Tot-Stellen oder Lebens-Plätze?

Vom Parkieren der Autos in unseren Städten

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Gegenläufige Nachrichten aus den USA: Es gibt im Lande mindestens 105 Millionen, möglicherweise sogar bis zu 2 Milliarden einzelne Abstellplätze für Autos, vermeldet die New York Times. Einen anderen Artikel betitelt sie "Good year for autos." Daneben das Foto eines gigantischen Parkplatzes: "Nissan Fahrzeuge bei ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten am Hafen von Los Angeles in Wilmington, Calif."

Man kann sagen, auch die neuen Autos, die laufend in den USA eintreffen, und diejenigen, die gleich im Lande selber montiert werden, werden einen Großteil ihrer blechernen Lebenszeit damit verbringen, irgendwo geparkt zu stehen. Sie werden fahren, und dann stehen sie wieder - geparkt.

Der linksseitige Verkehr wirkt auf europäische Augen ganz wie von selbst bedrohlich. Bild: Tom Appleton

Die eingangs zitierten Ziffern, 105 Millionen bzw. zwei Milliarden, die sich sehr weit zu unterscheiden scheinen, bezeichnen dabei die jeweils für ein Auto vorhandenen Park-Stellen, oder "parking spots" - am Straßenrand, in der Garage, auf verschiedenen Parkplätzen und in Parkhochhäusern. Im Schnitt etwa acht pro Auto, in Houston sollen es 30 pro Bewohner sein.

Das sind also die automobilösen Städte Amerikas, die wir aus Filmen kennen. Columbo kommt angefahren, vergessen wir mal diesen schäbigen Peugeot den er da fährt. Aber wenn er kommt, steht da stets ein Plätzchen zum Parken für ihn bereit. Ich neige dazu, zu sagen: Was uns an diesen amerikanischen Krimi-Serien so gefällt, ist nicht die Detektivarbeit, nicht die Schießerei, nicht die Leichen und nicht die Autojagden. Es ist die unerträgliche Leichtigkeit des Scheins, wie diese Leute jederzeit sofort einen Platz zum Parken finden. In Amerika.

In Deutschland war das irgendwann auch mal so. Vor 50 Jahren, in Bonn-Bad Godesberg konnte man die Autos, die am Straßenrand geparkt waren, ansehen. Es waren immer die gleichen. Die Leute lebten dort, und parkten ihre Autos vorm Haus. Und man konnte seine Schlüsse aus den Autos ziehen - auf die Bewohner der Häuser. Die Anrainer. Anfangs war es auffällig gewesen, dass fast jedes zweite Auto ein VW-Käfer war. Die Käfer konnte man an Karosseriedetails gut nach ihrem Baujahr einordnen. Brezelfenster, Ovalfenster, Rechteckfenster klein, Rechteckfenster im Heck und Frontscheibe vergrößert, Einkammer-Rückleuchten und seitliche Winkerarme, Mehrkammerblinker. In der so-genannten "Ami"-Siedlung in Bad Godesberg konnte man dann die Übersee-Version des Käfers bewundern. Mit eingestellten Vertikalscheinwerfern und schrägen Abdeckgläsern in den Scheinwerfern, die später obsolet wurden, weil ALLE Käfer senkrecht eingepasste Scheinwerfer bekamen. Weiße Blinkergläser vorne, rote Hinten (in Europa orange), viel Später hatten dann die "Ami"-Käfer vorne oben auf dem Kotflügel zweikammerige Leuchten. Die innere (jetzt orange) Kammer leuchtete ständig während des Fahrens, die äußere Kammer war der Fahrtrichtungsanzeiger, also das Blinklicht für Fahrtrichtungswechsel.

Später wurde mir klar, dass alles, was mit Rädern zu tun hatte, auch irgendwie mit sozialen Schichtungen etwas zu tun hat. In den mehr Arbeiter-dominierten Straßenzügen von Bad Godesberg fanden sich deutsche Auto-Miniaturen, Goggomobil, Lloyd, NSU - Kleinstwagen, Kabinenroller, Fiat-Nachbauten, DKW-Junior und ähnliche Gebilde, die Borgward-Arabella - eine Mini-Heckflossen-Limousine, auch der BMW 750, ein kleines Sportcoupe mit Motorradmotor, Boxer-Zweizylinder, luftgekühlt. In den Mittelstandsstraßen fanden sich diverse Ford und Opel Modelle, allesamt scheußlich bis peinlich, selten mal ein Mercedes oder eine Borgward Isabella. Es gab eine gewisse Palette von einheimischen Automodellen, die man heute noch in alten Kinofilmen sieht. In der "Ami"-Siedlung sah man außer den Käfern auch alle möglichen amerikanischen Marken, Buick, Oldsmobile, Chevrolet, Cadillac, Dodge. Diese wuchtigen Blechdinosaurier kosteten damals neu zwischen 3500 bis 4000 Dollar, in Deutschland waren sie fast unerschwinglich, aber für 12 bis 15.000 Mark konnte man auch schon mal einen Gebrauchtwagen erstehen.

