Grenzschutz mit Satellitenüberwachung

Nach dem Ausbau von EU-Kapazitäten zur Satellitenaufklärung steht in Deutschland die Suche auch nach polizeilichen Anwendungen im Vordergrund

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Seit 1998 errichtet die Europäische Union ein Aufklärungssystem, das auf insgesamt fünf eigenen Satelliten basiert. Die unter dem Namen Global Monitoring of Environment and Security (GMES) firmierende Plattform soll die bereits existierende Satellitenaufklärung einiger Mitgliedsstaaten um ein eigenes EU-System ergänzen. Neben der Bundeswehr gehören das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei zur "Nutzerfamilie". Deutschland hilft beim Aufbau eines ähnlichen Systems in Saudi-Arabien.

GMES besteht aus den vier Hauptkomponenten Erdbeobachtung aus dem All, hierzu notwendige Kapazitäten am Boden, Verarbeitung der Informationen und Bereitstellung von Diensten für öffentliche und private Anwender (EU auf dem Weg zur "maßgebenden Weltraummacht"). Bereits vorhandene Aufklärungskapazitäten Italiens, Deutschlands, Spaniens oder Frankreichs werden ebenso wie der EU-Navigationsdienst Galileo integriert. Auch Bilder von kommerziellen Satelliten oder durch Google bereitgestellte Geodaten werden genutzt.

Die sicherheitstechnische Nutzung von GMES wird über Forschungsprogramme eingefädelt, die über Mittel des 7. Rahmenprogramms der EU finanziert werden. Unter den in GMES involvierten deutschen Unternehmen sticht der EADS-Ableger Astrium hervor, während ansonsten Tochterfirmen des italienischen Rüstungsgiganten Finmeccanica dominieren.

Testreihe bei G8- und NATO-Gipfel

Wichtigster weiterer deutscher Akteur innerhalb von GMES ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das sich als eingetragener Verein organisiert. Das DLR agiert im Auftrag der Bundesregierung und betreibt zur Auswertung der Satellitenaufklärung das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) im bayerischen Oberpfaffenhofen (Kartierungen, Datenempfang) und in Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern (Datenempfang und Schwerpunkt maritime Aufklärung).

Ebenfalls zum DLR gehört das Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI). Das Institut, das in seiner Selbstbeschreibung kein Wort über "Fernerkundung" auch für militärische Zwecke verliert, ist erfahren mit der Kontrolle politischer Proteste: Bereits zum G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm wurde die "Fünf Finger-Taktik" aus dem All ausgespäht. Auch zum Nato-Gipfel 2009 in Strasbourg hatte das ZKI Polizeien mit Daten aus der Satellitenaufklärung versorgt.

Die EU-Mitgliedstaaten sind jetzt angewiesen, den "nationalen Bedarf" an GMES-Diensten zu ermitteln und zu koordinieren. Der GMES Land-Dienst wird diesbezüglich in Deutschland vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) verantwortet, während das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) den GMES Ozean-Dienst führt. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) ist für den GMES Atmosphären- und Klima-Dienst zuständig. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) steuert den GMES Notfall-Dienst und gilt als Kontaktstelle für einzelne Projekte ("National User Focal Point"). Laut dessen Vizepräsident soll sich auch das Bundesamt für Verfassungsschutz, "aus dem Portfolio der Möglichkeiten der angebotenen Dienste das für sie Passende aussuchen".

Zivil-militärische Aufklärung

Zwar wird GMES gern als ziviles Projekt zur umwelt- oder sicherheitspolitischen Aufklärung beworben. Jedoch fanden spätestens im März 2007 vom Europäischen Rat initiierte Diskussionen über die Integration von GMES-Diensten in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) statt. Der Leiter des GMES-Weltraum-Büros bei der Europäischen Raumfahrtagentur sowie der Koordinator für GMES-Politik im gleichen Büro berichten hierzu von "drei wesentlichen Schlussfolgerungen". Demnach sollen "militärische Nutzer von GMES" die gleichen Rechte wie zivile Anwender innehaben.

Für die "militärische Nutzerfamilie" soll deshalb eine "angepasste GMES-Datenpolitik" entworfen werden. Zur deutschen "militärischen Nutzerfamilie" von GMES gehört das Verteidigungsministerium und das Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr. Das verwundert nicht: Gemäß einem gemeinsamen Papier von Kriegsindustrie und Bundeswehr stand die "raumgestützte Aufklärung" schon 2007 an erster Stelle der "wehrtechnischen Kernfähigkeiten". Das Technische Hilfswerk (THW) und das Deutsche Rote Kreuz (DRK) gehören ebenfalls zu den "Verbundpartnern" der "satellitengestützten Kriseninformation". Neben "Schnellkartierungskapazitäten" sind sie an Anwendungen zum Katastrophenmanagement oder für Großveranstaltungen interessiert.

