Hilfe, ich werde erpresst! - Geh und zahl für mich!

Pallas Athene - schwer bewaffnet gegen die Krise. Fotos: W. Aswestopoulos

Außenminister Westerwelle besucht Griechenland in der Krise. Dabei geht es auch um einen Waffendeal

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Während der freiwillige Schuldenschnitt privater Anleger gefährlich ins Stocken geraten ist und der frühere Premierminister Giorgos Papandreou nicht einsehen möchte, dass er ein politisches Auslaufmodell ist, verkündet der neue Premier Loukas Papademos: "Es ist besser arm zu sein als arbeitslos". Und der deutsche Außenminister Guido Westerwelle kommt nach Athen. Geht es nach griechischen Medien, so hat der Liberale vor allem ein Ziel, er möchte eine Unterschrift unter einen Waffendeal.

Besser arm als arbeitslos. Was aber, wenn man beides ist?

Loukas Papademos musste in den vergangenen Tagen einsehen, dass seine Mission Impossible, die Rettung der griechischen Staatsfinanzen unter Erhaltung der alten politischen Machtstrukturen zu bewerkstelligen, gescheitert ist (Ein Viertel der Griechen lebt bereits unter der Armutsgrenze). In der griechischen Presse kündigte sich dies sich mit "Wir haben von den Vorgängern nur ein Chaos geerbt"-Parolen in der Print-Presse an. Damit ist der Ex-Banker endgültig in der Politik angekommen. Denn dieses Statement hören die Griechen seit den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von allen neuen Regierungschefs.

Um noch zu retten, was zu retten ist, wählte Papademos ebenso wie seine Vorgänger einen oft erprobten Weg. Das Volk muss zahlen. Viele potentielle Einnahmequellen bleiben dem Premier dabei nicht mehr. Zehn neue Steuern auf Grundbesitz errechnete die Zeitung "Kefalaio" in ihrer aktuellen Druckausgabe allein für die letzten zwanzig Monate.

Arm durch Immobilienbesitz

Damit führt, so errechnet die Zeitung, Wohneigentum für Durchschnittsgriechen zu einer Einkommenssteuerbelastung von bis zu siebzig Prozent. Der Wohnraum gilt ab 1.1.2012 rückwirkend für die Steuerbelastung des 2011 erzielten Einkommens als Schätzmerkmal. Selbst wer lückenlos und stichhaltig beweisen kann, dass er ein niedrigeres Einkommen als den gesetzlichen Schätzwert erzielt hat, muss zahlen. Dies gilt auch, wenn die betreffende Person das Wohnobjekt geerbt hat, somit niemals selbst für den Kauf zahlen musste.

Dumm dabei ist, dass die meisten Griechen aufgrund des relativ schlechten Mieterschutzes traditionell eine Wohnung lieber kauften, als sie zu mieten. Dies wurde bis 2010 von den jeweiligen Regierungen gefördert. Dabei betrug die monatliche Belastung des Kredits in der Regel kaum mehr und oft sogar weniger als eine Vergleichsmiete. Dementsprechend sind die meisten steuerlich abgeschöpften Immobilienobjekte noch gar nicht bezahlt. Sich mit einem Verkauf aus der Steuerfalle zu retten, ist noch "unmöglicher" als die sofortige Rückzahlung aller griechischen Staatskredite. Maklerverbände melden, dass 180.000 Immobilienobjekte derzeit keine Käufer finden können.

300.000 Fahrzeuge stillgelegt

Neue Kraftfahrzeugsteuern, bisher für jeden Finanzminister ein Geheimtipp, kann Papademos auch nicht erheben. Die letzte drastische Erhöhung, die dritte seit 2009, hat in Hellas bis zum 13. Januar noch einmal 300.000 Fahrzeuge stillgelegt. Für den Fiskus schlecht dabei ist, dass durch die Verteuerung unterm Strich immer weniger Kraftfahrzeugsteuern eingenommen werden. Schlimmer wird es durch den Nebeneffekt des nunmehr vollkommen gelähmten Fahrzeughandels und die dadurch wegfallenden Steuerquellen.

Neue Verbrauchssteuern kann der Bankerpremier ebenfalls kaum einführen. Bereits jetzt beträgt die Mehrwertsteuer für jedes Getränk, außer Wasser, 23 Prozent; jedes über normales Brot hinausgehende Nahrungsmittel kostet ebenfalls eine Umsatzsteuer nach dem Spitzensteuersatz. Neue Lohn- oder Einkommenssteuern möchte der IWF keinesfalls sehen. Die nicht als besonders bevölkerungsfreundlich bekannten Finanzexperten des IWF drängen vielmehr darauf, endlich zu sparen. Ansonsten würde die chronisch in einer Stagflation steckende Wirtschaft endgültig lahm gelegt.