Der relevante Aspekt dieser Aufteilung, erschien mir, war dieser. Die deutschen Autos waren so klein, weil die Straßen in Deutschland so eng waren. Die amerikanischen Autos waren so große Dinger, weil die Straßen in Amerika so breit waren. Zufällig war ich in Teheran aufgewachsen, im nördlichen Luxus-Stadtteil Shemiran, wo die Straßen auch immer wieder mal sehr breit waren - vierspurig. Ein Kind musste schon ganz schön rennen, um da sicher über die Straße zu kommen, um nicht überfahren zu werden. Diese Straßen sind auch heute noch genau so breit wie damals, aber der Verkehr läuft de facto sechsspurig, und unendlich viel dichter darüber weg. Der Fußgänger hat Mühe, die Straße zu überqueren, egal in welchem Alter und zu welcher Tageszeit. Am Rand dieser Straßen halten gelegentlich auch einmal Autos an - aber sie parken hier nicht. Es ist kein Platz da zum parkieren.

Die deutschen Straßen, beispielsweise in Bad Godesberg, waren gebaut worden zu einer Zeit, als es noch keine Autos gab. Sie waren nun also breit genug, um eine Reihe Autos am Straßenrand hinzustellen, und eine Verkehrsreihe daran vorbei zu leiten. Einbahnstraße. Wenn der Verkehr in beide Richtungen laufen sollte, wurde es schon schwierig. In größeren Städten wie Frankfurt gab es bereits Verkehr-Staus. Dabei waren die Autos - wie mir schien: absichtlich - klein gebaut worden. Man unterschied zwischen Kleinwagen, Mittelklassewagen und Limousinen. Auch aus Frankreich kamen relativ kleine Autos, der Renault 4CV, ein Ferdinand Porsche-Ableger, oder die Simca Aronde. Aus Italien kam der Topolino, oder Fiat 500, in den eine ganze Familie schlanker Italiener hineinpasste.

In der DDR, die ich nie erlebt habe, fuhr man ein Sperrholz-Auto mit Mopedmotor, den Trabant; ein Kleinwagen, vergleichbar dem englischen Herald, dem NSU-Prinz in West-Deutschland, oder dem DAFodil aus Holland; und es gab den Wartburg, eine Art Ost-DKW mit trötendem Rück-Gebläse: ein Mittelklassewagen. Im Grunde also waren die Autos den Straßenbedingungen Europas genau angepasst. Wer mit seinem Leukoplast-Bomber zwischen Kulmbach und Küps eine Panne hatte, der stieg aus und ging zu Fuß weiter. Die Distanzen waren zu schaffen.

In Australien oder Amerika musste man 200-Liter-Tanks haben, damit man problemlos von Phoenix nach Tucson kommen konnte, bzw. von Melbourne nach Sydney. Die Straßen-Kreuzer - man dachte dabei an Ozeanschiffe der Straße - waren also funktional. Die fahrenden Himmelbetten dienten als Reise-und Transportmittel. In Deutschland wäre es keinem Menschen eingefallen, im Auto von Hamburg nach München zu reisen. Dafür gab es die Eisenbahn, mit Speise-und Liegewagen.

Deutsche Potenzhobel à la Mercedes Benz 190 SL dienten in erster Linie dazu, Schauspieler wie Claus Biederstädt weniger langweilig aussehen zu lassen.

In den frühen Sechzigerjahren kamen die Heckflossen auch beim deutschen Edsel auf, und auf einmal gab es in den engen Gassen von Nürnberg und Heidelberg und überall sonst auch deutsche Straßenkreuzer an der 6-Meter-Grenze. Freilich stark untermotorisiert, üblicherweise mit 55 PS. Es stellte sich heraus, die europäischen Autos waren nicht so klitzeklein, weil irgendjemand rücksichtsvollerweise den Verkehr in den unwegsamen Kopfsteinpflastergässchen Europas mit-bedacht hatte. Sie waren so klein, weil die Europäer so bettelarm waren. Sobald sie wieder Geld in der Tasche hatten, wuchsen auch ihre Autos. Funktionalität zählte beim Auto gar nichts. Was zählte waren die Träume und Wünsche der Fahrer. Das Auto war pure Ideologie. Nicht fleischgewordene, aber immerhin blechgewordene Ideologie.

