Vorratsdatenspeicherung: Kompromisse als Ablenkungsmanöver

Politiker wie auch Datenschutzbeauftragte stellen Kompromissvorschläge zur Vorratsdatenspeicherung in den Raum - diese sind jedoch nur Vernebelungstaktiken

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Die Vorgaben der EU-Richtlinie zur VDS

In vielen Gesetzen finden sich sogenannte Ermessensspielräume. Diese bedeuten für den Sachbearbeiter, Richter et cetera, dass innerhalb bestimmter Vorgaben nach dem eigenen Ermessen entschieden werden kann. Ähnliche Mindest- und Höchstvorgaben finden sich auch in den EU-Richtlinien, mit denen den einzelnen Ländern die Umsetzung bestimmter Gesetzesvorgaben auferlegt wird. Die Direktive 2006/25/EG, die die Vorratsdatenspeicherung (VDS) regelt, ist eine solche Richtlinie. In ihr sind nicht nur die zu speichernden Daten aufgeführt, sie gibt in Artikel 6 auch Mindestspeicherfristen vor:

Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die in Artikel 5 angegebenen Datenkategorien für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Kommunikation auf Vorrat gespeichert werden.

Dies bedeutet, dass ein Ermessensspielraum lediglich innerhalb der Grenze zwischen sechs Monaten und zwei Jahren besteht (so ein Land der Meinung ist, es müsse die Richtlinie umsetzen). Abweichende Fristen würden keine Umsetzung der Richtlinie bedeuten, die ja nicht zuletzt mit dem Argument der Harmonisierung verabschiedet wurde. Den einzelnen Ländern bleibt somit die Wahl zwischen Umsetzung oder Nichtumsetzung - nicht jedoch die Möglichkeit, die Richtlinie nach eigenen Wünschen zu interpretieren und somit von den Harmonisierungsvorschlägen abzuweichen. Geht man davon aus, dass eine Nichtumsetzung letzten Endes tatsächlich (wie es derzeit wieder kommuniziert wird) mit einer Strafe in Milliardenhöhe enden würde, so hätte eine von den Richtlinienvorgaben abweichende Umsetzung das gleiche Resultat.

Strafzahlungen - das Damoklesschwert der stumpfen Schneide

Vonseiten der Politik wird die Strafe, die die EU verhängen kann, stets so dargestellt, als ginge ihr einerseits kein langer Prozess voraus und als wäre andererseits die VDS-Richtlinie quasi die einzige Richtlinie, bei der es zu einer zögerlichen Umsetzung kommt. Das Gegenteil ist der Fall.

Wie der AK Vorrat) auf seinem Portal richtig feststellt, ist eine Strafzahlung keine Angelegenheit, die ad hoc erledigt wird. Sie ist vielmehr an ein strenges Prozedere gebunden, an dessen äußerem Ende dann die Festlegung einer Strafe stehen kann:

Aus Anlass entsprechender Falschmeldungen weisen wir darauf hin, dass auch wenn die von der EU-Kommission gesetzte Frist bis zum 27.12.2011 zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verstreicht, auf absehbare Zeit keine Strafzahlungen zu leisten sind. Es gibt keinen "Strafbescheid", sondern allenfalls eine Ankündigung der EU-Kommission, in welcher Höhe Strafzahlungen beim Gerichtshof beantragt werden. Die Kommission kann nächstes Jahr Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben und eine Strafe für den Fall der Nichtumsetzung beantragen. Die Entscheidung des Gerichtshofs nimmt gewöhnlich etwa ein Jahr in Anspruch. Stellt der Gerichtshof eine Vertragsverletzung fest, kann er eine Strafzahlung für die Zeit der Nichtumsetzung verhängen, deren Höhe in Anwendungshinweisen der EU-Kommission festgelegt ist.

Allein für Deutschland werden bereits 20 Verfahren wegen Vertragsverletzungen beim Europäischen Gerichtshof verhandelt, weitere sind abzusehen. Insgesamt sind über 50 Vertragsverletzungsverfahren anhängig. Ebenso gibt es Bestrebungen, über bestimmte EU-Kommissionsregelungen den Europäischen Gerichtshof entscheiden zu lassen, da angenommen wird, dass die Regelungen nicht mit deutschem Recht vereinbar sind.

Exkurs: Gesetz, Klage, Urteil, erneute Klage - und kein Nachgeben

Jüngstes Beispiel hierfür ist das VW-Gesetz, das eine Sperrminorität des Landes Niedersachsen von 20 Prozent der Anteile bei wichtigen Beschlüssen genehmigt. Dies wurde von der EU-Kommission bereits 2007 nicht nur gerügt, weil es nach ihrer Meinung eine Einschränkung des freien Kapitalverkehrs bedeutet, sondern es erging auch ein entsprechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Die Umsetzung dieses Urteils hält die Kommission jedoch für mangelhaft und hat eine erneute Klage beschlossen - was jedoch nicht zur hektischen Umsetzung des Urteils in einer für die Kommission akzeptable Form führt, sondern zu vehementen Protesten.

