Abmahnung mit heißer Luft

"Moderne Sklavenarbeit" darf "moderne Sklavenarbeit" genannt werden

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Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff hatte mit seinen Undercover-Reportagen in den 80er Jahren mit der nach ihm benannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Presserechtsgeschichte geschrieben. Ausgerechnet diesen kampferprobten Veteranen zerrte ein aufgebrachter Brötchenfabrikant vor den Kadi, in dessen Unternehmen Wallraff ermittelt hatte, sowie Medien, die darüber berichteten. Der ehemalige Brötchengeber nahm aber nicht nur den prominenten Journalisten und Medienhäuser ins Visier, sondern ließ seine Anwälte sogar gegen einen Ex-Arbeiter von der Kette, der mit der Presse gesprochen hatte.

Herr A. staunte nicht schlecht, als er am 23.11.2011, kurz nach Antritt der Spätschicht, auf seiner neuen Arbeitsstätte von einem Gerichtsvollzieher aufgesucht wurde, der eine anwaltliche Abmahnung seines früheren Arbeitgebers zustellte. Darin forderte der Anwalt Herrn A. auf, bis zum 25.11.2011 Unterlassung zweier Äußerungen zu erklären, sowie zum Ausgleich einer Kostennote in Höhe von 2.264,33 € (Streitwert: 50.000,- €). Herr A. hatte in einer Brötchenfabrik gearbeitet, in welcher der investigative Journalist Günter Wallraff 2008 eine verdeckte Recherche durchgeführt hatte. Sein TV-Beitrag Wo Arbeit weh tut über die von ihm als unfassbar erlebten Zustände und den dort mangelhaften Arbeitsschutz sowie sein Buch hierüber schlugen hohe Wellen, die zu einer Anklage des Fabrikinhabers wegen fahrlässiger Körperverletzung führten. Doch noch Jahre nach den Vorfällen wurde der Strafprozess immer wieder vertagt, u.a. wegen angeblicher Erkrankung des Angeklagten, angeblicher krankheitsbedingter Reiseunfähigkeit des Verteidigers sowie sechs (erfolglosen) Ablehnungsgesuchen wegen angeblicher Befangenheit des Richters - und der Richterin, die über die Befangenheit zu urteilen hatte.

Der Südwestrundfunk berichtete über diese erstaunlichen Verzögerungen und interviewte auch Herrn A., der vom Fehlen ausreichender Sicherheitshandschuhe im Betrieb berichtete. Bei häufig auftretenden Defekten einer Maschine sahen sich die Arbeiter veranlasst, die heißen Backbleche mit den Brötchen eilig vom Fließband zu nehmen. Wallraff persönlich hatte bei solchen Manövern diverse Verbrennungen erlitten, wie ihm zufolge fast alle seine am Band eingesetzten Kollegen, u.a. weil hierzu bereitliegende Handschuhe nach seiner Darstellung verschlissen oder nicht ausreichend vorhanden waren, was etliche Kollegen in eidesstattlichen Versicherungen bestätigten. Herr A. kommentierte schließlich: "Also für ein modernes Deutschland war diese Arbeit dort auch eine moderne Sklaverei." Er war zur Annahme dieser Stelle praktisch gezwungen worden, weil ihm das Arbeitsamt sonst eine Sperre verpasst hätte.

Die Wortwahl "Sklaverei" sowie weitere Äußerungen von Wallraff persönlich ließ der Unternehmer abmahnen und beantragte einstweilige Verfügungen am Landgericht Köln. Auch Zeitungen und insbesondere der SWR wurde in Anspruch genommen, letzterer wegen Aufnahmen mit versteckter Kamera. Insbesondere bezweifelte der Unternehmer die Authentizität von Aufnahmen, die Wallraff mit einer halbwegs frischen Wunde zeigten, aus der Flüssigkeit rann. Die Anwälte des Fabrikanten argwöhnten, es handele sich hierbei möglicherweise um eine Inszenierung, da Wallraff häufig mit Maskerade arbeite. Ihren hanebüchenen Verdacht begründeten sie mit einem angeblich verdächtigen Kabel, das aus Wallraffs Ärmel hing und vielleicht ein Schlauch sein könne - was dann allerdings eine miserable Fälschung wäre.

Auch störte man sich an Wallraffs Darstellung in einer Talkshow, "alle" Kollegen, mit denen er dort gearbeitet habe, hätten Verbrennungen gehabt, denn zum einen seien solche Unfälle in Bäckereien an der Tagesordnung, zum anderen warteten die Anwälte mit zwei Arbeitern als angeblichen Gegenzeugen auf - der eine hatte allerdings gar nicht in Wallraffs Schicht gearbeitet, der andere war nie am Fließband gesehen worden. Die Ursache für die häufigen Defekte der maroden Anlage sah Wallraff im Einsatz verbogener Backbleche, die sich verkanteten. Ein Mitarbeiter, der diese mit einem Hammer gerade zu klopfen hatte, versicherte wie weitere Kollegen an Eides statt, man habe ihm gesagt, die Arbeiter seien "billiger als neue Bleche". Auch gegen Wallraffs Vorwurf, aus Kostengründen seien keine Reparaturen ausgeführt worden, ging der sensible Ex-Arbeitgeber vor.