Bild: TP

Plötzlich wurden Stellplätze, Parkplätze eine wichtige Zweit-Erwägung der Verkehrsplanung. Trotzdem verschwendete man wenig Gedanken an diese sekundäre Erwägung. Das Primäre war, die Bewegung der Autos zu garantieren. Es wurden Straßen gebaut, Schnellstraßen. Von Bad Godesberg nach Köln in einem "Zug" - und ja, auch in einer Bahn. Von Frankfurt nach Kronberg, oder von Frankfurt nach Wiesbaden - wo man früher über verschnörkelte Hügelchen tuckerte, dann hier wieder durch ein schnuckeliges Luftkurörtchen, dann da wieder durch einen unasphaltierten Wald - sauste man nun über Autobahnen. Dann, in Wiesbaden oder Sonstwo angekommen, konnte man vergeblich nach einem Plätzchen suchen, wo sich nun die 6-Meter-Limousine abstellen ließ.

Ich machte die Erfahrung in Wien. Die Stadt ist groß angelegt, denn sie war einst die Hauptstadt eines Welt-Imperiums, in dem die Sonne nie unterging. Habsburger waren Herrscher in Mexiko, in Brasilien, in Spanien, und im übrigen Europa. So können in den Wiener Straßen auch heute noch Autos auf zwei Seiten parken, und dazwischen läuft der Auto-Verkehr, ebenso wie die Straßenbahnen, und sogar U-Bahnen. Ändert aber nichts daran, dass man im 8. Bezirk leben kann, aber sein Auto im 16. abstellen muss, weil zwischen hier und dort abends keine einzige Parklücke mehr frei ist.

Ich bezahlte neben meiner Innenstadtwohnung auch noch ein Stellplätzchen im tiefen Keller einer Tiefgarage - es war nett, wenn ich mal im Supermarkt groß eingekauft hatte, die Sachen anschließend nur noch 200 Meter bis nach Hause schleppen zu müssen, vorausgesetzt, dass ich beim Rückwärtseinfahren in die extrem verwinkelte Parkzone nicht erstmal am Betonpfosten im unsichtbaren Blindwinkel hinter mir die halbe Karosserie abschabte. Ein Jahr später hatten mich die Parkgebühren etwa den dreifachen Wiederbeschaffungswert meines Autos gekostet, und ich ließ die Park-Garage fahren dahin. Stattdessen bezahlte ich nun nur noch für eine Ein-Jahres-Plakette, die mir erlaubte, im 8. Bezirk zu parken, ohne gleich einen Strafzettel zu kassieren. Egal. Wenn ich auf der rechten Seite der Lerchenfelderstraße parkte, war ich im 8. Bezirk. Auf der linken war ich im 7. - das kostete Strafe. Aber Strafe kostete es sowieso, weil die Lerchenfelderstraße nicht beparkt werden darf, oder jedenfalls nicht zu bestimmten Stunden. Oder nur für bestimmte Dauer. Bitte ein Handbuch der Parkregeln immer mitführen.

In Wellington, Neuseeland, läuft der Verkehr seitenverkehrt ab, weswegen jedes Straßenbild auf europäische Betrachter gleich einmal irgendwie bedrohlich wirkt. Hier sieht man nun, neben recht abenteuerlicher schräger Architektur im Hintergrund auch einen soliden Block aus phantasielosem Beton. Ein Park-Kubus. Daher das große blaue "P" - das das Wort "Parken" signalisiert. Wer hier sein Auto abstellt, zahlt "durch die Nase", also wie der Fisch an der Angel. Am Straßenrand stehen ebenfalls Autos geparkt, daneben jeweils Parkuhren, die für jede Stunde 4 Dollar in Münzen kassieren. Man kann auch per Einzugskarte zahlen, trotzdem muss man maximal alle zwei Stunden herbei eilen und ein neues Zettelchen ins Fenster legen. Oder vielleicht ist das alles schon mittlerweile computerisiert, so dass die Verkehrs-Sheriffs auf ihrem kleinen taschenlampengroßen Computertelefondrucker schon registrieren, dass dieser Kunde bereits sekundengenau bis jetzt bezahlt hat. Oder noch immer zahlt. Es ändert nichts daran, dass zwischen dem Ort, wo man sein Auto endlich abstellt, und jenem Ort, wo man hin will, lange Laufstrecken und lange Rücklaufzeiten liegen. Ich verbrachte letzthin 20 Minuten in der Stadtbibliothek, und rannte von meinem Auto und zu meinem Auto zurück, eine mehrfache Geld- und Zeit-Verschwendung.

