Wenn Krankheit zum Luxus wird

In Portugal werden die Gebühren im Gesundheitswesen genauso deutlich angehoben wie viele Steuern

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Das neue Jahr startet für die Portugiesen sehr unerfreulich. Steuern werden allgemein erhöht, neue Gebühren eingeführt oder vorhandene deutlich erhöht. Dass es an die Fundamente geht, zeigt sich am Gesundheitssystem. Denn wer ab dem 1. Januar krank wird, wird besonders stark zur Kasse gebeten. Wer sich fortan in ein Krankenhaus, eine Gesundheitsstation oder zu einem Arzt begibt, muss neue oder deutlich höhere "Zugangsgebühren" für das staatliche Gesundheitssystem (SNS) bezahlen. Damit will die Regierung insgesamt 100 Millionen Euro einsparen, etwa ein Prozent der Gesamtkosten für die staatliche Gesundheitsversorgung im Land.

Diese Gebühren wurden erst kürzlich, quasi als Weihnachtsgeschenk, von der konservativen Regierung unter Pedro Passos Coelho veröffentlicht. Sie waren Teil der Abmachungen, die das Land mit der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) im vergangenen Mai vereinbart hat, um eine Nothilfe von insgesamt 78 Milliarden Euro zu erhalten (Souveränität Portugals ist Geschichte). Deshalb halten sich die oppositionellen Sozialdemokraten nun mit Kritik zurück, schließlich saßen sie als Regierungspartei damals mit am Tisch.

Kritisiert werden die Maßnahmen vor allem von den Verbraucherschützern, Gewerkschaften sowie den Kommunisten und dem Linksblock. Diese beiden Parteien hatten sich den Verhandlungen mit der Troika verweigert. Sie setzen auf die Mobilisierung der Bevölkerung, um den Sparkurs abzuwehren. Gemeinsam hatten sie im November zum wohl stärksten Generalstreik in der neuern Geschichte des Landes aufgerufen, um gegen derlei Maßnahmen zu protestieren.

2012 müssen es sich viele Portugiesen nun sehr genau überlegen, ob sie es sich leisten können, zum Arzt oder ins Krankenhaus zu gehen. Gehörte das Land schon bisher zu den Ländern, in denen die Verbraucher besonders starke Zuzahlungen zu leisten hatten, haben sie sich nun mehr als verdoppelt. Besonders deutlich schlagen ab dem 1. Januar Besuche in den Notaufnahmen der Krankenhäuser zu Buche. Jeder Besuch kann bis zu 50 Euro kosten, wenn eine klinische Untersuchung notwendig wird. Ohne spezielle Behandlung kostet dieser Besuch nun 20 Euro, für den bisher 9,60 Euro gezahlt werden mussten.

Man muss derartige Gebühren ins Verhältnis zum Lohnniveau setzen, erst dann zeigt sich, wie teuer das staatliche Gesundheitswesen nun für viele Menschen wird. Etwa 40% der Beschäftigten mussten schon 2010 mit weniger als 600 Euro monatlich auskommen und 2011 wurden die Löhne im öffentlichen Dienst sogar gekürzt. Da der Mindestlohn im Land nur 485 Euro beträgt, kann ein Gang in die Notaufnahme also gut vier Prozent des Monatslohns kosten und sogar auf mehr als zehn Prozent anschwellen.

Schon der Gang zum Hausarzt wird teuer und kostet nun fünf Euro statt bisher 2,20 Euro. Holt man sich nur ein Rezept ab, ohne behandelt zu werden, kostet auch das künftig genauso vier Euro, wie ein Verbandswechsel, eine Blutabnahme oder eine Behandlung, die von einer Pflegekraft erledigt wird. Diese Leistungen waren bisher genauso umsonst, wie die Visite eines Spezialisten am Krankenbett im Hospital. Denn auch die kostet künftig fünf Euro. Außerhalb des Krankenhauses kostet ein Gang zum Spezialisten nun 7,50 Euro und der Hausbesuch eines Arztes 10 Euro.

