Sind die Deutschen "ausgesprochen fremdenfreundlich" oder gibt es eine "anhaltend menschenfeindliche Situation" in Deutschland?

Fast zeitgleich werden von deutschen Wissenschaftlern zwei Studien vorgelegt, die sich mit Fremdenfeindlichkeit oder, allgemeiner, mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Deutschland beschäftigt haben. Beide Studien waren auf 10 Jahre angelegt und kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

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Die Studie von Psychologen der Universität zu Köln kommt zu dem Schluss: "Die Deutschen sind fremdenfreundlich und sehr selbstkritisch." Die heute vorgestellte Studie der Sozialforscher der Universität Bielefeld unter Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer, worüber später ausführlicher berichtet wird, kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland eine "anhaltend menschenfeindliche Situation" gibt: "Die Abwertung von Obdachlosen, Arbeitslosen und Behinderten, aber auch die Fremdenfeindlichkeit steigen erneut an. Auch und besonders Besserverdienende grenzen sich vermehrt von ärmeren Mitgliedern der Gesellschaft ab, und Engagement und Solidarität werden immer stärker danach bemessen, ob sie sich auch wirtschaftlich lohnen." Es scheint, als lebten die Wissenschaftlergruppen in unterschiedlichen Ländern oder als hätten sie unterschiedliche Brillen aufgesetzt.

Für die von Entwicklungs- und Erziehungspsychologen der Hochschule Köln unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Schmidt-Denter durchgeführte Studie wurden 6.000 Jugendliche und ihre Eltern mit und ohne Migrationshintergrund zu ihren "fremdenfreundlichen und fremdenfeindlichen Haltungen" befragt. Danach sind die Deutschen im Vergleich zu anderen europäischen Nationen, was Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus betrifft, im mittleren Bereich.

Insgesamt sollen sich die Europäer im Hinblick auf ihre personale Identität sehr ähnlich sein, während sie sich im Hinblick auf die soziale Identität jedoch unterscheiden. Bei den Deutschen wird nicht nur ihre "unauffällige personale Identität" hervorgehoben, sondern es heißt auch, sie seien "in hohem Maße selbst-reflexiv (und selbstkritisch)". Angeblich seien überdies "die nationale Identität und generell die Bindungen an das 'Eigene' schwach ausgeprägt". Das führt dazu, dass die Autoren die Deutschen als "ausgesprochen fremdenfreundlich" schildern:

Nach Werten für Fremdenfreundlichkeit (Xenophilie) befragt, belegen die Deutschen europaweit einen unangefochtenen Spitzenplatz. Nirgendwo sonst finden fremdenfreundliche Statements so viel Zustimmung wie in Deutschland.

Recht deutlich hört man bei den Autoren hindurch, dass ihnen die selbstkritische Haltung, vor allem zur eigenen Nation, nicht gefällt, schließlich sei die "salutogenetische Relevanz einer gesicherten nationalen Identität (…) geradezu überwältigend. Diese hat eine stabilisierende Wirkung sowohl auf das Individuum als auch auf die Gesellschaft." Der von deutschen Autoren angeblich beschworene "Antinationalismus" wird trotz der Kenntnisnahme der fremdenfeindlichen Straftaten, wie sie etwa von dem offenbar gut vernetzten mörderischen NSU-Trio buchstäblich "exekutiert" wurden, offenbar als das größere Problem gesehen.

Man spricht von einer "Schuld- und Schamgefühle induzierenden Erziehung", die "soziale und nationale Bindungen" dekonstruieren. Das sei nicht nur schädlich für Deutsche, sondern "das ständige Kultivieren negativer deutscher Selbstbeschreibungen wirkt auch auf integrationswillige Zuwanderer verstörend", es wird von einer "Holocaust Education" gesprochen.

Daher wird auch gesagt, dass es einen "guten" Nationalstolz gebe, der als Patriotismus bezeichnet wird und der weit über den "Verfassungspatriotismus" hinausgehe, weil hier der Stolz auf das "Eigene" zum Ausdruck gebracht werde, während der "böse" Nationalismus mit einer "Fremdgruppenabwertung" einhergehe. Bei dem "demonstrativen Auftreten türkischer Politiker" scheinen die Autoren aber weniger den gelobten Patriotismus zu sehen, sie würden eher "Gefühle wechselseitiger Entfremdung verstärken", wogegen "Maßnahmen" oder freudige bzw. traurige Ereignisse, "die Deutsche und Migranten zusammenführen", das Gemeinschaftsgefühl stärken würden. Als Beispiel wird die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland angeführt, aber das sind Ausnahmeereignisse und kein Alltag.

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