Punkte in Flensburg wegen Softwareproblemen

Rechtsanwalt Alexander Biernacki zu Fehlern bei der polizeilichen Ermittlung von Geschwindigkeitsüberschreitungen

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Wer zu schnell fährt, dem drohen hohe Bußgelder, Punkte in der Zentralen Verkehrssünderdatei und Fahrverbote. Allerdings werden in letzter Zeit zunehmend Zweifel daran laut, wie verlässlich die Messmethoden und Verfahren zur Geschwindigkeitsermittlung von Auto- und Motorradfahren sind. Wir befragten dazu den Münchener Rechtsanwalt Alexander Biernacki von Blitzerkanzlei.de.

Herr Biernacki - wie viele Bußgeldbescheide wegen Geschwindigkeitsüberschreitung sind in Deutschland fehlerhaft und wie viele sind nicht beweisbar?

Alexander Biernacki: Ich gehe aktuell davon aus, dass zumindest 5-8 % der Messungen technisch fehlerhaft sind. Insbesondere mobile Radar- und Lasermessungen sowie Videoaufzeichnungen unterliegen einer hohen Fehlerquote.

Bei einem ganz erheblichen Teil der Verfahren (ca. 60%) sind die in der Ermittlungsakte befindlichen Beweismittel nicht geeignet, den Tatnachweis zu führen. Allerdings werden hier im Laufe des Verfahrens häufig noch Beweismittel nachgeliefert, wenn diese ausdrücklich angefordert werden.

Bei etwa 10% der Verfahren reicht die Bildqualität nicht aus, um den Fahrer zweifelsfrei zu identifizieren. Etwa genauso viele Verfahren müssen eingestellt werden, weil Verfolgungsverjährung eintritt oder formale Verfahrensmängel vorliegen.

Je nach Region und Messsystem kann von etwa von einer Einstellungs- und Freispruchsquote von 10-20% der Verfahren ausgegangen werden, die von einem Anwalt geführt werden. Im Gegensatz dazu gehen Bußgeldbehörden selbst von einer Quote von 1-2% aller Verfahren aus. Dieser große Unterschied kommt dadurch zustande, dass die Bußgeldbehörden als Datenmenge die Gesamtanzahl aller Verfahren heranzieht, also insbesondere auch die Verfahren, in denen kein Anwalt kritisch prüft und die Behörden ohne externe Kontrolle agieren können. Hieran wird sehr deutlich, wie wenig Betroffene sich gegen einen Bußgeldbescheid wehren und wie viele Bescheide zu Unrecht erlassen werden.

Getarntes Gerät zur Geschwindigkeitsmessung. Foto: Haberlon. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Wie kommt man auf diese Anteilswerte?

Alexander Biernacki: Man kann sehr schwer sagen, wie viele Messungen tatsächlich fehlerhaft sind, weil nur ein verschwindend geringer Teil der Messungen überhaupt überprüft wird. Aus meiner Sicht vertrauen viel zu viele Bürger auf die Richtigkeit der polizeilichen Arbeit. Ich kann daher immer nur von den Verfahren berichten, die tatsächlich bei mir gelandet sind. Wir haben gemeinsam mit Sachverständigen mehrere Tausend Messungen überprüft und sind damit zu den geschilderten Ergebnissen gekommen.

Wie entstehen fehlerhafte Messungen?

Alexander Biernacki: Der größte Teil der fehlerhaften Messungen basiert auf Bedienfehlern seitens der Messbeamten. Bei modernen Messverfahren sind Fehler umso unwahrscheinlicher, je genauer der Messbeamte alle Herstellervorgaben einhält. Ich erlebe häufig schlecht geschulte und wenig motivierte Messbeamte. Hier fehlt es häufig völlig an Kenntnissen darüber, wie die Messverfahren arbeiten und wie sich bestimmte Umstände auswirken können.

Tritt das Problem nur bei veralteten Messgeräten auf?

Alexander Biernacki: Nein, auch bei sehr aktuellen Messverfahren gibt es Probleme. Eigentlich könnte man sogar sagen, dass es gerade bei neuen Messsystemen zu Fehlern kommt. Während einige Messsysteme seit Jahrzehnten weitestgehend fehlerfrei im Einsatz sind, gab es gerade bei den neuen Systemen Softwareprobleme, die ganz erhebliche Fehler produziert haben. In diesem Fall waren nicht die Messbeamten Schuld, sondern der Hersteller hat eine fehlerhafte Software installiert.

Nahezu alle in den letzten Jahren auf den Markt gebrachte Messsystem waren anfangs fehlerbehaftet. In der Folge mussten nach kurzer Zeit Updates und Änderungen durchgeführt werden. Hier entsteht der Eindruck, dass die Praxistests dieser Messverfahren erst im Einsatz erfolgen.

