Rotgrüner Spagat in München

Studie zu Ein-Euro-Jobs sieht vor allem "negative Beschäftigungseffekte"

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Eine Studie über Ein-Euro-Jobs sorgt in der bayerischen Landeshauptstadt für Wirbel: Die Beschäftigungsmaßnahmen dauern zu lange und sie verhindern eher die Integration in den Arbeitsmarkt, als diese zu fördern. Diese negativen Beschäftigungseffekte seien zudem bei von der Stadt bezuschussten Zusatzjobs noch deutlicher ausgeprägt, so die Ergebnisse einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Dem gegenüber kontern das Münchner Wirtschafts- und das Sozialreferat, in der Studie würden die falschen Fragen gestellt und die Lebenswirklichkeit der Langzeitarbeitslosen bliebe unberücksichtigt. Sie sei die "Begleitmusik für die Kürzungsmaßnahmen aus Berlin", so die Kritik des grünen Fraktionsvorsitzenden Siegfried Benker im Münchner Stadtrat.

"Evaluation von Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante im Jobcenter-München", lautet im besten bürokratendeutsch der Titel der Studie des IAB, dem Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit. Ihre Ergebnisse sind eine schallende Ohrfeige für die rotgrüne Beschäftigungspolitik in München:

Die Teilnahme an Zusatzjobs in München führt für die Teilnehmer/innen ursächlich dazu, dass ihre Beschäftigungschancen am ersten Arbeitsmarkt (ungefördert wie gefördert) statistisch signifikant geringer sind als die vergleichbarer Nicht-Teilnehmer/innen.

Mit anderen Worten: Wer in München einen Ein-Euro-Job zugewiesen bekommt, dessen Chancen verschlechtern sich, einen regulären Job zu bekommen. Und besonders deutlich sei dies bei den durch die Stadt mitfinanzierten und so geförderten Beschäftigungsprojekten:

Die negativen Beschäftigungseffekte sind des Weiteren bei durch die Stadt kofinanzierten Zusatzjobs stärker ausgeprägt als bei nicht-kofinanzierten.

Außerdem sei bei diesen kofinanzierten Jobs in sozialen Betrieben eine Konzentration auf wenige große Träger zu beobachten und es liege nahe, dass diese Träger Einfluss auf die Zuweisung von Ein-Euro-Jobbern hätten. Weiter sei die Dauer der Zusatzjobs mit acht bis neun Monaten in München sehr lange.

Als Schlussfolgerung fordert die Studie eine stärker Individualisierung und Intensivierung der Betreuung mit mehr Personal, eine Reduzierung der Ein-Euro-Jobs, eine Altersbegrenzung und eine Verkürzung der Dauer. Generell sollten Zusatzjobs "um einen erfolgversprechenden Beitrag zur individuellen Ursachenbekämpfung liefern zu können, inhaltlich so ausgestaltet sein, dass sie an den Stärken und Schwächen jedes einzelnen Geförderten ansetzen." Falsch sei die umgekehrte Vorgehensweise, also das "Vorhalten" von Zusatzjobs mit bestimmten Tätigkeiten und die Auswahl von Geförderten, die dann zu diesen Tätigkeiten "passen".

Demgegenüber kritisiert die rotgrüne Stadtregierung, die Studie konzentriere sich lediglich auf den Aspekt der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Die Beschäftigung in den sozialen Betrieben habe aber vielmehr die Förderung der sozialen Integration und der Beschäftigungsfähigkeit im Blickpunkt, dies werde aber unberücksichtigt gelassen: "Eine alleinige Bewertung auf Basis der kurzfristigen Beschäftigungsmaßnahme" werde dem Grundgedanken der Ein-Euro-Jobs nicht gerecht. Die Lebenswirklichkeit der Langzeitarbeitslosen würde in der auf rein statistische Auswertung beruhenden Studie nicht berücksichtigt. Dies gelte auch für die variable "Gesundheitszustand", so lägen bei über 40 Prozent der Teilnehmer deutliche körperliche und psychische Belastungen vor.

Den rotgrünen Spagat zwischen sozialer Beschäftigungspolitik und der Hartz IV-Gesetzgebung durch die eigenen Parteien auf Bundesebene machte in der Stadtratsdebatte die Münchner Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) deutlich, sie sprach von einem "Paradigmenwechsel", der stattgefunden habe. Hintergrund ist, dass die Stadt seit 1985 eine aktive Beschäftigungspolitik betreibt, um die damaligen Sozialhilfeempfänger in sozialen Betrieben beruflich auf die Beine zu helfen. Dabei handelte es sich oft um Menschen mit Sucht oder Alkoholproblemen, Erkrankungen und psychischen Störungen.

Unter der Regierung Schröder/Fischer wurde diese alte Sozialhilfe abgeschafft und die Betroffenen zusammen mit Langzeitarbeitslosen Hartz IV zugewiesen. Das verbleibende Instrument der Beschäftigungsförderung waren plötzlich die Ein-Euro-Jobs, die aber "zusätzlich" und "gemeinnützig" sein sollten. Die Münchner sozialen Betriebe aber waren das Gegenteil: "marktnah", um die Chancen der Teilnehmer zu erhöhen.

So beschloss der Stadtrat auch Ende Juni, die bayerische Landeshauptstadt München solle sich dafür einsetzen, dass Ein-Euro-Jobs künftig nicht mehr grundsätzlich das Kriterium der "Zusätzlichkeit" haben müssten. Damit sollte das lokale Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ) weiter möglich gemacht werden. So unterstützte in 2011 die Stadt mit zehn Millionen Euro mehr als 30 sogenannte "Soziale Betriebe", in denen rund 2000 Personen pro Jahr beschäftigt wurden. Dies ist jetzt durch Kürzungen im Budget der Jobcenter bedroht. München aber will weiter den Spagat zwischen einer sozialen städtischen Beschäftigungspolitik für Menschen mit geringen Chancen auf dem regulären Arbeitsplatz und der Kritik an Ein-Euro-Jobs durch Studien, aber auch den Gewerkschaften ("Verdrängung regulärer Arbeitsplätze") versuchen. Einer grundsätzlichen Hartz IV-Kritik, wie von dem Linken-Stadtrat Orhan Akman gefordert, wollte der Münchner Stadtrat in der Debatte um die IAB-Studie nicht folgen.