Die Verbraucherschutzorganisation DECO hat gegen die Erhöhungen genauso protestiert wie große Gewerkschaft CGTP. Das von der Verfassung garantierte Recht auf allgemeine und kostenlose Gesundheitsversorgung werde damit außer Kraft gesetzt. Kritisiert wird, dass es für viele Menschen ein Luxus werde, sich behandeln zu lassen. DECO beklagt, dass damit auch die Gesundheitsvorsorge vernachlässigt werde. Eine kurzfristige Einsparung werde langfristig das Land teuer zu stehen kommen.

Die Maßnahme trifft alle, deren Einkommen über dem Mindestlohn liegt. Schwangere, Kinder, Arbeitslose und Rentner, deren Bezüge unter der Marke von 485 Euro liegen, sind von den Zuzahlungen befreit. Auch chronisch Kranke sollen befreit werden, doch hier kritisiert die CGTP, dass zum Beispiel die Behandlungen für die Chemotherapie eines Krebskranken ausgenommen sind, aber auf Behandlungen, die indirekt damit in Verbindung stehen, wiederum Zuzahlungen entfallen.

Viele Steuern steigen, auch die Arbeitslosigkeit wird zunehmen

DECO beklagt, dass die Maßnahmen erneut vor allem die trifft, die schon von den bisherigen Sparmaßnahmen besonders hart getroffen wurden. Denn die Mittelklasse hat schon etwa 20 Prozent ihrer Kaufkraft eingebüßt. Mit dem Haushalt 2012 wurde zudem beschlossen, dass die verringerte Mehrwertsteuer auf viele Produkte und Dienstleistungen entfällt. So rechnet die Zeitung Publico vor, dass ein Kaffee sich in einer Kneipe besonders verteuert, denn dort wird statt dem verringerten Steuersatz nun der auf 23 Prozent angehobene Mehrwertsteuersatz fällig und zudem fällt eine erhöhte Steuer auf Kaffee an.

Die im vergangenen September eingeführte Sondersteuer auf Strom und Gas steigt weiter an, Tabak und alkoholische Getränke werden ebenfalls teurer. Dazu wurden Mautgebühren auf allen Autobahnen und Autostraßen eingeführt und in der Privatwirtschaft müssen alle Beschäftigten nun 2,5 Stunden in der Woche ohne Lohnausgleich länger arbeiten, obwohl die Arbeitslosigkeit weiter steigt und schon bei 13 Prozent liegt. Wer künftig seinen Job verliert, erhält als Abfindung nicht mehr den Lohn aus 30 Tagen pro gearbeitetem Jahr, sondern nur noch den für 8 oder 12 Tage. Schon deshalb wird die Arbeitslosigkeit steigen, wie in Spanien nach der Verbilligung von Kündigungen mit der Arbeitsmarktreform. Viele Firmen dürften mit Entlassungen gewartet haben, weil sie nun deutlich billiger werden, vor allem wenn es sich um langjährige Mitarbeiter handelt.

Dass mit all diesen Maßnahmen tatsächlich das Defizit so abgebaut werden kann, wie es mit der EU vereinbart wurde, sollte niemand erwarten. Doch was ist von Meldungen zu halten, die gerade durch den Blätterwald streifen, wonach das Land sein Defizitziel sogar übererfüllt habe und es schon 2011 auf den Wert drückt, der für 2012 vorgesehen war? Dahinter steckt ein Finanztrick des Wirtschaftswissenschaftlers Coelho, wie Telepolis längst berichtet hat (Portugal muss Banken verstaatlichen).

Nur ein Griff in private Rentenfonds senkt das Haushaltsdefizit virtuell auf etwa 4,5% im laufenden Jahr, obwohl 5,9% mit der Troika vereinbart waren. Real, so musste bereits der Regierungschef einräumen, wäre ohne die Trickserei das Defizit bei 8%, womit das Defizitziel deutlich verfehlt worden wäre. Da die Konservativen das Land immer tiefer in die Rezession sparen, steht 2012 wie für Griechenland auch für Portugal Nothilfe 2.0 und die Verstaatlichung der Großbanken an. Sie haben 2011 massiv an Börsenwert verloren und sind teilweise nur noch Penny-Stocks, die neuen Kapitalanforderungen im Sommer sind für sie ohne Staatsgeld kaum erfüllbar. Gegen die Milliarden, die dann fließen werden, sind die 100 Millionen nichts, die nun im Gesundheitswesen eingespart werden.