Dies ist ein Beispiel dafür, wie dem "großen Bruder" EU-Kommission durchaus die Stirn geboten wird, wenn dies opportun erscheint - was wiederum die gesamte Machtlosigkeitsrhetorik (die auf dem Pseudoargument aufbaut, man müsse nun einmal eine EU-Richtlinie umsetzen) als vorgeschoben entlarvt.

Faule Kompromisse

Doch auch die von Politik und Datenschützern vorgetragenen Kompromissvorschläge lassen sich als Nebelkerzen outen, wenn der von der EU vorgegebene Ermessensspielraum bedacht wird. Wie bereits erläutert, gibt es letzten Endes nur die Entscheidung, die Richtlinie umzusetzen oder sich dem zu verweigern. Dennoch mehren sich in letzter Zeit die Stimmen, die mit sogenannten "Kompromissen" schlichtweg auf Bauernfang gehen:

Peter Schaar, der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, hat sich auf einer Datenschutztagung für eine Speicherung der Verbindungsdaten "von einigen wenigen Tagen" ausgesprochen, "damit die Strafverfolger überhaupt eine Chance haben". Das Verfahren, bei dem die Behörden die vollen Kosten tragen sollen, solle probehalber die derzeit nicht angewendeten Richtlinien zur Vorratsdatenspeicherung ersetzen, die eine Speicherungsdauer von 6 Monaten vorsehen.

Die SPD-Bundestagsfraktion verlangt eine rasche Umsetzung der VDS-Richtlinie und sprach sich für eine dreimonatige Speicherung aus.

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat im Januar 2011 nun das Quick-Freeze-Verfahren vorgeschlagen. In diesem Verfahren kann die Sicherung von Verkehrsdaten derjenigen Personen angeordnet werden, die einen hinreichenden Anlass dazu gegeben haben. Die Verkehrsdaten, die die Telekommunikationsunternehmen ohnehin zu geschäftlichen Gründen speichern, sollen also anlassbezogen gesichert ("eingefroren") werden. In einer zweiten Stufe können sie dann mit Zustimmung eines Richters den Ermittlern zur Verfügung gestellt ("aufgetaut") werden. Für die Verfolgung von Straftaten im Internet soll eine kurze Datenspeicherung von sieben Tagen möglich gemacht werden, damit bei einem konkreten Verdacht dynamische IP-Adressen Personen zugeordnet werden können.

All diese Vorschläge haben eines gemeinsam - sie bieten Kompromisse an, die die Richtlinie nicht zulässt, die aber letztendlich eine VDS bedeuten, auch wenn sie als VDS light oder Quick Freeze+ bezeichnet werden. Quick Freeze in seiner eigentlichen Bedeutung geht jedoch (anders als die VDS) nicht davon aus, dass jede Abfrage nach Daten auch erfolgreich sein wird. Vielmehr wird akzeptiert, dass etliche Daten eben nicht vorhanden sind und dies durch andere Ermittlungsmethoden aufgefangen werden kann.

Hier sei anzumerken, dass eine Vielzahl von Straftaten auch ohne VDS aufgeklärt wird, was der AK Vorrat bereits erläuterte. Die Grundannahmen bei QF und VDS sind verschieden - während die VDS auf eine Speicherung von Daten setzt, die nachher gegebenenfalls durchforstet werden können, baut QF auf der Speicherung von Daten auf Zuruf auf. Sollten keine vorhanden sein (wie es z.B. bei IP-Adressen bei Flatrates der Fall ist), dann lautet das QF-Motto schlicht und ergreifend: "Man muss damit leben, dass nicht alles gespeichert wird, was gespeichert werden könnte."

Die diversen Umformulierungen, egal ob "Mindestspeicherfrist", "Quick Freeze +" oder "VDS light", dienen letztendlich nur der Verschleierung der Tatsache, dass die Protagonisten dieser Ideen zum einen eine VDS fordern und zum anderen (wenn sie die Umsetzung der Richtlinie befürworten) nicht die Möglichkeit haben, sich Fristen selbstständig auszusuchen bzw. mit jeder Frist, die nicht im Rahmen der Vorgabe ist, genauso das stets als Damoklesschwert beschworene Strafzahlungsverfahren riskieren wie mit einer kompletten Nichtumsetzung.

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