Kluft zwischen Arm und Reich ist für US-Amerikaner zum stärksten Konflikt geworden

Geht der "amerikanische Traum" und damit die kapitalistische Ideologie ihrem Ende entgegen?

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Eine Umfrage des Pew Research Center suggeriert, dass sich womöglich in den USA ein ideologischer Wandel vollzieht, der mit der Finanz- und Wirtschaftskrise und der darauf reagierenden Occupy-Bewegung eingeleitet wurde. Zweidrittel der Amerikaner sagten in der repräsentativen Umfrage, dass es starke Konflikte zwischen Reichen und Armen im Land gibt. Das sind 19 Prozent mehr als noch 2009. Für ein Drittel sind die Klassenkonflikte jetzt sogar "sehr stark", doppelt so viel wie 2009. Das sehen Weiße, Schwarze und Latinos, aber auch die Angehörigen der verschiedenen sozialen Schichten übrigens ganz ähnlich.

Wenn für die Menschen Klassenkonflikte im Herzland des Kapitalismus zentral werden, wo der amerikanische Traum in dem Versprechen besteht, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist und vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann, dann scheinen sich Einstellungen zu verschieben, auch wenn der Hang zu den konservativen Republikanern und damit zu einem weitgehend ungeregelten, religiös unterlegten Kapitalismus weiterhin stark ist. Allerdings trifft dies, so eine andere aktuelle Pew-Umfrage, vor allem bei den Älteren zu, die jüngeren Amerikaner unter 30 Jahren neigen den Demokraten und Obama zu, sind im amerikanischen Sinn liberal eingestellt, aber auch weniger politisch engagiert als noch 2008. 41 Prozent der Unter-Dreißigjährigen sind keine Weiße. Hingegen sind die älteren Amerikaner deutlich stärker verärgert über die gegenwärtige Regierung, sie sind nationalistisch, hängen dem neoliberalen Konzept einer "kleinen Regierung" an. haben Ängste vor einem "wachsenden Anteil von Immigranten" und sehen in Reagan den bislang größten Präsidenten.

Man muss allerdings vorsichtig sein, denn wenn es um Begriffe geht, scheint die politische Welt in den USA doch noch weitgehend in Ordnung zu sein. In einer Umfrage, die im Dezember veröffentlicht wurde, wird der Kapitalismus für eine Mehrheit von 50 Prozent noch als positiv betrachtet, während 40 Prozent eine negative Einschätzung haben, in etwa so viel wie auch 2010. Der Begriff des Sozialismus ist verbraucht. Nur 31 Prozent schätzen ihn positiv ein, 60 Prozent sind ihm gegenüber negativ eingestellt. 62 Prozent haben eine positive Einstellung zu "konservativ", 60 Prozent zu "liberal", aber 67 Prozent zu "progressiv", was immer dies näher sein soll.

Der Klassenkonflikt, so die neue Umfrage, ist mit 67 Prozent an die Spitze anderer Konflikte, wie der zwischen Weißen und Schwarzen oder zwischen Jungen und Alten gerückt. 2009 war der Konflikt zwischen Amerikanern und Zuwanderern noch an erster Stelle gestanden. Hier sind zwar weiterhin 62 Prozent besorgt, aber bemerkenswert ist vor allem, dass der Klassenkonflikt bei den Weißen, aber auch bei den politisch Liberalen und Unabhängigen innerhalb von zwei Jahren so stark, nämlich um 20 Prozent oder mehr, zugenommen hat. Selbst 55 Prozent der Menschen, die der republikanischen Partei zugeneigt sind oder die sich als konservativ bezeichnen, sind dieser Meinung. Wenig erstaunlich ist, dass die Kluft zwischen Arm und Reich trotz Finanzkrise immer weiter aufgeht. Pew weist darauf hin, dass zwischen 2005 und 2009 der Anteil des reichsten Zehntels am Gesamtvermögen von 49 auf 56 Prozent angewachsen ist.

Die Pew-Autoren wollen aus den Ergebnissen jedoch keine Systemkritik ableiten. Neid auf den Reichtum sehen sie nicht wachsen, weil immer noch 43 Prozent sagen, dass die Reichen ihren Reichtum "vor allem durch eigene Arbeit, Ehrgeiz oder Ausbildung" erworben haben. Das aber sagt noch nicht aus, dass dies auch als gut befunden wird, zumal letztlich auch Ganoven Arbeit oder Ehrgeiz zeigen können, während Ausbildung auch abhängig von der sozialen Schicht ist. Insofern muss dies nicht unbedingt ein völliger Widerspruch zu den 46 Prozent sein, die meinen, die Reichen würden ihren Wohlstand vor allem den richtigen Beziehungen oder der Geburt in reichen Familien verdanken, womit sie allerdings angesichts der geringen Durchlässigkeit der amerikanischen Gesellschaft durchaus Recht haben.