Die neuen Pädagogen? - Förster, Soldaten, Minijobber

Billige Bildungsrepublik

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Jahrelang setzte die niedersächsische Landesregierung auf billige Arbeitskräfte an Ganztagsschulen. Jetzt sollen vorerst keine Honorarverträge mehr abgeschlossen werden. Die Rechtslage ist zu unsicher geworden

Nachdem sich die Schüler und Eltern der 1.300 Ganztagsschulen in Niedersachsen monatelang erhebliche Sorgen um den Zustand ihrer Bildungseinrichtungen gemacht hatten, interpretierte Bernd Althusmann die alte Weisheit von der Ruhe, die stets erste Bürgerpflicht ist, am vergangenen Freitag in ebenso sinnfälliger wie zeitgemäßer Weise.

"Die pauschale Behauptung, gegen Schulleitungen in Niedersachsen werde jetzt strafrechtlich ermittelt, ist sachlich falsch", erklärte der niedersächsische Kultusminister – und war offensichtlich der Meinung, eine wirklich gute Nachricht verbreitet zu haben.

Verlust der Rechtssicherheit in drei Tagen

Der nicht mehr ganz neue Vorwurf, an Niedersachsens Schulen würden mehr als 10.000 Menschen illegal und vielfach im Grenzbereich von Dumpinglöhnen in Höhe von 7,50 Euro beschäftigt, ließ Niedersachsens KTG-Double (Althusmann: Häuptling fremde Feder?) allerdings noch immer unbeeindruckt. Für die Einrichtungen bestehe "weiterhin Rechtssicherheit", teilte der Minister mit. Sofern sie sich an die Vorgaben der Niedersächsischen Landesschulbehörde hielten.

Die Niedersächsische Landesschulbehörde berät die Schulen umfassend und verlässlich in Vertragsfragen, insbesondere bei Neuabschlüssen von Verträgen.

Bernd Althusmann

Nur drei Tage später tagte der Kultusausschusses im Niedersächsischen Landtag und erlebte plötzlich einen entscheidungsfreudigen CDU-Minister, der bis zum Ende des Schuljahres 2011/12 – genauer: "bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage" - den Abschluss von Honorarverträgen untersagte. Die Deutsche Rentenversicherung halte Honorarverträge in diesen Beschäftigungsverhältnissen für "grundsätzlich nicht statthaft", teilte Althusmann mit. Diese Rechtsauffassung wolle er "fachlich" prüfen lassen. Doch aus diesmal gab es Positives zu vermelden.

Weder Rentenversicherung noch Hauptzollamt oder Staatsanwaltschaft ermitteln nach unserer Kenntnis strafrechtlich flächendeckend gegen Schulleitungen in Niedersachsen.

Bernd Althusmann

Nur ein einziger Fall will Althusmann bekannt sein, doch die Kenntnislage des Kultusministeriums, das nach Erinnerung der Deutschen Rentenversicherung schon 2007 "intensiv" über die strittige Sachlage "aufgeklärt" wurde, deckt sich nicht zwingend mit der Einschätzung anderer Beobachter. Möglicherweise geht es hier um einen massenhaften Straftatbestand.

Das gilt vor allem dann, wenn Vertretungslehrer oder Betreuungskräfte in Ganztagsschulen nur pro forma als Selbständige beschäftigt wurden und es sich de facto um weisungsabhängige Angestellte handelte, die keine Sozialversicherungsbeiträge zahlten.

Das Arbeitsgericht Hannover hat sich bereits mehrfach mit dem Thema auseinandergesetzt – nicht ausgeschlossen, dass Niedersachsens Schulen (oder die Landeskasse) viele Millionen Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen und Verträge entfristen oder neu formulieren müssen.

Förster zu Lehrern

Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und vielen ihrer Parteifreunde ausgerufene "Bildungsrepublik" kostet Milliarden, die Bund, Ländern und Kommunen entweder fehlen oder anderweitig verplant sind. So stehen nicht nur Universitäten und Hochschulen vor stetig wachsenden Problembergen, sondern auch Kitas, Kindergärten und Schulen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beobachtet seit geraumer Zeit, wie gerade der Schulbereich "deprofessionalisiert" und vor allem privatisiert wird.

