Wegwerfen ist so was von Eighties ...

Warum eigentlich noch Daten löschen, die erstmal gespeichert sind? Das fragt sich zumindest die Gewerkschaft der Polizei.

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Der von der Politik mittlerweile bevorzugte Begriff Mindestspeicherung oder Mindestspeicherpflicht ist ein geschickter Schachzug. Während beim Begriff Vorratsdatenspeicherung noch anklingt, dass es sich um eine langfristige Speicherung handelt, haben viele bei der Mindestspeicherung das Gefühl, es ginge lediglich um die Frage, was kurzfristig gespeichert wird, nicht auch um die die Speicherungsfristen. Dabei spielte die Frage, wie lang die entsprechenden Daten gespeichert werden, von Anfang an eine bedeutende Rolle.

Der EU-Rat schlug einst vor, dass es Fristen zwischen einem und drei Jahren geben solle, mittlerweile wurde die EU-Richtlinie auf mindestens 6 Monate zurechtgestutzt. Italien hatte bereits vor Umsetzung der Richtlinie eine 4jährige VDS beschlossen, in Polen wurde sicherheitshalber gleich eine Frist von 15 Jahren in den VDS-Ring geworfen.

Kritiker der VDS sehen in der von den Politikern stets gerne betonten Frist von "nur" sechs Monaten denn auch ein Einfallstor für eine weitreichendere VDS. Es wäre abzusehen, heißt es, dass bei einer VDS nach kurzer Zeit die Strafverfolgung bemängeln würde, dass die Frist zu kurz bemessen sei und erweitert werden müsse. Wäre die VDS erst einmal gesellschaftlich akzeptiert und in Gesetzesform gegossen, würden Fristverlängerungen wahrscheinlich weniger stark wahrgenommen werden. Schon jetzt hat die Gewerkschaft der Polizei diesbezüglich Anlass dafür gegeben, diesen Kritikpunkt ernst zu nehmen.

So hat sich der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, lobend über die neue Verbunddatei Rechts geäußert und zugleich mitgeteilt, wie er sich eine VDS vorstellen würde, was die Löschfristen angeht:

Auch jetzt beharrt die Bundesjustizministerin auf Speicher- und Löschungsfristen. Wie sollen die Sicherheitsbehörden aber langjährige Verbindungen aufdecken, wenn sie ihre Erkenntnisse aus Datenschutzgründen nach einigen Jahren wieder wegwerfen müssen?

Bernhard Witthaut spricht hier explizit von einigen Jahren und davon, dass Lösch-/Speicherfristen seiner Meinung nach die Strafverfolgung behindern, spricht sich insofern für eine zeitlich und quantitativ möglichst umfangreiche VDS aus. Zwar fügt er noch lapidar hinzu, dass "keinesfalls ein Datenfriedhof" entstehen dürfe, doch die Tendenz der GdP wird deutlich: Befristungen sind hinderlich und unnötig. Damit reiht sich Bernhard Witthaut, was wenig verwundert, auch in die Reihe der Strafverfolger ein, die Befristungen stets eher als bürokratische Hürde oder gar als Misstrauensvotum gegen sich selbst ansehen. Eine ähnliche Diskussion wurde beispielsweise beim BKA-Gesetz geführt, hier war es BKA-Chef Jörg Ziercke, der ein Ende der Debatte um die Onlinedurchsuchung forderte und die Befristung des Gesetzes entnervt beurteilte: "Wir müssen wegkommen von dieser Misstrauensdebatte, gegen den Staat, gegen die Polizei."

[Frage des Interviewers:]
Dann drängt es sich doch geradezu auf, dass BKA-Gesetz auf fünf Jahre zu befristen und eine Evaluierung festzuschreiben.

[Jörg Ziercke:]
Dann bekommt man in fünf Jahren wieder eine neue Misstrauensdebatte. Ich sehe keine Notwendigkeit für eine solche Begrenzung. Es wird sich im Laufe der Zeit zeigen, wie die neuen Regelungen tatsächlich angewendet werden. Die Häufigkeit kann jedenfalls kein Maßstab sein.

So äußerte sich Jörg Ziercke gegenüber dem Tagesspiegel und der Welt. Über die zu kurzen Speicherungsfristen, die langfristige Ermittlungen unmöglich machten, hatte er sich bereits seit 2008 immer wieder beklagt.

Hier zeigt sich auch, warum der Begriff Vorratsdatenspeicherung durchaus gut gewählt wurde, auch wenn Daten-Messietum eher das widerspiegelt, was den Befürwortern im Kopf herumgeistert. Sie wollen zwar Datenvorräte anlegen, doch da sie in vielen Fällen ahnungslos sind, können sie auch vorab nicht wissen, welche Daten hilfreich sein könnten und welche nicht. Wie beim Messie, der noch den letzten Joghurtbecher und den letzten Stofffetzen aufhebt, weil "alles ja vielleicht doch irgendwann einmal benötigt werden könnte", und der letztendlich knietief in seinen eigenen "Vorräten" watet, unfähig sich von irgendetwas zu trennen, so stellen sich auch die VDS-Apologeten vor, dass sie einfach so viel wie möglich speichern müssten, um im konkreten Fall dann die Schleppnetze durch die Datenflut zu ziehen.

So wie auch der Messie es sich nicht vorstellen kann, dass er, auch wenn der Joghurtbecher, das löcherige Handtuch, das defekte Elektrogerät und das durchnässte und verdreckte Buch weggeworfen werden, dennoch zurechtkommt bzw., sollte er etwas davon benötigen, Alternativen finden wird, so kann sich der VDS-Freund nicht einmal mehr vorstellen, wie Ermittlungsarbeit auch ohne die langjährig aufgetürmten Datenhalden stattfinden kann. Die entlarvenden Kommentare der Strafverfolgung zeigen schon jetzt, dass sowohl die Befristung als auch die Einschränkungen in Bezug auf Datenart und Datenverwendung nur vorübergehend gelten werden - denn es wird immer wieder Daten geben, die noch nicht vorhanden sind, was zu neuen Datenspeicherwünschen führt. Die Gier danach ist grenzenlos.

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