"Die Parteien sind Konzerne geworden"

Mathew D. Rose über die intime Verflechtung von Politik und Wirtschaft in der Berliner Republik

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Seit der rot-grünen Bundesregierung hat sich nicht nur die politische Ausrichtung der Parteien in Richtung Wirtschaft verlagert - auch die Parteien selber werden heutzutage wie Dienstleistungsunternehmen betrieben. Dies wird nicht nur durch die "Nebentätigkeiten" der Politiker und ihre hurtige Übernahme in die Wirtschaft betrieben, sondern auch über ein verdecktes Spendensystem, das "Sponsoring" gewährleistet. Die investigative Journalist Mathew D. Rose hat dies in seinem Buch "Korrupt? Wie unsere Politiker und Parteien sich bereichern - und uns verkaufen" erstmals aufgezeigt.

Herr Rose, Sie schreiben, dass sich die Machtstrukturen in der Bundesrepublik seit der Wahl von Rot-Grün im Jahr 1998 stark verändert haben. Inwiefern?

Mathew D. Rose: Mit der R rot-grünen Regierung wurde der Korporatismus in der Bundesrepublik aufgegeben. Diesen Korporatismus will ich keinesfalls verklären, doch mit ihm wurde nach einem gesellschaftlichen Konsens gesucht, auch wenn die Interessen der Wirtschaft meist bevorzugt wurden. Mit der Kommerzialisierung der Demokratie unter Rot-Grün bekam der Höchstbietende den politischen Vorrang - und zwar er allein. Dann gab es zum Beispiel die Liberalisierung der Finanzmärkte, die Riester-Rente und Hartz IV ohne Mindestlohn. Unter der gegenwärtigen Bundesregierung kamen der zeitweise Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg und die Reduzierung der Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe dazu. Alle Parteien wandelten Partikularinteressen in Gesetze um und behaupteten, dass das alternativlos war.

Von solchen Geschäften profitierten die Parteikonzerne und viele ihrer Manager. Schauen Sie sich die ehemaligen SPD-Führungskräfte an, die Geld in Folge der Riester-Rente kassierten. Schauen Sie sich die Liste von Politikern an, die hoch dotierte Stellen von der Deutschen Bahn erhielten, nachdem sie die finanziellen Interessen des Unternehmens gegen die des Gemeinwohls durchsetzten. Ich widme ein ganzes Kapitel unzähligen Beispielen, um dieses Phänomen eindeutig zu dokumentieren.

Sie kommen in Ihrem Buch zu dem Schluss, dass die führenden politischen Parteien mittlerweile wie Unternehmen funktionieren. Können Sie uns das erläutern? Was bedeutet das für deren Politik?

Mathew D. Rose: Ich schreibe in meinem Buch, dass die politischen Parteien in der Bundesrepublik immer weniger mit Gesellschaftsgestaltung oder Ideologien zu tun haben. Sie sind ein Wirtschaftszweig geworden, eine gewinnorientierte Dienstleistung, die einen Service anbietet: die Umwandlung von Partikularinteressen in Gesetze. Sie haben auch viel im Angebot: Förderungen, Subventionen, Steuerbegünstigungen, wirtschaftlich vorteilhafte Bestimmungen und jährlich rund 40 Milliarden Euro in Aufträgen von Bundes-, Landes- und Kommunalregierungen.

Die Parteien sind Konzerne geworden. Insgesamt verfügen diese Parteiunternehmen über Jahresumsätze in Milliardenhöhe und beschäftigen, konservativ berechnet, direkt und indirekt rund 20.000 Menschen.

Die Führungsmitglieder der Parteien verhalten sich ihren Parteien gegenüber nicht mehr loyal - geschweige denn dem Volk gegenüber. Sie sehen sich als Manager und sind fixiert auf ihre Karriere und Selbstbereicherung. Wer es zum Bundeskanzler, Ministerpräsidenten, Minister, Staatssekretär oder einflussreichen Parlamentarier gebracht hat, weiß diese Macht bis in die Millionenhöhe zu verwerten - während und nach der politisch aktiven Zeit. Der politischen Klasse ist das Gemeinwohl und die Partei relativ egal. Sie verhalten sich wie die Banker: maximale persönliche kurzfristige Bereicherung und nach mir die Sintflut.

Sponsoring hat für Firmen wesentliche Vorteile

2002 wurde über eine Änderung des Parteispendengesetzes die Transparenz in punkto Parteienfinanzierung erleichtert. Seitdem müssen Parteispenden von über 50.000 Euro sofort dem Bundestagspräsidenten gemeldet werden und Spenden an politische Parteien durch Unternehmen, an denen die öffentliche Hand eine Beteiligung von über 25 Prozent hält, wurden verboten. Gleichzeitig haben die Parteieinkünfte durch das sogenannte "Sponsoring" stark zugenommen. Was bedeutet "Sponsoring"? In welchen finanziellen Dimensionen bewegt sich diese Spendenpraxis? Was sind hierbei die Vorteile für "Sponsoren" und Parteien und was ist der Nachteil für die Öffentlichkeit?

