Ein Pakt, der spaltet

Merkels Fiskalunion für den Euro sorgt für Streit in Brüssel

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Der letzte Entwurf sei eine "Kriegserklärung", heißt es im Europaparlament. Dennoch hoffen einige Abgeordnete, dass der Fiskalpakt eine schönen Tages in einer Solidarunion mündet - sogar Eurobonds sollen dann möglich sein.

Es ist schon verflixt mit der Eurokrise. Kaum scheint sich die Lage an den Märkten etwas zu entspannen, zetteln die Politiker neuen Streit an. Das heißt, eigentlich ist es ein alter Streit. Er kreist um die Fiskalunion, die Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy beim letzten EU-Gipfel gegen den erbitterten Widerstand Großbritanniens aus dem Hut gezaubert hatten. Nun liegt der vorläufig endgültige Entwurf vor - doch er stößt auf allen Seiten auf Widerstand.

Der Text sieht strikte Haushaltsregeln und automatische Sanktionen für "Schuldensünder" vor. Das Budgetdefizit soll auf 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt werden, der Schuldenstand jedes Jahr um ein Zwanzigstel schrumpfen, bis er die zulässige Marke von 60 Prozent erreicht. Wer die Vorgaben nicht einhält, muss mit saftigen Strafen rechnen. Anders als beim bisher gültigen Stabilitätspakt soll es nicht mehr möglich sein, der Strafe durch ein Veto im Ministerrat zu entgehen.

Von der Sanktionsgemeinschaft zur Solidarunion?

Zunächst sah es so aus, als könnten alle mit diesen ziemlich rigiden Vorgaben leben. Für die einen - Merkel und die Europäische Zentralbank EZB - sind sie die Garantie, dass nun endlich wirklich die deutsche "Stabilitätskultur" in Euroland einzieht. Für die anderen - wie Sarkozy und Italiens Premier Monti - sind sie die Voraussetzung, damit die EZB stärker zugunsten der Krisenstaaten eingreift (wie sie es zuletzt mit der 500 Milliarden-Spritze an die Banken getan hat).

Und für wieder andere - wie Ex-Außenminister Fischer und viele Europaabgeordnete - sind sie ein notwendiges Übel auf dem Weg in eine echte Wirtschafts- und Haftungsunion. Was als Sanktionsgemeinschaft beginnt, so die dialektische Logik, wird eines schönen Tages als Solidarunion enden. Am Ende könnte es sogar Eurobonds geben, hoffen überzeugte Föderalisten wie der Chef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt.

Reizwort Eurobonds

Es gebe in Europa einen "wachsenden Konsens", dass Eurobonds die richtige Lösung für die Schuldenkrise sind, sagte Verhofstadt auf einem viel beachteten Seminar in Brüssel. Denkbar wäre etwa, den Schuldentilgungsfonds, den der deutsche Sachverständigenrat (vergeblich) vorgeschlagen hatte, in die Tat umzusetzen und den Fonds durch Gemeinschaftsanleihen zu befüllen. Um sich alle Optionen offen zu halten, setzt sich Verhofstadt zudem dafür ein, Eurobonds in den Vertrag für die Fiskalunion aufzunehmen.

Doch nun sind diese schönen Pläne geplatzt. Bei den Verhandlungen über den Fiskalpakt weigerten sich Merkels Diplomaten, auch nur das Wort Eurobonds aufzunehmen. Außerdem strichen sie aus früheren Entwürfen alle Passagen, die eine Mitbestimmung der Parlamente vorsehen und die EU-Kommission aufwerten. Die Fiskalunion soll bleiben, was sie von Anfang an war: eine zwischenstaatliche Angelegenheit, um die sich die Chefs kümmern - das gemeine Volk soll draußen bleiben.

