Science Fiction am Ende?

Heute sind an die Stelle der Weltentwürfe und kühnen Was-wäre-wenn-Gedankenexperimente, der Aufklärung und Warnung billige Horrorszenarien getreten, die als Rechtfertigung für möglichst viele Ballerszenen herhalten müssen

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Wird jetzt alles besser? Viele SF-Fans fiebern mit viel Ungeduld und noch mehr Erwartungen dem neuen Kino-Spektakel "Prometheus" von Ridley Scott entgegen. Sind die Hoffnungen auf ein neues Highlight der Science-Fiction-Filmkunst berechtigt? Ich bin eher skeptisch und fürchte, dass auch dieser Film die Reduktion des Genres auf Militanz, Action und Horror nur weiter vorantreiben wird.

"Science Fiction geht gar nicht mehr. Schreib Fantasy oder Vampirromane, die gehen weg wie warme Semmeln", sagte der Verleger zu mir, als ich ihm nach längerer, berufsbedingter Pause eine Leseprobe auf den Tisch legte. Mein erster Gedanke war: Ach du meine Güte , was hat der denn geraucht?

Prometheus. Bild: Twentieth Century Fox

Bereits ein flüchtiger Blick in eine x-beliebige TV-Programm-Zeitschrift vermittelt den Eindruck, Science Fiction befände sich in einer Phase der Hochkonjunktur. Allein die Serien sind präsent wie nie zuvor: Stargate in ständigen Neuauflagen bzw. Staffeln, Battlestar Galactica, Star Trek in endlosen Wiederholungen, Andromeda mit der wohl schlechtesten Schauspielerin der Welt, Jericho, True Blood, Bionic Woman, Sanctuary - Wächter der Kreaturen, Crusade, und immer mal wieder die eine oder andere "Neverending Story" wie Earth: Final Conflict oder was weiß ich noch alles…

Earth: Final Conflict

Da sollte man doch eher von einem Aufblühen in geradezu wunderbarer Vielfalt als vom Niedergang sprechen - zumindest dann, wenn man es beim flüchtigen Blick in die Programmzeitschrift belässt. Denn in Wahrheit handelt es sich lediglich um die dem Kollaps vorangehende Inflation.

Zum einen beschränkt sich diese Pseudo-Vielfalt im Wesentlichen auf den Spartenkanal SYFY, zum anderen handelt es sich tatsächlich nur um eine Scheinvielfalt, denn letztlich folgen alle diese Machwerke einem ebenso fundamentalen wie simplen Strickmuster.

Am deutlichsten spiegelt sich der Zustand des Genres auf Bildschirm und Leinwand wider, aber die Fäulnis hat längst auch die SF-Literatur befallen: Die "Einschaltquoten-Mentalität" mit ihrer rigiden Beschränkung auf primitivste Mechanismen zur Hormonausschüttung hat auch die Literaturproduktion erobert. Nur wer das Gehirn des Zuschauers mit Adrenalin, Testosteron, Dopamin und ggf. Östrogen flutet, bekommt die Werbemillionen - der Neocortex ist nicht Ziel dieser Manipulation, da seine Aktivierung eher kontraproduktiv wirkt. Der Mensch soll nicht denken - er soll konsumieren.

Dass dieser (auch) durch den Quoten-Terror in den TV-Anstalten entstandene Trend schließlich die Lese-Gewohnheiten ebenso dominiert wie die Seh-Gewohnheiten, ist unausweichlich - obgleich Werbung und damit verbundene Quoten in der Literatur (zumindest in der Belletristik) noch keine Rolle spielen. Letzteres wird sich ohnehin ändern. Daran kann kein Zweifel bestehen. Und spätestens dann wird aus der Flut an geschriebener Trivialität, die bereits jetzt unerträglich ist, ein Tsunami der grenzenlosen Verblödung…

Warum es geschieht, wie es geschieht

Kriege werden für gewöhnlich nicht von Helden, sondern von Lieferanten gewonnen: Nur wer ein materielles Übergewicht durch stetigen Nachschub sichern kann, wird siegen. Das ist im Quotenkrieg nicht anders. Deshalb hat Masse oberste Priorität in den Konzepten der TV-Bosse. Ein möglichst nie versiegender Strom von Konfektionsartikeln muss in die Wohnzimmer quellen - mit Endlosserien lässt sich das sehr wirtschaftlich bewerkstelligen. Das betrifft natürlich nicht nur die SciFi-Nische - aber dort wird es besonders deutlich sichtbar, weil die Grenzen des Topics streng definiert und damit leichter überschaubar sind.