Glücklicherweise kann ich mein Auto ungefähr dort am Straßenrand abstellen, wo ich auch wohne. Darüber steht ein großer, von Vögeln bewohnter Pohutukawa-Baum, ich muss also beim Anfahren immer erstmal die Scheibenwischer und die Wasserspritzer anwerfen, damit ich draußen etwas sehen kann. Auch die jugendlichen Strolche, die hier des Nachts herumlaufen, meistens als minderjährige Handlanger älterer Geschwister, die das Familieneinkommen durch Dieberei und Hehlerei aufbessern, haben diesen Wagen bereits mehrfache durch Kratzer und andere Beschädigungen markiert. Auch die Tür auf der Fahrerseite haben sie mir letzthin mit einem Knie eingetreten, so dass jetzt die Scheibe quietschend rauf und runter fährt. Die Fensterscheibe auf der Beifahrerseite haben sie auch schon mal eingeschlagen, nur um an ein buntes Halstuch zu kommen, das meine Tochter im Auto liegen gelassen hatte. Ich lasse im Auto nur noch demonstrativ Müll zurück, leere Plastikflaschen, alte Schuhe, eine Einkaufstüte mit Papier und irgendwelchem Kram.

Die Parkhäuser haben in dieser Gegend, in der immer das ganz große Erdbeben droht, wenigstens eine Funktion. Wenn man sich zufällig drinnen aufhält, während das Gebäude durchgeschüttelt wird, kann man Pech haben. Die Autos beginnen durch die Gegend zu springen, und es ist egal, ob man draußen steht und von ihnen zerquetscht wird, oder drinnen sitzt und sich den Schädel an einer harten Metallkante aufschlägt. Hilfreich ist es, draußen auf der Straße vor solch einem Gebäude zu stehen. Anders bei den Büro-Hochhäusern, der Glasscheiben in dichten Wasserfällen herabsegeln und die Passanten zu Salamischeiben zerkleinern, gibt es hier wenigstens kein fliegendes Glas.

Kurzum, die Stellplätze, ob für Anreiner, oder für Autofahrer, die irgendwo in der eigenen Stadt oder in einer anderen Stadt, die sie besuchen, stoppen wollen, parken wollen, sind überall Mangelware. Ob VW der Weltstar wird oder ob Fiat jetzt einen neuen dicken Fiat 500 auf den Markt wirft, in den keine italienische Familie der Welt mehr hineinpassen wird - egal. Die Frage ist: WO werden diese Autos, über deren Erscheinen auf dem Markt jetzt allerorten Hurraschreie ertönen, nicht zuletzt auf der großen Automesse in Detroit, dieser Totenstadt der amerikanischen Auto-Industrie - wo werden diese Autos jemals PARKEN können?

Diese toten Stellen, diese schwarzen Flecken im Stadtbild, diese Zelebrationsaltäre des Road Rage - wie kann man sie zu Plätzen des Lebens umändern, wie kann man sie integrieren in eine lebenswerte Form, in ein Stadtbild, das belebt und lebenswert wirkt? Begrünung mit Pflanzen? Warum nicht? Solange dadurch die Parkgebühren nicht noch mehr ins Unermessliche steigen. Ich selber habe in Wien immer argumentiert, dass man an jeder Wohnstraße zwei Park-Häuser aufstellen sollte - Gebäude, die den Druck von der Straße nehmen, und die später, wenn einmal Peak-Oil vorbei ist, und es keine Autos mehr gibt, oder sehr viel weniger, für andere, kommunale Zwecke bereitstehen könnten. Eine rumänische Freundin berichtete mir, in Temesvar hätte man ähnliches bereits in den Neunzigerjahren aufzuziehen versucht. Die Bürger hätten sich dagegen ausgesprochen. "Autofahrer", meinte sie, "möchten eben nicht mit ihren Einkäufen von einem Parkhaus bis nach Hause laufen müssen. Sie fahren am Liebsten bis ins Zimmer - sogar bis aufs Klo, wenn es möglich wäre."