Die Bundesanwaltschaft ermittelt: Nur gegen wen und warum?

Erneut übernehmen Medien distanzlos eine fragwürdige Meldung und müssen nun zurückrudern

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Die Nachrichtenlage von gestern schien eindeutig: Die Gefahr von Anschlägen auf US-amerikanische Einrichtungen in Deutschland durch den Iran war zum Greifen nahe. Doch ein Anruf gestern Nachmittag bei der Bundesanwaltschaft fördert Erstaunliches zu Tage. Eine Sprecherin der Behörde sagte, sie könne bestätigen, dass ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Agententätigkeit gegen eine nicht näher beschriebene Person laufe, von Gefahren durch Anschläge in diesem Zusammenhang könne aber nicht die Rede sein. Die Sprecherin der Behörde gab darüber hinaus an, dass im Rahmen der Ermittlungen eine Wohnungsdurchsuchung bei dem Beschuldigten stattgefunden habe, aber dass auch nach der Durchsuchung kein Haftbefehl erfolgt sei.

Die Schlagzeile bei Bild Online von gestern Vormittag ließ Schlimmes erahnen: "Agenten wollen bei Krieg US-Basen attackieren. Iran plant Anschläge in Deutschland". Gleich von mehreren Agenten weiß Bild Online, die bereit seien, US-amerikanische Militäreinrichtungen in Deutschland anzugreifen.

Es scheint, als werde der Weltöffentlichkeit nun der endgültige Beweis für die Radikalität und die Gefährlichkeit des Irans präsentiert. Im Bild-Artikel ist dann zu lesen:

Der Iran plant offenbar, US-Streitkräfte auf deutschem Boden anzugreifen. Das geht aus einem Beschluss des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof hervor, der BILD vorliegt. Nach Ermittlungen von BKA-Experten will das Regime von Diktator Mahmud Ahmadinedschad demnach im Fall eines amerikanischen Angriffs auf Teheran Militärflugplätze der USA in Deutschland attackieren, um Nachschub und Logistik eines möglichen Schlages gegen den Iran zu stören. Die Bundesanwaltschaft führt in diesem Zusammenhang ein Ermittlungsverfahren (3BJs19/11-1) wegen des "Verdachtes der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken" gegen einen deutschen Geschäftsmann, der konspirativen Kontakt mit der iranischen Botschaft in Berlin gepflegt haben soll.

Die Gründe, die zu der Schlagzeile führen, werden deutlich (oder auch nicht):

  • Der Iran plant offenbar….
  • Aus einem Beschluss eines Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshof geht hervor
  • BKA-Experten wollen
  • Die Bundesanwaltschaft führt ein Verfahren wegen des Verdachtes der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken
  • Ein deutscher Geschäftsmann soll (!) konspirativen Kontakt mit der iranischen Botschaft gehabt haben

Die angeführten "Gründe" reichen der deutschen Medienlandschaft aus, um grundlegende journalistische Prinzipien zur Seite zu schieben. Eine Hinterfragung der Bild-Meldung fand in den Medien nicht statt. Vielmehr bemühten sich Redaktionen quer durch das Bundesgebiet die Bevölkerung darüber zu informieren, dass der Iran bereit sein wird, militärisch knallhart zu agieren - und das auf deutschem Boden. Agenten (vor 10 Jahren hätte man wahrscheinlich noch von Schläfern gesprochen) des Iran, stünden bereit, um den Krieg bis nach Deutschland zu tragen, lautete der Tenor in den Medien.