Außerdem hatte Wallraff formuliert, der Unternehmer habe sich seiner "Verurteilung" entzogen, was die Anwälte als vorverurteilend werteten, zumal sie die Gründe für die Verzögerung nicht ausschließlich bei ihrem Mandanten sahen. Tatsächlich hatte das zuständige Amtsgericht dem Unternehmer einen Strafbefehl geschickt, der allerdings aufgrund eingelegten Einspruchs nicht rechtskräftig wurde.

Nicht nur der Firmenchef fühlte sich durch die Äußerungen in seiner Ehre verletzt, auch dessen Firma, eine inzwischen in Liquidation befindliche GmbH & Co. KG, fürchtete um ihr "Unternehmenspersönlichkeitsrecht". Auf diese Weise konnten die Anwaltskosten durch einen formal zusätzlichen Anspruchsteller zusätzlich hochgetrieben werden, obwohl es um ein und dieselbe zu unterlassene Handlung ging.

Doch die Abgemahnten ließen sich nicht einschüchtern und stellten sich dem zunächst im einstweiligen Rechtsschutz ausgetragenen Verfahren. Beim Prozesstermin am 06.01.2012 war der Gerichtssaal von Journalisten bis auf den letzten Platz besetzt, wobei jedoch fast nur über Wallraffs Verfahren berichtet wurde, das unspektakulär mit einem Vergleich endete. Wallraff erklärte, er habe diesen Kompromiss gemacht, damit der Zivilprozess nicht in die Länge gezogen und hierdurch der Strafprozess nicht weiter beeinträchtigt werde. Die Verhandlung ließ bei den Beobachtern wenig Raum für Zweifel, dass tatsächlich zu wenig funktionstüchtige Handschuhe vorhanden bzw. im Notfall nicht zugänglich waren. Bei dem Kabel aus Wallraffs Ärmel handelte sich um ein Stromkabel von Wallrafs verdeckter Aufnahmetechnik. Dennoch blieben die forschen Anwälte in der Verhandlung trotzig bei ihren offensichtlich absurden Anträgen.

Die Äußerung des Herrn A. über Sklaverei wollten die Anwälte wörtlich ausgelegt wissen, diese gehe in Richtung eines strafrechtlichen Vorwurfs, Sklavenarbeit sei verboten. Das Gericht jedoch mochte sich dieser naiven Sichtweise nicht anschließen, ersichtlich gehe es nicht um aus Afrika verschleppte Sklavenarbeiter oder ähnliches, sondern um die von Herrn A. tatsächlich geäußerte Formulierung "moderne Sklaverei". Trotz dieses abwegigen Antrags, dem das Gericht nichts abgewinnen konnte und der andernorts schon im Ansatz oder spätestens unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung abgewiesen worden wäre, bat sich das Gericht für die "Eilentscheidung" wegen der insgesamt umfangreichen Akten einen Entscheidungszeitraum von zwei Wochen aus.

Doch kurz vor der Verkündung der höchstwahrscheinlich abweisenden Verfügungsurteile zog der Unternehmer letzte Woche seine forschen Anträge gegen Herrn A. und den SWR plötzlich zurück - offenbar war dem Bäcker die Sache zu heiß geworden. Seine als "Sicherheitshandschuhe" fungierenden Promi-Anwälte wird er für deren sinnlose Gängelei des Herrn A. fürstlich honorieren müssen. Statt der erhofften Verbote potenzierte sich die Verbreitung der kritischen Botschaft, die teuren Anwälte hatten erst recht Sauerstoff in den Ofen der Medien geblasen, die Wallraff eine Bühne boten.

Der Bäcker indes hat noch nicht genug in die Backröhre geschaut und geht gegen diverse Zeitungen vor, die ebenfalls über die Angelegenheit berichtet haben. Eine beantragte einstweilige Verfügung der Bezeichnung von Fließbandarbeit als "Akkordarbeit" wurde nicht erlassen, jedoch eine solche wegen des angeblich erweckten Eindrucks, es habe eine Anweisung gegeben, ggf. in die laufende Maschine zu greifen. Einen tragfähigen Anlass für ein solches Manöver hat es wohl gegeben: Wallraff erlebte persönlich, wie ein Vorarbeiter, der ihm von der Harmlosigkeit einer Maschine dozierte, in selbige hineingezogen wurde, was er und seine Kollegen seinen eigenen Angaben nach gerade noch verhindern konnten. Update: Der Mitarbeiter bestreitet jedoch inzwischen, dass eine Hilfe nötig war. Insoweit ist noch ein Rechtsstreit gegen eine Zeitung anhängig. Den hierbei aus der Kleidung des Kollegen herausgerissenen Stofffetzen bewahrt sich Wallraff als Trophäe. Vielleicht wird er ja damit winken, wenn der Unternehmer dann irgendwann doch noch zu seiner Strafverhandlung antritt. Auch Herr A. wird sich dann wohl wieder vor Gericht einfinden, diesmal vielleicht sogar als Nebenkläger. Und vielleicht bekommt er dann Gelegenheit, seinen Satz zur modernen Sklavenarbeit zu wiederholen - auf Augenhöhe und in Gegenwart des Mannes, der ihm den Mund verbieten wollte.

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