Kennzeichnend für die Mehrzahl dieser Konfektions-Produkte sind diese Merkmale:

Stargate
  • Nach in der Regel etwas aufwändiger produzierten Pilotfilmen versandet die sich anschließende Serie in Banalität, Anspruchslosigkeit und vor allem Billigkeit. Um die Produktionskosten zu senken, wird nur noch in spartanischen Pappmaché-Dekorationen gedreht (sehr beliebt sind auch Industrieruinen) und das Script gezielt auf diese Schauplätze reduziert. Immer mehr setzt sich zudem der Trend durch, extraterrestrische Handlungsorte konsequent geomorph zu "gestalten". Extrem anschaulich praktiziert wird dieses Prinzip in Stargate: Überall im Universum wachsen auf den bewohnten Planeten Birken, Stiefmütterchen und Brombeerhecken; die "Aliens" sind nicht schlechthin anthropomorph, sondern mehrheitlich echte Menschen und sprechen allesamt Englisch (in der Synchronisation dann natürlich Deutsch, dagegen sind die albernen Stirnrunzeln und Schädelbeulen der Star-Trek-Spezies die reinsten Orgasmen an Kreativität. Das einzige Bemerkenswerte an Stargate ist die beispiellose Phantasielosigkeit. Hinzu kommt zunehmender wissenschaftlicher Dilettantismus, so dass es geradezu Anmaßung ist, wenn das Genre sich Science Fiction nennt. Besonders ärgerlich und geradezu lächerlich sind die an Langweiligkeit nicht zu überbietenden pseudowissenschaftlichen Monologe der diversen Allround-Genies. Darin zeigt sich ein bestürzender Mangel an naturwissenschaftlicher Bildung auf der Seite der Autoren: Nichts ist peinlicher, als mit dem Horizont eines Buddelkasten-Spielkinds Pseudo-Hypothesen oder gar "Theorien" aufzustellen - es endet zwangsläufig in Lächerlichkeit. Außerdem hat das mit Literatur nichts, aber auch wirklich gar nicht zu tun. Wer eine tolle Story über Menschen und Aliens erzählen kann, muss nicht Zeit oder Zeilen schinden, indem er Zuschauer/Leser mit öden Vorträgen langweilt.
  • Die Stories sind an Dürftigkeit und Oberflächlichkeit nicht zu übertreffen. Oft existieren sie nur in zudem jeglicher Logik entbehrenden oder gar Hohn sprechenden Fragmenten und dienen ausschließlich als Kitt, mit dem die allseits so beliebten "Action-Szenen" aneinander gekleistert werden. Neue und gute Ideen sind Mangelware. Der hier besprochene Serienmüll dekliniert alle bekannten und bereits hundertfach recycelten Themen und Motive mit solch einer Nachlässigkeit und verschwenderischen Sorglosigkeit durch, dass originelle und nicht nur spekulativ, sondern auch literarisch interessante und ergiebige Einfälle drastisch entwertet, geradezu inflatorisch verschlissen werden.
  • Übrig geblieben ist militanter Stumpfsinn, auf den kaum noch ein SF-Werk verzichten kann: Kaum eine Sendeminute, in der ein Schießprügel nicht wenigstens zu sehen ist. Die Waffe gehört längst zum Standard-Requisit und ist unverzichtbares Bildelement. Ein unbewaffneter Raumfahrer ist einfach nicht mehr vorstellbar - da scheint es ja nachträglich geradezu grotesk, dass Neil Armstrong nicht zuerst ein M16 aus der Luke gestreckt hatte, bevor er seinen Fuß auf den Mond setzte…
  • Hier wirkt verhängnisvoll der "Marktmechanismus", dass der Monopolist die Maßstäbe setzt: Der Kurs des von Ambition und Thema her radikal kastrierten Genres führt seit vielen Jahren schnurgerade in die tiefsten Niederungen der Trivialität. Die literarischen Trends folgen den von TV und Kino vorgegebenen Koordinaten widerstandslos. Verschleiert wird dieser Sturz in den Orcus der Belanglosigkeit derzeit noch vergleichsweise wirksam durch die tricktechnischen Möglichkeiten der stetig anschwellenden Computerpower. Beinahe ausschließlich verpufft dieses gewaltige Potenzial aber in Selbstzweck und zwar imposanter, aber bedeutungsloser Rauschhaftigkeit. Dieser retardierende Effekt wird nur kurz anhalten, denn er kann die Erbärmlichkeit der Machwerke zwar ein wenig kaschieren, aber den eklatanten Mangel an allem, was Literatur bzw. Filmkunst ausmacht, nicht kompensieren. Ein Blick in die Bestsellerlisten bei Amazon offenbart, dass sich im Print-/eBook-Bereich exakt dasselbe ereignet (hat): Die Liste "Bücher - Bestseller in Science Fiction" (Top 100) wird von 51 Büchern dominiert, die man früher zur Kategorie "Groschenhefte" zählte, und die Top 100 der Rubrik "eBooks - Bestseller in Science Fiction" sind von sage und schreibe 77 solcher Produkte regelrecht verseucht (Stand: 07/10/2011; 09.15 Uhr). Diese Entwicklung garantiert das nahe und endgültige Ende des Genres.
  • Früher (und vor allem in der osteuropäischen SF) waren die Raumfahrer vor allem Entdecker und Forscher auf der Suche nach "Brüdern im All und im Geiste", von Neugier und Wissbegierde bis an den Rand des Universums getrieben, gewissermaßen mit einem Ölzweig im Schnabel - heute sind sie Eroberer, allerorten präsente Streitmacht oder Patrioten und Superhelden im Dienste irgendwelcher pseudoaristokratischer Weltherrscher, wachen in waffenstarrenden Festungen an den Grenzen des terranischen Imperiums mit Argusaugen und Rocky-Balboa-Fäusten darüber, dass kein Außerirder seinen käsigen Fuß über die Demarkationslinie setzt.