Zwar dauerte es ein paar Stunden, bis Spiegel-Online sich der Meldung annahm (d.h., eigentlich hätte man Zeit zum Recherchieren gehabt), dann aber gleich mit Donnerschlag: Als "Eilmeldung" mit gelb unterlegter Schrift brachte Spiegel-Online die "Nachricht" von der boshaften Angriffslust des Iran. Groß als Aufmacher erklärte Spiegel-Online: "Bundesanwälte ermitteln wegen möglicher Anschlagspläne Irans" Und weiter heißt es:

Iran plante offenbar, US-Streitkräfte auf deutschem Boden zu attackieren. Falls Amerika Teheran angreift, sollten demnach Einrichtungen im Bundesgebiet sabotiert werden. Der Chef des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, betonte, es bestehe keine unmittelbare Gefahr. Weitere Einzelheiten teilten Ziercke und Range nicht mit. Zuvor hatte die "Bild"-Zeitung berichtet, das iranische Regime wolle im Fall eines US-Angriffs Militärflugplätze der USA in Deutschland attackieren, um Nachschub und Logistik der Armee zu stören.

Die Bundesanwaltschaft ermittle wegen des "Verdachts der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken", hieß es. Ein deutscher Geschäftsmann soll demnach konspirativen Kontakt mit der iranischen Botschaft in Berlin gepflegt haben. Am 2. November sei dazu eine Hausdurchsuchung angeordnet worden. Die USA betreiben in Ramstein in der Pfalz einen ihrer größten Militärstützpunkte weltweit, über den wesentliche Teile des Nachschubs und der Logistik für die Kriege in Afghanistan und im Irak abgewickelt werden. In einem großen Lazarett im nahe gelegenen Landstuhl werden verwundete Soldaten aus den Einsatzgebieten versorgt. Beide Einrichtungen sind schwer gesichert. Der Konflikt zwischen Iran und dem Westen spitzt sich seit Tagen zu, nachdem Demonstranten in Teheran die britische Botschaft gestürmt hatten.

Deutlich wird: Spiegel-Online (genau wie vielen anderen Medien) reicht ein "möglicherweise" und ein "offenbar" aus, um eine Meldung zu bringen, die bei näherer Betrachtung zu viele Fragen aufwirft, als dass man die in der Meldung vorhandenen "Informationen" ohne Analyse der medialen Öffentlichkeit mitteilen sollte.

Noch problematischer ist die Überschrift in der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Bei FAZ.NET heisst es: "Bundesanwaltschaft ermittelt. Iran plant angeblich Anschläge in Deutschland"

Die Überschrift lässt den Eindruck entstehen, die Bundesanwaltschaft ermittle gegen den Iran wegen Anschlägen, die er in Deutschland plant. (Zur Erinnerung: Im Artikel von Bild-Online war die Rede von Ermittlungen gegen einen "Geschäftsmann" wegen Agententätigkeit.)

Während die Schlagzeile auf FAZ.NET auf eher unglückliche Weise Missverständnisse entstehen lässt, bringt die Deutsche Welle die dramatischen Ereignisse in Deutschland journalistisch gekonnt auf den Punkt:

"Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Iran":

Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen möglicher Anschlagspläne des Iran gegen amerikanische Streitkräfte in Deutschland. Generalbundesanwalt Harald Range bestätigte in Karlsruhe, die Führung in Teheran werde verdächtigt, für den Fall eines Angriffes der USA auf ihr Land Einrichtungen der US-Armee in Deutschland attackieren zu wollen.

Die Bundesanwaltschaft ermittelt also tatsächlich gegen (!) den Iran. Und damit nicht genug: Die Deutsche Welle weiß auch zu berichten, dass der Generalbundesanwalt die Führung in Teheran verdächtige. Ob der Generalbundesanwalt tatsächlich gesagt hat, er ermittele gegen die Führung in Teheran, ist zu bezweifeln. Die Presseabteilung der Bundesanwaltschaft konnte nichts dergleichen bestätigen.

Die angeführten Unzulänglichkeiten in der Berichterstattung von gestern genügen, um zu verdeutlichen, wie schnell Informationen, die in ihrem Kern kaum Substanz haben, mit Paukenschlägen von den Medien distanzlos wiedergegeben werden.

Wie in vielen anderen Fällen, wenn es um "Nachrichten" geht, die sich mit einer angeblichen terroristische Bedrohung auseinandersetzen, bleibt auch in diesem Falle, wo es vermutlich um Stimmungsmache gegen den Iran wegen eines geplanten Krieges geht, der kritische Journalismus auf der Strecke.

