SPD will dreimonatige Vorratsdatenspeicherung

Auf ihrem Bundesparteitag sprechen sich die Sozialdemokraten für einen modifizierten Start des vom Bundesverfassungsgericht verworfenen Instruments aus

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Gestern beschloss die SPD auf ihrem Bundesparteitag in Berlin-Kreuzberg, sich für eine dreimonatige anlasslose Speicherung aller elektronischen Kommunikationsverbindungen aller Bundesbürger einzusetzen. Der Beschluss war nicht unumstritten: Im Vorfeld hatten sich die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen und die SPD-Jugendorganisation auf einen Änderungsantrag geeinigt, der den von der Antragskommission als Kompromiss zwischen Gegnern und Befürwortern einer Vorratsdatenspeicherung verkauften Initiativantrag zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung entgegengesetzt wurde.

Während die Parteiführung den 92-jährigen Helmut Schmidt eingeladen hatte, der eine längere Rede halten durfte, machten parteiinterne Gegner der Vorratsdatenspeicherung mit einem Willy-Brandt-Zitat, in dem der andere Altkanzler die Freiheit als höchstes Gut nach dem Frieden preist, darauf aufmerksam, dass der

SPD-Übervater ihrer Ansicht nach heute gegen die anlasslose Speicherung der

Kommunikationsverbindungen aller Bundesbürger wäre. Ihnen zufolge hat das von der Großen Koalition eingeführte (aber in der Union ebenfalls umstrittene) Instrument nicht nur negative Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit, sondern verlagert auch Teile des staatlichen Gewaltmonopols auf die Privatwirtschaft, schafft "neue, unabsehbare Probleme mit dem Datenschutz" und ist ein unangemessener Eingriff in Grundrechte. Außerdem sei der Nachweis einer Notwendigkeit zur Verbrechensbekämpfung bisher immer noch nicht erbracht und die Wirksamkeit zweifelhaft.

Die Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe argumentierte auf dem Parteitag, dass die SPD mit der Vorratsdatenspeicherung jüngere Menschen abschreckt.

Vor und nach der Abstimmung wurden Vorwürfe laut, dass die Parteiführung mit organisatorischen Tricks versuchte, ein Ergebnis nach ihren Wünschen herbeizuführen. So wurden beispielsweise Anträge so offensichtlich ungleich behandelt, dass bei manchen Beobachtern Zweifel aufkamen, inwieweit dies mit dem im Grundgesetz verankerten Demokratiegebot für Parteien vereinbar ist. Die Debatte und die Abstimmung schob man mehrmals hin- und her, so dass bis zum Schluss auch unter den Delegierten große Verwirrung herrschte, ob und wann sie tatsächlich stattfindet.

Der dafür vorgesehene zeitliche Rahmen war außerdem so eng, dass jeder Sprecher in der insgesamt dreiviertelstündigen Debatte nur drei Minuten Redezeit bekam, was der Sitzungsleiter Thorsten Schäfer-Gümbel unterschiedlich streng handhabte: Während VDS-Gegnern abrupt das Wort abgeschnitten wurde, konnte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger seine Redezeit um fast ein Drittel überziehen. Der Mann mit dem etwas klischeehaft wirkenden Ruhrgebietsakzent gab sich als besonders entschiedener Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung und bemühte dafür "Hunderte von Verfahren" die wegen des Fehlens von Verbindungsdaten angeblich eingestellt werden mussten. Um welche Delikte es dabei ging, sagte er nicht, wechselte dafür aber gleich zur Kinderpornografie, wo er ausführlich verweilte.

Mit Jäger verteidigte ausgerechnet ein Mann die Vorratsdatenspeicherung, bei dem ein ausführlicher Einblick in seine in der Vergangenheit angefallenen Verbindungsdaten selbst nicht ganz uninteressant sein könnte: Darauf deuten nicht nur ungeklärte Vetternwirtschaftsvorwürfe hin, sondern auch eine aktuelle Affäre um sein Nichteinschreiten gegen eine Reihe von SPD-Mitgliedern, die im Verdacht stehen, U-Boote der rechtsextremen Grauen Wölfe zu sein. Einen davon, Muhammet Balaban, ließ er sogar auf einer von seinem Ministerium mit organisierten Tagung sprechen.

Diese Affären wurden von den Gegnern Jägers jedoch nicht thematisiert. Stattdessen konzentrierte man sich darauf, den Delegierten zu verdeutlichen, dass eine dreimonatige Speicherung kein Kompromiss zwischen Union und Piraten sei (wie dies die Befürworter darstellten), sondern das Überschreiten einer Grenze, dessen Wirkung erst dann deutlich wird, wenn man sich die Äquivalente der Maßnahme in der "Offline-Welt" vorstellt: regelmäßige Passkontrollen beim Betreten der Bürgersteige, das Speichern sämtlicher Routen von Kraftfahrzeugen und das Aufschreiben und Abheften der Absender und Empfänger sämtlicher Briefe, Päckchen und Pakete.

Allerdings waren die rednerischen Qualitäten der VDS-Gegner extrem unterschiedlich: Während beispielsweise der Diplom-Informatiker Ulrich Kelber und Gisela Becker von der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen durchaus in der Lage waren, Sympathien aufzubauen, wirkte ein Juso mit Schlapphut, Knebelbart und schwarzem Schal fast wie die Karikatur eines Agenten und erweckte nicht unbedingt den Eindruck, dass man Rhetorikseminare der SPD-Jugendorganisation besuchen sollte.

Eher empfehlen würde man da schon den oder die Redelehrer von Thomas Oppermann, der in einer orwellschen Begriffsumkehrung behauptete, dass Vorratsdatenspeicherung ja eigentlich "Freiheit" bedeutet. Außerdem, so der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, hege man keinen Generalverdacht gegen die Bürger, weil man das Instrument "nur für eine Weile" und ausschließlich für schwere Straftaten brauchen würde. Wie man daraus durch einen Definitionstrick "alle mit Telekommunikation begangenen Straftaten" macht, führte Oppermanns Genossin Brigitte Zypries bereits vor einigen Jahren vor.

Ehrlicher war da unlängst der FDP-Staatssekretär Hans-Joachim Otto: Er meinte auf der Jahrestagung des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) auf die Frage, weshalb die "Stärkung des Urheberrechts im Internet noch nicht vorangekommen" sei, man müsse "hierfür zunächst die Vorfrage zu klären, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Provider Daten bereitstellen müssen".

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