Laut der Bundesregierung sind etliche weitere deutsche Stellen "an der Ausgestaltung von GMES-Diensten" beteiligt. Bei "polizeilichen Vorläuferprojekten zu GMES" ist demnach auch das Bundeskriminalamt aktiv. Gemeint sind Forschungsprogramme, in denen "Anwender" gemeinsam mit Herstellern und Forschungseinrichtungen spätere Einsatzgebiete ausloten.

2008 hatte das BKA mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt neue Möglichkeiten für die polizeiliche Nutzung von Satellitenaufklärung erkundet. Beteiligt waren zudem mehrere Landeskriminalämter, die Bundespolizei und das Bundesministerium des Innern. Neben dem großen Interesse an der Auswertung von Satellitenbildern wünschen sich die Verfolgungsbehörden auch eine Implementierung neuer Möglichkeiten der Navigation mittels GPS.

Der Workshop führte kurz darauf zu einer Kooperationsvereinbarung zwischen BKA und DLR, um die "vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Satellitenbildern zur Unterstützung der polizeilichen Arbeit" voranzutreiben. Dabei ging es insbesondere um die Beteiligung an GMES-Diensten. "Das DLR stellt für das BKA einen wichtigen Kooperationspartner dar, von dessen Unterstützung die Sicherheitsbehörden in vielerlei Hinsicht profitieren können", lobte der BKA-Präsident.

Im Oktober letzten Jahres hatte das Bundesverkehrsministerium zum "GMES-Nutzerforum" geladen, um die vier "Hauptdienste" auch in Deutschland mit Leben zu füllen: "Notfall-Dienst", "Land-Dienst", "Meeres-Dienst" und "Atmosphären-Dienst".

Im Oktober hatte das Bundesinnenministerium nachgelegt und zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt nach Oberpfaffenhofen zum 1. Strategie-Forum Chancen und Möglichkeiten der Fernerkundung für die öffentliche Verwaltung eingeladen. Etliche Behörden reisten an, darunter das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, das Verteidigungsministerium und das Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr sowie der Bundesnachrichtendienst.

Bundespolizei und Bundeskriminalamt haben tatkräftig mitgeholfen und im Workshop "zivile Sicherheit und polizeiliche Aufgaben" Vorträge zu "Zivile Sicherheit, polizeiliche Aufgaben" gehalten. Die Referenten umrissen den polizeilichen Bedarf und forderten rechtliche Klarheit zur Verwertungsmöglichkeit von Bildern. Das BKA stellte zudem Beispiele vor und garnierte den Vortrag mit einem Bericht über 3 D-Visualisierung. Die Bundeskriminalisten reisten zu GMES-Konferenzen nach Rom, Neustrelitz, Ispra (Italien), Madrid und vor zwei Wochen zu den GMES Thementagen Deutschland in München.

Atomanlagen im Iran und Aufstand in Ägypten ausgespäht

Das Bundeskriminalamt ist zudem selbst am Vorhaben GMES Services for Management of Operations, Situation Awareness and Intelligence for regional Crises (G-MOSAIC) beteiligt, das am 1. Januar 2012 endet. G-MOSAIC wird von der italienischen Rüstungsfirma Finmeccanica durch deren Tochter e-GEOS koordiniert. Neben dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und dem EADS-Ableger Astrium gehört auch die Universität Freiberg zu G-MOSAIC.

G-MOSAIC entwickelt Kapazitäten zur Frühwarnung und zum Krisenmanagement, die vor allem der EU-Außenpolitik zugute kommen sollen. Daher verwundert es kaum, wenn Militärs munter mit zivilen und polizeilichen Einrichtungen im Boot sitzen: Neben der EU-Migrationspolizei Frontex sind mehrere militärische und zivile Geheimdienste beteiligt, darunter aus Belgien, Frankreich, Italien und Polen. Eines der Kernelemente von G-MOSAIC ist das Aufspüren von Kokainanbau in Kolumbien, was eine gleichzeitige Beteiligung kolumbianischer Institute erklären mag. Von deutscher Seite arbeitet Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr innerhalb der zivil-militärischen Aufklärung mit.

G-MOSAIC widmet sich neben dem unkontrollierten Abbau von Rohstoffen auch der Überwachung von Grenzen und so genannten "kritischen Infrastrukturen". In Präsentationen von Projektbeteiligten rücken Atomanlagen im Iran in den Fokus. Mit G-MOSAIC wurde auch der Aufstand in Ägypten aufgeklärt und das EU-Satellitenzentrum in Torréjon mit Bildern aus Alexandria, Luxor und Sharm-el-Sheik beliefert, um weitere "Pilotdienste" für Sicherheitsanwendungen auszuloten.