Auf diese Weise lernen die Schülerinnen und Schüler etwa Seiteneinsteiger in den Beruf, Unternehmensvertreter, Ingenieure der Telekom, im öffentlichen Dienst überflüssige Förster, die "Teach-First-Fellows", Bildungspaten, -coaches und -lotsen, prekäre Beschäftigte, Mini-Jobber, Ehrenamtliche und neuerdings Jugendoffiziere der Bundeswehr kennen.

GEW: Privatisierungsreport 12

Nicht einmal die zu Pädagogen umfunktionierten Wald- und Wildhüter gehen als ironische Übertreibung ewig nörgelnder Gewerkschafter durch, denn "Förster zu Lehrern" ist als berufsorientierende Maßnahme ein Teil des Hessischen Zukunftssicherungsgesetzes. Folgerichtig darf sich auch die Bundeswehr berufen fühlen, mit 94 Jugendoffizieren ihren Teil zur politischen Bildung nachfolgender Generationen beizutragen.

Ob in Afghanistan, im Kosovo oder am Horn von Afrika – Konflikte, die uns weit weg erscheinen, beeinflussen auch unser Leben. Die Jugendoffiziere der Bundeswehr helfen Schülern, diese komplexen Zusammenhänge zu verstehen. Sie sind methodisch-didaktisch ausgebildet und bieten einen schülergerechten Unterricht.

Bundesministerium der Verteidigung: Schulbesuche – Jugendoffiziere im Klassenzimmer

Der Zuständigkeitsbereich des Ministers Althusmann taucht im GEW-Report, der bereits im Mai 2011 veröffentlicht wurde, unter der Überschrift "Illegale Verträge in Niedersachsen" auf. Die schwarz-gelbe Landesregierung verfolgt demnach seit 2004 ein rigides Sparprogramm, das den Ganztagsschulen lediglich ein schmales Budget für zusätzliches Personal zur Verfügung stellt. Die Einrichtungen seien dadurch geradezu gezwungen, "fragwürdige Verträge mit externen Kräften abzuschließen".

Doch im rot-grün regierten Bremen sah es lange Zeit nicht besser aus. In den Schulen arbeiten rund 1.000 externe Beschäftigte, viele von ihnen als Minijobber weit außerhalb eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses.

Erst im Februar 2011 gelang es dem "Personalrat Schulen" die Bedingungen für die Pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich zu verbessern, in dem eine Dienstvereinbarung mit Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper geschlossen wurde. Neben dem Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" soll nun ein Recht auf Aufstockung gewährt und der unbefristete Arbeitsvertrag mit Sozialversicherungspflicht der Regelfall werden.

Ein grundlegendes Bekenntnis zur kleinen Bildungsrepublik an der Weser war damit allerdings wohl nicht verbunden. Jürgens-Piper will oder soll ihren Etat noch einmal um 1,2 Prozent senken, Stundenkürzungen und die Anhebung der Pensionsgrenze sorgen für zusätzlichen Unmut. Petra Lichtenberg, der Vorsitzenden des Personalrats, blieb nicht lange Zeit, um sich über den Abschluss der Dienstvereinbarung zu freuen: "Seit 1995 sind 1000 Lehrerstellen abgebaut worden – obwohl sich die Schülerzahlen seitdem kaum verändert haben."

Honorarkräfte in Hamburg und 400-Euro-Jobber in Bayern

Im Januar 2011 interessierte sich Ties Rabe, SPD-Abgeordneter in der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, bereits brennend für das Thema Honorarkräfte an Hamburger Schulen - vornehmlich mit Blick auf die sich abzeichnenden Rechtsstreitigkeiten im benachbarten Niedersachsen. Zwei Monate später wurde Rabe selbst Senator für Schule und Berufsbildung und möchte seitdem noch genauer wissen, "wie Lernförderung organisiert werden kann, damit sie über Honorarkräfte laufen kann".

Seriöse Honorarverträge sind ein sinnvolles Mittel und sollen auch künftig eingesetzt werden, um den schulischen Ganztagsbetrieb zu ergänzen und Nachhilfeunterricht anzubieten. Für eine voreilige Aufkündigung von Honorarverträgen oder einen Stopp neuer Honorarverträge besteht kein Grund, wenn alle Beteiligten die entsprechenden Regularien einhalten.