Papademos deutet dies so, dass er sich dazu erpresst sieht, Löhne und Gehälter in der Privatwirtschaft zu beschneiden, Tarifverträge außer Kraft setzen zu lassen und zum zweiten Mal in seiner seit November 2011 andauernden Amtszeit, Renten zu kappen. Ansonsten, meint er, würde die Kreditgebertroika ihre Zahlungen einstellen, das Land wäre pleite.

Taxifahrer

Mit geringeren Löhnen möchte Papademos die einheimische Industrie besänftigen. Insbesondere die Exportindustrie leidet darunter, dass die gezahlte und bei Export zurückzuerstattende Mehrwertsteuer auf Rohstoffe seit Krisenbeginn und bis auf weiteres nicht mehr mit der eigenen Steuerschuld verrechnet werden kann.

Dass die Troika vielmehr andere Forderungen stellt, z.B. endlich wirklich gegen tatsächliche Steuersünder vorzugehen, ist in der griechischen Realpolitik offenbar noch nicht angekommen. So war es ausgerechnet der Vertreter der rechtsnationalen LAOS, Makis Voridis, der als dritter Infrastrukturminister seit Beginn des Memorandums im Mai 2010 endlich die Öffnung des Taxifahrergewerbes fertig stellte.

Zwei Minister der PASOK, Dimitris Reppas und Giannis Ragousis, hatten sich vorher erfolglos daran versucht und durch ihre starre Haltung bei den Taxifahrern nur die Streiklusterhöhung bewirkt. Im Endeffekt sträubten die Taxifahrer sich nicht gegen eine Öffnung des Berufs, sie wollten vielmehr festschreiben lassen, dass zusätzlich zur Öffnung - wie in anderen europäischen Ländern auch - eine Korrelation der staatlichen Lizenzen zur jeweiligen Bevölkerungsdichte ins neue Gesetz eingebaut wird.

Arm dran, aber mit modernsten Waffen

Bei den zur Rettung der Wirtschaft notwendigen Strukturreformen gibt es immer noch teilweise rational unerklärbare Verzögerungen. Ebenso geistig kaum erfassbar ist jedoch der ständige Kriegswaffenkauf, mit dem griechische Regierungen ihr Staatssäckel leeren. Während die deutsche Presse überwiegend die Griechen als treibende Kraft beim Waffenkauf präsentiert, macht die griechische in Gegenzug die deutsche Politik verantwortlich.

Fakt ist, dass im Krisenjahr 2010 stolze 410 Millionen Euro aus Griechenland für die deutsche Waffenindustrie verbucht wurden. Ebenso unstrittig ist, dass Bundesaußenminister Guido Westerwelle im gleichen Jahr, kurz vor Griechenlands Gang zum IWF, auf neue Waffenbestellungen drängte.

Jedoch, so beschwert sich das griechische Militär, ist nicht alles, wo "made in Germany" draufsteht, auch Qualitätsarbeit. Besonders um das U-Boot Papanikolis gab es einen jahrelangen Streit, der viel über die Hintergründe der Deals aussagt. Das vom deutschen Hersteller als startklar bezeichnete Unterseeboot sorgte in Griechenland für einige Aufregung.

Es hatte nämlich beharrlich die Angewohnheit, bereits bei einfachen Tauchmanövern bis zu 45 Grad Schlagseite zu zeigen. Ausgerechnet über dieses technische Detail wurde in Hellas endlich die Diskussion über Sinn und Unsinn solcher Käufe angezettelt.

Geld für Politiker

Heraus kam, was viele vorher nur unter vorgehaltener Hand zu tuscheln wagten. Bei Waffengeschäften gab es für griechische Minister Geld. Für die aufdeckenden Journalisten hingegen regnete es im In- und Ausland Klagen der kompromittierten Politiker.

Ob unter diesen Umständen Guido Westerwelles Besuch am heutigen Sonntag für einen weiteren Deal, es geht angeblich um bis zu 90 Eurofighter, sorgen kann, bleibt fraglich. Denn Griechenlands bereits im Eurofight steckende Politiker bekommen langsam Angst.

Am Samstag hatte die auf Kreta durchaus beliebte Politikerin Dora Bakoyianni gewagt, einen Jahresempfang des Rotary Clubs in Iraklion auf ihrer Heimatinsel zu besuchen. Eine aufgebrachte Menge nahm daraufhin das Luxusrestauran Lukulos auseinander. Zwei Tage vorher verwüsteten erzürnte Bürger ein Lokal im Athener Viertel Pankrati. Dort wollten sich zehn Abgeordnete der PASOK über die Nachfolge von Giorgos Papandreou unterhalten.

Derartige Proteste erlebt Staatspräsidenten Carolos Papoulias bei öffentlichen Auftritten genauso wie natürlich Giorgos Papandreou, sofern er sich bei offenen Parteiveranstaltungen zeigt.