Das BKA hatte sich laut der Bundesregierung bei G-MOSAIC vor allem für die Projekte zum Aufspüren von Drogenanbauflächen interessiert. Im Juni hatte das BKA am "2nd User-Workshop G-MOSAIC" im spanischen Torréjon, dem Sitz des Europäischen Satellitenzentrums teilgenommen. Dort wurden den Besuchern mehrere Live-Demonstrationen vorgeführt, darunter zu Migration und Grenzüberwachung oder dem Schutz von Industrieanlagen. Von "Endnutzern und Bedarfsträgern" wurden Statements zu zukünftigen Bedürfnissen erbeten. Mit von der Partie waren das Europäische Satellitenzentrum (EUSC), die Europäische Verteidigungsagentur (EDA), der Europäische Auswärtige Dienst (EAD), Frontex und verschiedene Einrichtungen der UN.

Bereits jetzt ist G-MOSAIC mit der Vorbereitung der Fußballmeisterschaft EURO2012 beschäftigt (Dementi von INDECT). Aus dem All werden die Stadien im polnischen Gdansk und im ukrainischen Lviv beobachtet und der Baufortschritt dokumentiert. Federführend ist die Astrium-Tochter Infoterra.

Migrationsabwehr aus dem All

Das Bundeskriminalamt interessiert sich auch für die seeseitige Überwachung mittels Satelliten. Die Behörde hatte 2010 vom GMES-Projekt MARItime Security Service (MARISS) "Bilder zu Testzwecken" angefordert. Bei MARISS werden unter anderem Positionsdaten verarbeitet, die von größeren Schiffen gesendet werden. Damit können verdächtige, kleinere Boote leichter entdeckt und polizeilichen Maßnahmen unterzogen werden. Die Bilder wurden dem BKA durch das DLR in Neustrelitz übermittelt. Geprüft werden sollte, ob "Schleusungskriminalität und Rauschgifthandel per Wasserfahrzeug" zukünftig aus dem All aufgespürt werden könnte. Die Beteiligung am noch nicht abgeschlossenen MARISS-Vorhaben dauert an. Nach Vorlage der Abschlussergebnisse soll die weitere Nutzung maritimer Satellitenüberwachung geprüft werden.

Seit letztem Jahr hat auch die maritime Abteilung der Bundespolizei (BPOL See) einen bis 2013 gültigen Kooperationsvertrag mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unterzeichnet. Das DLR liefert hierfür Bilder der Radarsatelliten TerraSAR-X und TanDem-X, die in "öffentlich gemeinsamer Partnerschaft" gemeinsam mit der Firma Astrium betrieben werden. Die Satellitenaufklärung verzeichnet Schiffsbewegungen und liefert aufbereitete Karten mit Schiffsinformationen. Bereits früher hatte die Bundespolizei ebenso wie das BKA am GMES-Projekt MARISS partizipiert. Die Bundespolizei will damit die Bekämpfung unerwünschter Migration an den Schengen-Außengrenzen vorantreiben.

Der Leiter Bundespolizei See stellt vor allem den strategischen Vorteil heraus, wenn die Bundespolizei bei MARISS die "Entwicklungen nach unseren Nutzer-Bedürfnissen beeinflussen" darf. Doch auch die taktische Überlegenheit wird gelobt: "Schon heute können wir auf Produkte aus der Kooperation zurückgreifen, die es ohne sie gar nicht oder erst in ein paar Jahren gebe". Bereitwillig stellt die Bundespolizei Schiffe für Tests zur Verfügung.

Nach dem ausdrücklichen Vorbild des GMES-Projekts hat ein internationales Konsortium unter Federführung von Tochterfirmen des Rüstungsgiganten Finmeccanica bis 2010 auch in Saudi-Arabien eine Plattform zur Satellitenüberwachung aufgebaut. Eine wichtige Rolle spielte wieder das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Angeblich sollen aber - ganz im Gegensatz zum europäischen Vorbild GMES - keine Militärs, Geheimdienste, Grenzschützer oder Polizisten auf die Bilder aus dem All zugreifen: Laut der Projektleitung handele es sich beim saudischen "Satellite based Environmental Monitoring" lediglich um eine Umweltbeobachtung. Angesichts des deutsch-saudischen Deals zur Unterstützung eines milliardenschweren EADS-Auftrags durch die Bundespolizei könnte dies durchaus bezweifelt werden.