimen einige Informationen geliefert, die sie aber weder überprüfen können, noch in die Öffentlichkeit tragen dürfen.

Dass der Verfassungsschutz einer intensiven Kontrolle bedarf, ist keine Frage. Derzeit ist aber zu erkennen, dass er sich offensichtlich in einem rechtsfreien Raum bewegt, auf den weder durch politische Vorgaben noch durch parlamentarische Kontrolle eingewirkt werden kann.

Sehen Sie Unterschiede zwischen der Aufklärung im rechten und linken Lager?

Angelika Lex: Hier sind ganz offensichtlich erhebliche Unterschiede vorhanden. Wenn man nur die Spitzelaffäre in München betrachtet, dann wurde hier über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte die gesamte linke Szene in München ausspioniert, wo hingegen die rechte Szene offensichtlich außen vor blieb. Organisationen, die gegen rechte Aktivitäten vorgehen, werden aber vom Verfassungsschutz intensiv überwacht. Entsprechend agiert die Polizei, die für demonstrierende Rechtsextremisten die halbe Innenstadt absperrt und linke Gegendemonstranten fernhält, um den Neo-Nazis eine protestfreie Demonstration zu ermöglichen.

Wird in Bayern die rechte Gefahr unterschätzt?

Angelika Lex: Von den bayerischen Behörden wird die rechte Gefahr ganz eindeutig unterschätzt. Allerdings nicht nur von den bayerischen, es handelt sich um ein bundesweites Phänomen. Anders ist es nicht erklärbar, dass über mehr als zehn Jahre hinweg Morde und Banküberfälle unaufgeklärt blieben. Wenn man die Fahndungsaufwand für die RAF, die in ihrer ganzen Geschichte nicht in diesem Umfang Straftaten begangen hat, vergleicht, ist das offensichtlich. Welche intensiven Anstrengungen damals unternommen wurden, nicht nur nach RAF-Mitgliedern, sondern auch nach Sympathisanten zu suchen und damit ganze Bevölkerungsschichten zu kriminalisieren, steht im krassen Gegensatz zur Reaktion auf die Aktivitäten von rechtsradikalen Gewalttätern; beginnend bereits beim Oktoberfest-Attentat 1980, wo immer die Einzeltätertheorie vertreten wurde und wird.

Wie sehen Sie die Funktion von V-Männern?

Angelika Lex: V-Männer haben grundsätzlich eine sehr problematische Funktion. Im NPD-Verbotsverfahren waren sie der Grund für das Scheitern, weil V-Männer in so großer Anzahl in Führungspositionen der NPD eingeschleust waren, dass für das Bundesverfassungsgericht nicht mehr erkennbar war, welche Aktivitäten von staatlicher Stelle ausgingen und welche von der Partei. Ich halte es in einem Rechtsstaat für unerträglich, dass durch V-Leute mit staatlicher Kenntnis und Billigung sowie logistischer und finanzieller Unterstützung immer wieder Straftaten begangen und zu solchen angestiftet wird. Ein Nutzen der V-Männer ist insbesondere nach aktuellen Vorkommnissen erkennbar nicht gegeben. Weder wurden Straftaten verhindert noch aufgeklärt.

Sollte der Verfassungsschutz reformiert oder gar abgeschafft werden?

Angelika Lex: Ob der Verfassungsschutz reformierbar ist, wage ich zu bezweifeln. Die Geheimhaltungsbedürfnisse stehen einer offenen demokratischen Kontrolle per se entgegen. Die jahrzehntelangen Bemühungen um eine intensivere Kontrolle sind immer am erbitterten Widerstand des Verfassungsschutzes gescheitert.

Dass eine Kontrolle aber bitter nötig ist, haben erneut die aktuellen Ereignisse gezeigt. Hier hat sich eine Organisation, die nach eigenen politischen Vorgaben unkontrolliert agiert, etabliert, was in einem Rechtsstaat nicht hinzunehmen ist. Da ich meine, dass eine effektive Kontrolle nicht möglich ist, muss abgewogen werden, ob man akzeptieren will, dass ein unkontrolliertes Gremium mit unkontrollierten politischen Vorgaben im Geheimen agiert, oder ob man es vorzieht, Vertrauen in den Rechtsstaat und die Arbeit der Polizei zu haben. Ich meine, dass sich die Unfähigkeit des Verfassungsschutzes, die Demokratie vor rechtsradikalen und rechtsterroristischen Gefahren zu schützen, so offensichtlich gezeigt hat, dass man auf den Verfassungsschutz gänzlich verzichten sollte.