Das musste Ärger geben, und so kam es auch. Als erstes ging das Europaparlament auf die Barrikaden: Der letzte Entwurf sei nicht mit dem EU-Recht vereinbar und missachte die demokratischen Spielregeln, kritisieren die vier Verhandlungsführer des Parlaments, darunter Verhostadt und der deutsche CDU-Abgeordneten Elmar Brok. "Wir haben einen Entwurf, der nicht Ergebnis der Verhandlungen ist", ärgerte sich Brok. Der Merkel-Vertraute kritisierte vor allem, dass die Rolle der Parlamente eingeschränkt wurde.

Fiskalpakt als "Werbegag für Sarkozy"

Besonders laut schimpften die deutschen Sozialdemokraten, die zuhause in Berlin bisher noch jede Merkel-Wendung zum Euro mitgemacht haben. "Dies ist eine Kriegserklärung an die europäischen Institutionen und an den Parlamentarismus", sagte der Chef der SPD-Gruppe im Europaparlament, Bernhard Rapkay, in Brüssel. In der letzten Verhandlungsrunde sei "alles abgeräumt" worden, was eine Beteiligung der Parlamente gesichert hätte.

Damit werde das Budgetrecht ausgehebelt und der EU-Vertrag verletzt, so Rapkay. SPD-Wirtschaftsexperte Udo Bullmann ergänzte, die "Kehrtwende" sei "unter dem Diktat der deutschen Verhandler" erfolgt. Der Fiskalpakt sei nur noch ein "Werbegag für Sarkozy".

Auch die Grünen sind enttäuscht. Der Fiskalpakt sei ein "Rückschritt" und stehe teilweise im Widerspruch zum EU-Recht, kritisiert Finanzexperte Sven Giegold - und verweist auf ein Gutachten des Europarechtlers Pernice.

Bei der nächsten Plenarsitzung des Parlaments in der kommenden Woche in Straßburg dürfte es daher hoch hergehen. Der desiginerte neue Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hat bereits Widerstand angekündigt. Im Extremfall könnten die Abgeordneten gegen die Fiskalunion klagen. Erst einmal wollen sie aber die Stellungnahme der EU-Kommission abwarten, die in dem Entwurf ebenfalls schlecht wegkommt.

Unzufriedenheiten

Selbst die Erfinder der Fiskalunion in Berlin sind mit dem Vertragstext nicht zufrieden. Sie stören sich vor allem daran, dass im Falle einer schweren Rezession Ausnahmen vom strikten Sparkurs erlaubt werden sollen. "Die Bundesregierung wird weiter entschieden dafür eintreten, dass da ehrgeizige Vorgaben für national umzusetzende Schuldenbremsen in diesem Fiskalpakt verankert werden", sagte Sprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin.

Kritik kam auch aus der Europäischen Zentralbank. EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen hatte kritisiert, dass die jüngste Version eine "substanzielle Verwässerung gegenüber früheren Entwürfen" sei. Zugleich forderte Asmussen volle Kontrolle durch den Europäischen Rechnungshof (EuGH) bei der nationalen Umsetzung der Vereinbarungen.

Der Fiskalpakt soll beim EU-Sondergipfel Ende Januar verabschiedet werden und 2013 in Kraft treten. Angesichts der allgemeinen Unzufriedenheit könnte der Zeitplan nun aber wieder wackeln. Der nächste Entwurf für kommenden Donnerstag erwartet. Man darf gespannt sein, ob dann wieder Eurobonds drinstehen - oder ob sich die Stabilitätsfanatiker durchsetzen und die Defizitregeln wieder verschärfen. So oder so wird der Fiskalpakt die EU weiter spalten, statt sie - wie von Merkel angekündigt - zu einen.

Und die Märkte?

Die kümmert die Fiskalunion ohnehin nicht. Der Streit in Brüssel hat die Börsen und Bondmärkte völlig kalt gelassen. Vom nächsten EU-Gipfel erwarten die meisten Analysten denn auch keine Neuigkeiten zur Fiskalunion. Sie interessiert einzig und allein, was Europa zur Rettung seiner Krisenstaaten unternimmt. Doch dazu herrscht in Brüssel nur eins: betretenes Schweigen.