Papandreou, das Erpressungsopfer

Selbst parteiintern hat Papandreou keine ausreichende Basis mehr. Doch ebenso wie bei seinem Zeitlupenabgang vom Premierministeramt versucht er auch diesmal, den sicher erscheinenden Abgang herauszuzögern. Just zum Zeitpunkt, wo seine zahlreichen Minister in der Dreiparteienregierung endlich handfeste Arbeit liefern müssen, inszeniert er eine Parteiorgantagung nach der anderen.

Am Samstag beglückte er den Nationalrat seiner PASOK mit einer Rede. Nach einer langatmigen Analyse der Regierung seines konservativen Vorgängers Kostas Karamanlis, der ihm lediglich Chaos überlassen habe, kam er zum Schluss, dass Mitte März ein guter Termin wäre, um eine offene Abstimmung aller Parteimitglieder und eingetragenen Parteifreunde über den Parteivorsitz durchführen zu lassen.

Für Juni setze er einen Parteitag in Aussicht. Allerdings müsse zunächst einmal der Schuldenschnitt samt neuem Mammutkreditvertrag erledigt werden. Dass er selbst noch im November Parlamentswahlen für den 19. Februar angekündigt hatte, gerät immer mehr in Vergessenheit.

Das Wort Rücktritt nahm Papandreou ebenso wie im November nicht in den Mund. Um auf Nummer sicher zu gehen, erledigte dies sein parteiinterner Rivale, Finanzminister Evangelos Venizelos. Venizelos dankte dem "lieben Freund für den Mut sowohl das Premierministeramt als auch den Parteivorsitz aufzugeben".

Papandreou sieht sich und seine Familie als Opfer und wird nicht müde, dies bei jeder Gelegenheit zu erwähnen. Erneut beklagte er sich über die langsame Justiz. Diese habe die Vorwürfe, die immer wieder gegen seinen Bruder Andrikos wegen eines angeblichen Insiderhandels mit griechischen Kreditausfallversicherungen vorgebracht werden, immer noch nicht aufgeklärt.

Schließlich, so berichtete der Ex-Premier auf Pressekonferenzen, habe er auch nach dem Regierungsantritt und bis kurz vor dem Ausbruch der Krise gar nicht gewusst, was Kreditausfallversicherungen, die so genannten CDS, sind.

Gleichzeitig greift er in den letzten Tagen immer mehr die Presse an. Denn seiner Ansicht nach wurde er während seiner Amtszeit von Verlegern erpresst und schließlich zu Fall gebracht. Diese Verleger würden notorisch in Griechenland Regierungen an die Macht und wieder zu Fall bringen.

Er forderte seine Parteifreunde auf, endlich etwas dagegen zu unternehmen, obwohl er sich während seiner Amtszeit selbst gern "geheim" mit Verlegern traf. Allerdings ließ er sich dabei mehrfach erwischen.

Erpressen die Hedge-Fonds?

Doch bevor die PASOK-Funktionäre das vom Ex-Premier unterlassene Unterfangen angehen können, müssen sie sich mit Hedge-Fonds auseinandersetzen. Denn diese drohen Papandreous Hauptbedingung für den Rückzug, das Gelingen des PSI scheitern zu lassen.

Hinter den drei Buchstaben PSI, die nicht nur für Papandreou bislang ein Fremdwort waren, steckt nichts anderes als das am 27. Oktober von Bundeskanzlerin Angela Merkel geforderte Private Sector Involment, die Beteiligung der Spekulanten an der Staatsrettung. Die Verhandlungen stecken seit vergangenem Freitag fest.

Die Privatanleger verlangen erheblich höhere Zinsen als die Marken, die der IWF als lebensfähig ansieht. Selbst die von Seiten des IWF als gefährlich angesehene Zinsmarke von knapp über vier Prozent, die von der griechischen Regierung angeboten wird, ist den beteiligten Anlegern zu wenig.

Vor allem Hedge-Fonds versuchen bei diesem Geschäft mit der Krise noch einen guten Schnitt zu machen. Denn viele griechische Staatsanleihen wurden seit Beginn der Krise für weit weniger als den nominellen Wert verkauft. Eine Anleihe mit Nominalwert von 100 Euro kostete noch im September weit weniger als 40 Euro. So oder so würden die Fonds selbst bei einem Haircut von fünfzig Prozent einen Gewinn machen. Außerdem haben sie zur Not auch noch besagte CDS in der Hand. Kommt es nämlich nicht zu einem "freiwilligen" Schuldenschnitt, dann wird jeder verpflichtende Schuldenverzicht von den Ratingagenturen als "Staatspleite" gewertet. Die Versicherungssummen müssten danach ausgezahlt werden.

Zahlen muss am Ende ob erpresst, freiwillig oder unwissend nur einer - der Steuerzahler, den seine Regierung in das Spiel mit dem Euro gebracht hat.