Eine arabische Lösung?

Syrien: Die Beobachtermission und die Frage danach, wann es zu einer Intervention kommt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Was beobachten die Beobachter in Syrien, was teilen sie mit, welche politische Agenda bedienen sie? Für Aufklärung über das, was in Syrien vorgeht, wie die Führung tatsächlich mit den Oppositionellen verfährt, soll die Beobachtungsmission der Arabischen Liga (AL) sorgen - und darüber wachen, ob die Abmachungen der AL mit der syrischen Regierung eingehalten werden, ob die Panzer aus den Städten zurückgezogen werden, ob politische Gefangene freigelassen werden, ob das Blutvergießen gestoppt wird und ob Gespräche zwischen den Opponenten aufgenommen werden. Einfache Antworten auf diese Fragen gibt es etwa eine Woche nach dem Eintreffen der Beobachter nicht.

Ein überschaubares und zuverlässiges Bild der Vorgänge in Syrien ist vom Beobachterteam nach bisherigen Erfahrungen nicht zu erwarten, ob man sich von der ausstehenden Verstärkung der Mission durch zusätzliche Beobachter anderes erwarten darf, ist nach Stand der Dinge eher zweifelhaft. Es steht einiges auf dem Spiel, sowohl für das Regime wie für all diejenigen Kräfte, - wozu längst nicht nur die syrischen Oppositionellen zählen -, die an der Ablösung der Herrschaft um Präsident Baschar al-Assad interessiert sind. Die seit länger dräuende Frage im Hintergrund heißt: Wird es zu einer Intervention in Syrien kommen? Ist die Mission ein Vorbereitungsakt für das, was man unlängst noch Regime Change nannte?

Die jüngste Meldung von einem bislang in der großen Öffentlichkeit wenig bekannten "Arabischen Parlament" spricht für eine Lesart, die eine solche Strategie argwöhnt. Der Vorsitzende des "Parlaments" - das eine Art Public-Image-Einrichtung ist, dessen Machtbefugnisse bei Null liegen -, Ali Salem al-Deqbasi, aus Kuweit, erklärte gestern, dass die Beobachter abgezogen werden müssten.

Seine Begründung: Das Töten von Unschuldigen gehe trotz der Präsenz des Beobachtungsteams weiter, ebenso die Verletzung von Menschenrechten in Syrien. Die AL-Mission würde der syrischen Führung einen Deckmantel für brutales Vorgehen liefern und so den Zorn der Bevölkerung in den arabischen Ländern hervorrufen. Das Parlament fordere den Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil El-Araby, dazu auf, ein Treffen der arabischen Außenminister einzuberufen, um eine Resolution zum sofortigen Abzug der AL-Emissäre zu verabschieden. Dass der kuweitische Parlamentsvorsitzende Ali Salem al-Deqbasi bei seiner Erklärung das Töten von Kindern durch Regimekräfte herausstellt, ist bestimmt kein Zufall.

The killing of children and the violation of human-rights law is happening in the presence of Arab League monitors, raising the fury of Arab people. (..) The mission of the Arab League team has missed its aim of stopping the killing of children and ensuring the withdrawal of troops from the Syrian streets, giving the Syrian regime a cover to commit inhumane acts under the noses of the Arab League observers.

Sollten die Mission vorzeitig abgebrochen werden, kann man davon ausgehen, dass die Frage danach, wie es mit Syrien weitergehen soll, immer öfter mit Erwägungen zu einer Intervention beantwortet wird. Dabei würde, wie sich das abzeichnet, in der Öffentlichkeit großer Wert darauf gelegt, eine solche Intervention als "arabische Lösung" darzustellen.

Krieg der unbestätigten Zahlen

150 Personen sollen seit Eintreffen der Beobachter von syrischen "Sicherheitskräften" getötet worden sein, behaupten die Gegner der syrischen Führung. Auf der Website der in London ansässigen Organisation Syrian Observatory for Human Rights sind weiterhin Meldungen über Armeefeuer und mögliche Massaker durech Sicherheitskräfte zu lesen. Beinahe jeder regimekritischen Meldung aus Syrien wird die Zahl von bislang 5.000 Toten zugefügt, für welche Armee, Sicherheitskräfte und führungstreue Schergen verantwortlich gemacht werden.

Ob diese Zahlen stimmen, ist nicht überprüfbar. Die wird sorgfältig auch jeder Meldung hinzugefügt - was nicht daran ändert, dass die unüberprüfbaren Angaben doch ein bestimmtes Bild verstärken, das sich die Öffentlichkeit von Syrien macht. Die Führung kontert im Info-Krieg mit eigenen Angaben, zum Beispiel, dass in den letzten Monaten 2.000 Sicherheitskräfte ums Leben kam. Dem Bild eines brutalen Regimes, das auf zivile Demonstranten, die demokratische Veränderungen fordern schießen lässt und sie brutal misshandelt, verhaftet und foltert stellt es die Darstellung entgegen, dass es Terroristen sind, die das Land destabilisieren wollen, dass es dahinter einen vom Ausland gesteuerten Plan gibt.

Gaddafi und al-Assad

Das sind zum einen die üblichen Versatzstücke und Formeln, die jede angegriffene Führung bemüht, wie man im letzten Jahr mehrmals sehen konnte. Zum anderen ist nicht einfach vom Tisch zu wischen, dass es Vorhaben - bei denen demokratische Erwägungen nicht allererste Priorität haben - gibt, Baschar al-Assad von der Macht zu entfernen. Der Verdacht einer solchen Agenda wird nicht zuletzt durch den Regimewechsel in Libyen gestützt. Wie Hugh Roberts in einem Artikel für die London Review of Books mit größerem Rechercheaufwand darlegt, waren wichtige Anhaltspunkte, die den Ausschlag für den militärischen Nato-Einsatz gegeben haben, schlicht übertrieben. So z.B. die vermeitlichen/angeblichen Luftangriffe auf Zivilisten, die Gaddafi befohlen haben soll. Dafür fehle bis heute der Nachweis, schreibt Roberts.

Freilich ist Syrien anders als Libyen. Anders als im nordafrikanischen Land bestätigt vieles, dass es sich um einen Aufstand für mehr politische Freiheiten handelt, für den Hundertausende bereit sind, auf die Straße zu gehen. Zu sehen war dies zuletzt in der ersten Tagen der Beobachtermission. Da hieß es, dass die AL-Mission den Opponenten nutze, dass sie "unter dem Schutz" der AL-Beobachtung mehr Luft habe. Der Optimismus scheint aber verfolgen.

Dazu beigetragen hat wahrscheinlich auch, dass regimekritische Beobachtungen von den Emissären, etwa jene, die von Snipern sprach, wieder zurückgenommen wurden - vom Leiter der Mission, General Mustafa al-Dabi, dem nachgesagt wird, dass er mit Syriens Staatsspitze in guten Verhältnissen stehe. Es scheint ganz so, als ob es auch innerhalb der AL-Mission verschiedene Lager gibt. Dazu kommen Vorwürfe, wonach die Beobachter vom Regime auf haarsträubende Weise getäuscht wird, indem sie an falsche Orte geführt werden.

Syrien wird wohl bis auf weiteres instabil bleiben, schon deshalb, weil es ein Land ist, in dem Proxy-Kämpfe im Kalten Krieg zwischen den USA, ihren Verbündeten und der Regionalmacht Iran ausgetragen werden.