Romane wie z.B. Jefremovs "Das Mädchen aus dem All" oder die von Jules Verne, Stanislaw Lem werden nie wieder geschrieben werden. Vermutlich würden mit heutigen Lesegewohnheiten infizierte Konsumenten militanter Mainstream-SF solche Werke kitschig und weltfremd nennen - und genau das ist das Problem: Diejenigen, die gerademal bis drei zählen können, diffamieren alles, was über drei hinausgeht…

So wunderbar poetische Geschichten wie die von Cordwainer Smith wird nie wieder jemand schreiben. Für Poesie ist längst kein Platz mehr im eintönigen Gewitter aus Laserblitzen. Kennt jemand "Die klainen Katsen von Mutter Hudson" oder "Die Ballade von der verlorenen K'Mell"? Oder "Ein Planet namens Shayol"? Nein, kennt niemand. Wie denn auch.

Früher verfassten Science-Fiction-Schriftsteller großartige Gesellschaftsentwürfe, die den Leser von der Zukunft träumen - oder sich vor ihr fürchten ließen. Und selbst die kurzen, fast fragmentarisch wirkenden Erzählungen solcher Schriftsteller wie Cordwainer Smith durchwehte die Ahnung von einer komplexen, bisweilen gespenstisch fremden, aber in Details sichtbaren Welt, die im Text gar nicht dargestellt werden. Wie das geht? Wie man nicht Dargestelltes trotzdem sehen kann? Ja, Leute - genau das unterscheidet Literatur von Mist. Literatur aktiviert die Phantasie des Lesers und macht sie zum mitgestaltenden Faktor. Das ist wie bei einer japanischen Pinselzeichnung: Ein paar wenige Kleckse und Striche - aber plötzlich sieht der verblüffte Betrachter einen Kranich, eine geheimnisvoll lächelnde Frau oder Kirschblüten vor dem Fuji…

Geschriebener Mist vermag nicht einmal das zu imaginieren, was er verbal mitteilt.

Das ist der Unterschied.

Heute sind an die Stelle der Weltentwürfe und kühnen Was-wäre-wenn-Gedankenexperimente, der Visionen und Prophezeiungen, der Aufklärung und Warnung billige Horrorszenarien getreten, die einzig und allein als Rechtfertigung für möglichst viele Ballerszenen herhalten müssen. Folgerichtig ist die Storyarchitektur derart simpel und linear, dass der Langeweile nur noch mit Reizüberflutung entgegengewirkt werden kann: Also noch mehr Ballerei, noch mehr Blutlachen, noch mehr Explosionen und Implosionen, Blitze, Feuer, Donnerhall…

