Amnesty kritisiert Hinrichtungswelle im Iran wegen Drogen

Menschenrechtler prangern Unterstützung durch deutsche Bundespolizei an - aber stimmen die Zahlen auch?

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Es ist kompliziert, sich ein genaues Bild zu machen: Amnesty International (ai) prangert eine Welle von Hinrichtungen im Iran an. Von den in diesem Jahr bislang 600 durch Henker umgekommenen Menschen seien mindestens 488 wegen Drogendelikten getötet worden, teilt die Gefangenenhilfsorganisation mit. Geht man nach den Daten, die Amnesty zur Verfügung stellt, hat es seit 2009 eine Verdreifachung gegeben. Pikant: Über ein EU-Projekt soll die Deutsche Bundespolizei an einem Projekt zur regionalen Drogenbekämpfung beteiligt sein, behauptet die Gefangenenhilfsorganisation.

Aber stimmen die Zahlen auch? Die Liga zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran macht Telepolis gegenüber andere, nicht weniger dramatische Angaben: Es seien 319 Menschen in der Zeit vom 21. März bis zum 12. Dezember 2011 hingerichtet worden. Offiziell seien davon 213 Hinrichtungen vollstreckt worden. "Eine Frau und 212 Männer. Inoffiziell sind 106, darunter eine Frau, hingerichtet worden. 48 Personen wurden öffentlich hingerichtet, fünf inoffiziell." Weiter heißt es, 124 Todesurteile seien wegen Rauschgiftdelikten, 93 davon offiziell vollstreckt worden.

Und welche anderen Urteilsgründe gibt es? "Die Personen, die nichts mit Rauschgift zu tun hatten, wurden wegen bewaffneten Kampfes gegen Gott, Vergewaltigung und Totschlag hingerichtet. Da nicht angegeben wird, ob es sich auch um politische Gefangene handelt, befinden sich unter den Hingerichteten auch Menschen, die in dieser Hinsicht tätig waren", lautet die Antwort. Die Gruppe Irananders kann die Amnesty-Zahlen nach eigenen Angaben weder verifizieren noch falsifizieren, nimmt aber eine deutlich kritische Haltung gegenüber Amnesty ein.

Und was sagen die iranischen Behörden selbst? Eine Mail an die iranische Botschaft in Berlin mit entsprechenden Fragen blieb bislang unbeantwortet.

Festnahme von Drogenverdächtigen im Juni 2011. Bild: Mehr

Amnesty zufolge hat die Welle der Hinrichtungen schon Mitte 2010 mit "Massenexekutionen in Gefängnissen" eingesetzt. Am 4. August sollen im Vakilabad-Gefängnis von Mashad, der zweitgrößten Stadt des Landes, 89 Menschen hingerichtet worden sein. Betroffen seien Angehörige ethnischer Minderheiten und Menschen aus anderen Ländern, vor allem Afghanen. Amnesty will über Hinweise verfügen, nach denen Afghanen ohne Prozess getötet worden sein sollen.

ai-Expertin Ruth Jüttner erläutert, ihre Organisation habe sich in den letzten zwei Jahren vor allem mit der iranischen Demokratiebewegung befasst, aber immer auch zur Problematik der Todesstrafe im Iran gearbeitet. In Zusammenhang mit Drogen werde sei verhängt, "seit ich denken kann", sagt Jüttner, die seit zehn Jahren über den Iran arbeitet. Ein neues Antidrogengesetz gibt es im Iran ihren Angaben zufolge seit 2010.

Zur Rolle der deutschen Bundespolizei beruft sie sich auf ein UN-Programm, das seit 2005 existiere. In dessen Rahmen werde die EU mit einem Dreijahresprojekt (2011-14) tätig, in dem es um den Aufbau von Laboratorien gehe, Federführung hätten deutsche Experten.

Markus Beyer aus dem Bundesinnenministerium erläutert, im Rahmen eines von der EU initiierten und finanzierten Projekts arbeiteten "die Economic Cooperation Organization (ECO), die Vereinten Nationen (United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) & World Customs Organisation (WCO)), Interpol sowie das BKA zusammen, um den Handel mit afghanischen Drogen in der Region zu bekämpfen.“ Projektpartner vor Ort sei die Economic Cooperation Organization (ECO), eine internationale Organisation mit Sitz in Teheran. Die ECO habe zehn Mitgliedstaaten. "Es handelt sich also nicht um ein Projekt speziell für den Iran. Das Projekt hat 2009 begonnen und ist bis 2011 befristet (mit Verlängerungsoption bis 2013)." Beyer nennt vier Komponenten: Stärkung des ECO-Büros zur Drogenbekämpfung, Aufbau eines Informationsnetzwerkes durch Interpol ("I-24/7"), Stärkung der Containercontrollen in Häfen durch UNODC, Kapazitätsaufbau im Bereich forensischer Labore durch das Bundeskriminalamt (BKA). "Eine Ausrüstung von Laboren hat noch nicht stattgefunden." Und der Sprecher betont: Die Bundespolizei sei "in das Projekt nicht involviert".