Ties Rabe

Der Sozialdemokrat möchte die Honorarkräfte in der Nachmittagsbetreuung oder im Bereich der Nachhilfe einsetzen, doch auch seinen Plänen steht die Deutsche Rentenversicherung im Weg, die an 300 Schulen 2.500 Fälle aus den Jahren 2006 bis 2010 prüfen will. Rabe hat deshalb Fachanwälte mit der Ausarbeitung eines Muster-Arbeitsvertrages beauftragt, um wenigstens in Zukunft Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen.

Die Opposition wittert allerdings bereits Morgenluft. Die Linke mutmaßt eine Förderung von Schwarzarbeit und Sozialversicherungsbetrug seitens der neuen Schulbehörde, während die Union geflissentlich darüber hinwegsieht, dass ihr eigener Parteifreund in Niedersachsen ganz ähnliche Probleme hat und die Zeitspanne 2006 bis 2010 in ihre eigene Regierungszeit fällt.

Obwohl dem Senator die Probleme nach Auskunft seines Sprechers seit Monaten bekannt sind, hat er einen massiven Ausbau des Honorarkräfteeinsatzes betrieben, ohne die Schulen oder das Parlament über die Risiken zu informieren und für eine Klärung zu sorgen.

Robert Heinemann, CDU-Abgeordneter in Hamburg und schulpolitischer Sprecher

Der Gesamtpersonalrat für Personal an den staatlichen Schulen (GPR) betrachtet das Thema nicht nur unter dem Aspekt etwaiger finanzieller Risiken für die Schulbehörde, sondern als Teil einer zunehmenden Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen, die den Betroffenen keinerlei Sicherheiten mehr bieten.

Sie werden willkürlich eingesetzt, besonders in den Schulen. (…) Zum Teil haben die KollegInnen 4 und 5 verschiedene Jobs. So geben sie z.B. am Nachmittag Hausaufgabenhilfe, oder sie beaufsichtigen die Kinder beim Mittagessen und in der Mittagspause. Sie werden auch als Pausenaufsichten eingesetzt oder geben Kurse in Basteln, Musizieren, Selbstverteidigung etc…

Beispiel: Eine Stadtteilschule mit ca. 1.300 SchülerInnen beschäftigt ca. 70 sogenannte Honorarkräfte. Der Stundenlohn für 45 Minuten beträgt zurzeit 15,96 €. Hiervon gehen dann allerdings noch Steuern etc. ab. Abgerechnet werden dürfen nur geleistete Stunden, also wird auch kein Geld bei Erkrankung der Honorarkraft gezahlt. Für die Ferien und Feiertage gilt dasselbe.

GPR: Arm durch Arbeit in Schulen - Prekäre Beschäftigungsverhältnisse

"Im Süden lernt es sich am besten" …

sagt die Bertelsmann Stiftung, die bei der Vorstellung ihres Mammutprojektes Deutscher Lernatlas vor wenigen Tagen ein "deutliches Süd-Nord-Gefälle" festzustellen glaubte. In Sachen Ganztagsschule unterscheidet sich die Situation allerdings nur insofern von der Lage in Norddeutschland, als die gesamte Schulform von der zuständigen Landesregierung mit Argwohn betrachtet wird.

Klaus Wenzel, der Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, hält die vom Kultusministerium bevorzugte Variante offener Ganztagsklassen aber schlicht für eine "Billiglösung".

In offenen Ganztagsangeboten werden die Schüler nachmittags lediglich betreut - häufig von 400-Euro-Jobbern. Sie sind weder pädagogisch geschult, noch bringen sie Erfahrung oder Profession mit. Die Schulleitungen sind auf sie angewiesen, denn ihr Budget ist zu gering, um Fachpersonal rekrutieren zu können. In kleineren Kommunen ist geschultes Personal zudem Mangelware.

Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband

Allerdings gibt es in Bayern schon seit Jahren einen Leitfaden des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, in dem unzweideutig festgestellt wird, dass eine Honorarkraft weder weisungsgebunden noch verpflichtet ist, den methodisch-didaktischen Anweisungen der Schulleitung zu folgen. Die Übertragung der Unterrichtstätigkeit vom Lehrpersonal auf Honorarkräfte wird überdies explizit ausgeschlossen.

Justiziable Vorwürfe wird man in diesen Fällen also möglicherweise nicht erheben können. Doch es gibt noch ein paar andere …