Battlestar Galactica

Dass diese extreme thematische Einengung das Genre in den Untergang führen muss, ist unausweichlich und in vollem Gange. Der Verzicht auf alles Literarische und Künstlerische zu Gunsten rein endokriner Stimulation in Form von Adrenalin, Testosteron usw. macht den Rezipienten zwangsläufig zum stupiden Kretin, erzeugt ein suchtähnliches Verlangen nach immer stärkerer Stimulation und führt in einen Teufelskreis aus stetig steigender Anspruchslosigkeit und parallel dazu wachsender Primitivität der Produkte. Zwei kurze Zitate aus auf Amazon.de veröffentlichten Leser-Rezensionen sollen das illustrieren: "Die Story kommt ohne Längen aus …. und jagt den Leser von einer Actionsequenz zur nächsten." Und: "…sehr kurzweiliges Buch, wird nie langweilig, eigentlich wie ein Kinofilm, viel Action." Dass beide Rezensenten den Begriff "Action" verwenden, ist geradezu programmatisch und kennzeichnet die Erwartungshaltung dieser Lesergeneration. Spannung, Abenteuer und Unterhaltung ist gleichbedeutend mit "Action". Eigentlich müssten sie einem Leidtun, denn es geht ihnen wie dem Maulwurf, der sofort wieder unter seinen Hügel verschwindet, nachdem er mal das Näschen in die Sonne gehalten hat, und denkt: Was soll daran nur so schön sein! Allein schon dieser widerliche Gestank nach Blumen, und diese frische Luft - igittigittigitt…

Wer noch nie erlebt hat, wie abenteuerlich und spannend eine Geschichte sein kann, in der es z.B. darum geht - ganz ohne Ballerei und Blutlachen - einem großen Geheimnis auf die Spur zu kommen, muss natürlich den erdigen Mief seines Maulwurfbaus für die wohligste geistige Umgebung der Welt halten.

Als wirklich gefährlich, mindestens jedoch hoch bedenklich, muss die zwischen den Zeilen oder auch explizit vermittelte Ideologie eingeschätzt werden: Die überwältigende Mehrheit der Produkte präsentiert in ihren - wenn auch nur fragmentarisch dargebotenen - Gesellschaftsstrukturen unverkennbar faschistoid-militante Tendenzen - und das nicht etwa kritisch mit der Intention, vor solchen Entwicklungen zu warnen, sondern klar euphemisierend oder gar idealisierend. Das Spektrum umfasst neofeudalistische Modelle mit ausgeprägtem Standessystem, alle denkbaren Spielarten von Diktaturen, Technokratien und andere elitaristische Herrschaftsformen. Nur Demokratie kommt selten vor. Sehr selten…

Fazit

Was hier vor allem über TV- und Kino-Produkte gesagt wurde, gilt uneingeschränkt ebenso für geschriebene SF: Literarische Erbärmlichkeit ist Standard, und das Genre hat längst sein Recht auf den stolzen und programmatischen Namen "Science Fiction" verspielt.

Wie konnte es nur soweit kommen.

Möglicherweise hat es auch mit dem Wertewandel in unserem Verständnis von Kultur zu tun. Wir haben uns daran gewöhnt, nicht mehr "selbst zu machen", sondern "machen zu lassen" - zu konsumieren. Oder anderen dabei zuzuschauen, wie sie etwas machen. Insbesondere betrifft das den überaus anstrengenden Vorgang des Denkens.

Die meisten Menschen betrachten heutzutage den Gebrauch des Verstandes als unangemessene Belastung, von der man sich in der Freizeit erholen muss. Sie sagen, wenn sie dringend Entspannung bzw. Erholung benötigen: "Ich muss mal abschalten." Aber wie kann man sich erholen, indem man den Verstand abschaltet?

H. G. Wells hat in seinem genialen Werk "Die Zeitmaschine" - das von den meisten Lesern bezeichnenderweise gar nicht als das erkannt und begriffen wird, was es ist: nämlich als eine sehr bissige Zeit- und Gesellschaftskritik! - unmissverständlich davor gewarnt, wohin das freiwillige Abschalten des Verstandes führt. Und wir sind längst auf dem Weg dahin: Wir werden unaufhaltsam zu Elois.

Michael Szameit (*1950) arbeitete in verschiedenen Film- und TV-Berufen, in Lektoraten und Redaktionen von Buch- und Zeitschriften-Verlagen - dort zuletzt als Chefredakteur - und als freischaffender Schriftsteller. Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben kann er heute endlich wieder Bücher schreiben. Bereits in den 80er Jahren machte er sich bei Science-Fiction-Fans mit seiner "Sonnenstein"-Trilogie und dem systemkritischen SF-Roman "Drachenkreuzer Ikaros" einen Namen. Ende der 90er erschien sein Cyberspace-Roman "Copyworld". Zurzeit arbeitet Szameit an einer Space Opera.

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