Iran hat tatsächlich Drogenprobleme

Hinweise, dass Drogenmissbrauch im Iran tatsächlich ein großes Problem darstellt, finden sich schnell. Schon 2008 hat Dr. Janet Kursawe, heute bei der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, sehr eindrücklich gezeigt, wie sich das Suchtverhalten im Iran in neuerer Zeit entwickelt hat .

Auch der von Amnesty veröffentliche Bericht "Iran addicted to death" weist schon in der Einführung darauf hin, dass der Gottesstaat tatsächlich ein deutliches Problem hat, das über den "traditionellen" Gebrauch von Rauschmitteln weit hinausgeht. Zusätzlich wird deutlich, dass das Land beim Weg der Drogen in andere Konsumentenstaaten Transitfunktionen hat.

Er rief uns aus dem Taybad-Gefängnis an um uns zu sagen, dass er innerhalb der nächsten zwei Stunden exekutiert werden würde. Soweit ich weiß, war er nie vor Gericht . . . Seinen Leichnam haben wir nicht zurück erhalten, die Iraner wollten 200 Mio. Rial (über 18.000 US-Dollar), das konnten wir uns nicht leisten.

Amnesty, Übersetzung: fbt

So zitiert Amnesty einen Afghanen, von dem vermutet wird, dass er im September 2011 exekutiert wurde, eine offizielle Bestätigung der iranischen Behörden dafür stehe allerdings aus. Ob der Vorwurf, allein 4.000 Afghanen befänden sich in iranischen Todeszellen, tatsächlich zutrifft, lässt sich schlicht nicht nachprüfen. Andererseits wäre es schon ein ernsthafter Vorgang, wenn von dem hier Dargestellten nur die Hälfte stimmt:

The serious flaws in the justice system in Iran are compounded by discriminatory practices against Afghan nationals, at least 4,000 of whom are on death row in Iran for drug smuggling, and other foreign nationals. It appears that some foreign nationals sentenced to death for drugs offences are never even brought to trial, and most are denied any kind of legal or consular assistance. Some only find out that they have been sentenced to death when prison authorities tell them.

Iran addicted to death

Laut Amnesty sollen sogar nicht volljährige Tatverdächtige - Vahid Moslemi und Mohammad Nourouzi - am 18. September 2011 hingerichtet worden sein.

Die Gefangenenhilfsorganisation betont, das iranische Drogenproblem lasse sich nicht durch eine steigende Zahl von Exekutionen lösen, es wachse weiter an. Weiterhin sei der Iran der größte Markt für Opium, genauso wie für andere, illegale Drogen. Nicht nur nach Europa würden Rauschmittel von hier weiterverkauft, sondern zunehmend auch nach Afrika. Synthetisches Rauschgift werde im Iran produziert und vor allem in asiatische Länder veräußert.

Amnesty verlangt von den iranischen Behörden,

  • alle Todesurteile umzuwandeln, auch gegen jugendliche Straftäter,
  • alle Festlegungen im iranischen Gesetz, die Todesurteile erlauben, zu beseitigen,
  • sicherzustellen, dass alle Verfahren internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprechen, inbegriffen die Möglichkeit, vom Augenblick der Verhaftung an Zugang zu einem Rechtsanwalt zu erhalten und Einspruch gegen Todesurteile wegen Drogenmissbrauch einzulegen.

Jede Exekution, so Amnesty, sei ein Affront gegen die menschliche Würde. Berichte, nach denen Exekutionszahlen drastisch ansteigen, gibt es offenkundig immer wieder: Die Zahl offiziell bekannt gegebener Hinrichtungen sei von 158 im Jahr 1987 auf 1.500 im Jahr 1989 gestiegen, sagt Amnesty unter Berufung auf Daten, die man habe sammeln können. Aber auch die Menschenrechtsorganisation räumt ein, dass es schwierig sei, Information über Menschen, die wegen Drogen umkämen zu erhalten, "weil sie oft aus armen oder weit abgelegenen Orten stammen und Analphabeten ohne Zugang zu einer guten Rechtsauskunft sein können".

Auch von Ländern wie Deutschland verlangt ai, auf die Iraner einzuwirken, dass diese den Gebrauch der Todesstrafe beenden und sie abschaffen. Allerdings, so Expertin Jüttner, sei klar, dass illegaler Drogenhandel geahndet werden müsse, aber nur mit "rechtsstaatlichen Verfahren".