In allen Fällen mussten die Betroffenen regelrecht ihre Unschuld beweisen, denn diese Geräte waren bereits als standardisierte Messverfahren anerkennt. Dies geht zulasten der Betroffenen und ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Aus meiner Sicht ist es nicht nachvollziehbar, warum die zuständigen Eich- und Zulassungsbehörden den Herstellern blind vertrauen.

Ab wann lohnt es sich für Autofahrer, gegen einen Bußgeldbescheid Rechtsmittel einzulegen? Und ab wann lohnt sich die Konsultation eines Anwalts?

Alexander Biernacki: Ein Einspruch lohnt sich vor allem bei gravierenderen Verstößen, also immer dann wenn Punkte und Fahrverbot drohen. Für die Anwalts- und Verfahrenskosten kommt die Rechtsschutzversicherung auf. Verfügt man über keine Rechtsschutzversicherung, muss man sich darüber im Klaren sein, dass ein Bußgeldverfahren ein nicht unerhebliches Kostenrisiko darstellt. Bestätigt sich am Ende des Verfahrens der Vorwurf im Bußgeldbescheid, müsste man ohne Rechtsschutzversicherung alle Kosten selbst tragen.

Es ist kaum möglich, ein Bußgeldverfahren ohne Anwalt zu führen. Die zwingend benötigte Einsicht in die Ermittlungsakte und die Beweismittel bekommt nur der Rechtsanwalt und nicht der Betroffene selbst.

Genügt es rechtsstaatlichen Verfahrensansprüchen wenn der Bußgeldstelle einfach nur der Messwert ohne Beweise übermittelt wird?

Alexander Biernacki: Aus meiner Sicht darf kein Bußgeldbescheid erlassen werden, ohne dass der zuständige Sachbearbeiter geprüft hat, ob die vorliegenden Beweise ausreichen, um den Tatnachweis zu führen. Andernfalls könnte kein Bürger darauf vertrauen, dass die Angaben im Bußgeldbescheid zutreffend sind. Bundesweit wird dies sehr unterschiedlich gehandhabt. Gerade bei großen Bußgeldbehörden haben die Sachbearbeiter für jeden Vorgang nur wenige Sekunden oder Minuten Zeit. Nahezu alle Abläufe sind automatisiert. Wenn bei Beginn des Verfahrens ein Fehler bei der Datenerfassung gemacht wird, beispielsweise ein Wert falsch übermittelt wird, kann es sehr gut sein, dass dieser bis zum Ende völlig unbemerkt bleibt. In der Praxis ist es häufig so, dass erstmals ein Sachbearbeiter aktiv wird, wenn der Einspruch vom Anwalt kommt. Bedenkt man, dass der Betroffene häufig nicht einmal mehr ein Foto mit Dateneinblendung übersandt bekommt, um den Wert überprüfen zu können, halte ich dies für sehr bedenklich.

In wessen Kasse fließen die Bußgelder? Gibt es Anreize, möglichst viele und möglichst hohe zu verhängen oder ist der Erhebungsaufwand höher als die Einnahmen?

Alexander Biernacki: Die Bußgelder gehen überwiegend an das Land. Ich unterstelle keiner Behörde, dass sie absichtlich falsche Bescheide erlässt oder Messungen verfälscht. Allerdings besteht offenbar auch kein Interesse an übermäßig sorgfältiger Arbeit. Den Bußgeldbehörden ist völlig klar, dass nur in einem Bruchteil der Verfahren Einspruch eingelegt wird. Selbst wenn die Behörden in diesen Fällen Niederlagen einstecken müssen und die Verfahren eingestellt werden, so ist dies offenbar wirtschaftlicher, als alle Verfahren sorgfältiger zu führen und kritisch zu prüfen.

Sind ihnen Bestrebungen bekannt, daran etwas zu ändern? Oder wird das Problem bislang von allen politischen Parteien ignoriert?

Alexander Biernacki: Nach meiner Kenntnis gab es vor einiger Zeit eine Bundestagsanfrage der FDP Fraktion zu dieser Thematik. Man muss jedoch sehen, dass Polizeiaufgaben Ländersache sind. Bedenkt man, dass Bußgelder einen erheblichen Posten im Haushaltsetat darstellen, wird klar, warum hier nur geringes Interesse besteht.

Bitte lassen Sie mich noch ergänzen, dass ich Verkehrsüberwachung für absolut sinnvoll und notwendig erachte. Allerdings kann ein Bußgeldverfahren für einen Betroffenen erhebliche Konsequenzen haben. Für viele meiner Mandanten bedeutet ein mehrmonatiges Fahrverbot eine echte Existenzbedrohung. Aus meiner Sicht sind sich viele Bußgeldbehörden dieser enorm hohen Verantwortung nicht bewusst. Es wird schlichtweg nicht sorgfältig genug gearbeitet. Ich kann daher bei Zweifeln an der Richtigkeit nur dringend zu einer Überprüfung durch einen spezialisierten Anwalt raten.

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