Grundlegende Fragen, die den Informationswert der Meldung hätten richtig einordnen lassen, wurden erneut nicht gestellt:

  • Woher hat die Bundesanwaltschaft die Informationen, die zu den Ermittlungen geführt haben?
  • Konkret: Wer hat die Informationen an die Behörde mitgeteilt?
  • Wie kommen die Medienvertreter, die sich auf die Ermittlungsakten eines Bundesrichters beziehen, zu den Akten?
  • Wer hat sie ihnen gegeben, aus welchem Grund?
  • Was denkt der Richter, was denkt der Bundesgerichtshof darüber, das Ermittlungsakte an die entsprechenden Journalisten weitergegeben werden?
  • Ist das allgemeine Praxis?
  • Warum wurden die Ermittlungsakten so schnell weitergeben?
  • Wer hat von Seiten der Behördenmitarbeiter ein Interesse daran, diese Informationen so früh herauszugeben?
  • Warum tauchen diese Informationen nur kurze Zeit nach den Vorfällen im Iran (Stürmung des Geländes der britischen Botschaft) auf?
  • Wäre es so gewesen, dass die Bundesanwaltschaft tatsächlich wegen Anschlagsplänen des Irans in Deutschland ermittelt, wie realistisch wären dann die Informationen, die zu den Ermittlungen geführt haben?
  • Würde der Iran im Falle eines Angriffs auf Teheran tatsächlich die schwer gesicherten U.S-Einrichtungen angreifen können und vor allem auch: wollen?
  • Käme aus strategischer Sicht ein solcher Akt nicht einem Todesurteil für die iranische Regierung gleich?
  • Und sollte der iranische Präsident (der "Irre von Teheran", so Bild) tatsächlich zu so einer Maßnahme greifen (und dazu fähig sein), wie groß wäre der konkrete Vorteil aus kriegsstrategischer Sicht für den Iran?
  • Wieviele Flugplätze in Deutschland müsste der Iran angreifen und wie groß müsste das Schadensbild sein, um tatsächlich eine Bombadierung Teherans durch US-Streitkräfte unterbinden zu können - was ist mit den vielen anderen U.S-Luftstützpunkte in anderen Ländern, die genutzt werden können?
  • Wie konkret sind die Hinweise, der die Bundesanwaltschaft nachgeht, überhaupt?
  • Es wird von einer Hausdurchsuchung berichtet, aber warum wird nicht mitgeteilt, dass keine Verhaftung erfolgt ist?

Dies sind nur einige der Fragen, die zum inhaltlichen Gehalt der Meldung gestellt werden sollten. Doch es gilt noch eine andere Frage zu stellen: Hat es tatsächlich (so erscheint es zumindest im ersten Eindruck) eine ganze Medienlandschaft unterlassen, sich mit der Bundesanwaltschaft in Verbindung zu setzen, um in Erfahrung zu bringen, wie der Stand der Dinge ist?

Bis gestern 13:00 Uhr war die Pressestelle der Bundesanwaltschaft aufgrund einer Pressekonferenz nicht zu erreichen (man könnte so schön verschwörungstheoretisch spekulieren: Wurde die Meldung mit Absicht zu dieser Zeit, als die Behörde nicht erreichbar war, lanciert?). Danach war die Pressestelle besetzt und Anfragen konnten gestellt werden. Bis spätestens in den frühen Abendstunden wäre zu erkennen gewesen, dass die so hoch gehandelte Meldung bei weitem nicht das hergab, was bestimmte Medien vermittelten.

Insbesondere in Anbetracht möglicher Kriegsvorbereitungen gegen den Iran sollten Medien mehr Feingefühl an den Tag legen, wenn es um Nachrichten geht, die auch Teil einer kriegspsychologischen Propaganda sein könnten. Man darf gespannt sein, wann die Öffentlichkeit von Massenvernichtungswaffen im Iran erfahren wird. Zur Zeit sind die Medien damit beschäftigt, ihre Meldungen von gestern "zu korrigieren" (Deutsche Welle, Spiegel).