Mathew D. Rose: So richtig wissen wir nicht, wie viel Sponsoring den Parteien einbringt, da dieser Bereich völlig intransparent ist. Auch für den Bundestagspräsidenten, der angeblich der Kontrolleur der Parteifinanzen ist. Dazu kommt, dass Parteien sehr ausgeklügelte Verschleierungssysteme eingerichtet haben. In einem Beitrag für das ARD-Magazin Monitor haben wir endlich diese Blackbox geöffnet. Wir haben festgestellt, dass die Preise, die für Sponsoring bezahlt werden, keinesfalls marktkonform sind, sondern verdeckte Spenden darstellen. Die Gesamtsumme könnte deshalb bei fünfzig Millionen Euro im Jahr liegen.

Sponsoring hat für die Firmen drei wesentliche Vorteile. Während bei einem Unternehmen eine Parteispende nicht steuermindernd wirksam ist, ist Sponsoring in Form von Mieten von Ständen bei Parteitagen und anderen Veranstaltungen der Parteien und Anzeigen in Parteimitgliedspublikationen als Betriebsausgabe vollständig steuerlich abzugsfähig. Damit subventioniert der Steuerzahler politisches Lobbying und die Landschaftspflege der Wirtschaft und ihrer Verbände. Unter den Sponsoren befinden sich auch politische Stiftungen, parlamentarische Fraktionen, Ministerien und Unternehmen mit einer Beteiligung der öffentlichen Hand von über 25 %. Spenden dürfen sie alle nicht mehr, ihre finanzielle Unterstützung durch Sponsoring ist aber zulässig.

Zweitens bleiben solche Sponsoring-Einsätze anonym. Während eine Parteispende eines Unternehmens über 10 000 Euro namentlich in den Rechenschaftsberichten der Parteien veröffentlicht werden muss, bleiben Sponsoring-Beiträge unbekannt.

Zuletzt ermöglichen Sponsoringeinsätze direkte Zugänge zu Entscheidungsträgern der Parteien. Als Jürgen Rüttgers noch Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen war, hatte er sogar diese Gespräche gegen Geld bei Partei-Veranstaltungen ebenfalls als Sponsoring - also steuerlich abzugsfähig - angeboten.

Sponsoring ist nur ein weiteres Element der Kommerzialisierung der Demokratie. Die Nachteile für die Öffentlichkeit liegen auf der Hand: Die Steuerzahler subventionieren die Lobbyarbeit der Unternehmen und die Parteien, die das Geld von den Sponsoren kassieren. Der Prozess ist völlig intransparent. Die Unternehmen haben dadurch einen großen Vorteil gegenüber dem Wähler, weil sie sich mit Geld den unmittelbaren Zugang zu den Parteigranden erkaufen.

Medien in schlechtem Zustand

Wie reagieren die Medien auf die zunehmende Ersetzung demokratischer Entscheidungsfindung durch die vorgeblich alternativlose Anpassung der Politik an die Erfordernisse des Marktes?

Mathew D. Rose: Mit der Ausnahme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind die Medien Teil des Marktes. Das sind gewinnorientierte Unternehmen. Auch sie wollen die Politik zu ihren Gunsten und zum Nachteil des Gemeinwohls (und der Öffentlich-Rechtlichen) beeinflussen. Silvio Berlusconi hat es so weit gebracht, dass er selber Staatsoberhaupt in Italien wurde, um von dort aus seinem Medien- beziehungsweise Geschäftsimperium massive Vorteile zu verschaffen.

Die Medien fördern Politiker mit dem Ziel, sie später in Anspruch zu nehmen. Die Politiker hingegen wissen, wem sie zu danken haben, wenn sie nach oben kommen. Ohne die Medien wäre Guttenberg der zweitrangige Politiker geblieben, der er ist. Schauen Sie seine Zeit als Wirtschaftsminister an. Er hat bei der Bundeswehr ein Chaos hinterlassen. Ohne die Medien hätte Christian Wulff niemals den Ruf eines integren, aufrichtigen Politikers genossen - was er keinesfalls ist.

Bezüglich der Demokratie sind also die Medien in einem ähnlich schlechten Zustand wie die politischen Parteien. Ich bin außerdem der Meinung, dass die Journalisten nicht weniger korrumpiert sind als die Politiker. Nur berichten die Medien ungern über ihre eigenen Verfehlungen.

Welche Rolle kommt Abmahnanwälten bei der Behinderung von kritischen Journalisten bei ihrer Arbeit zu? Sind Sie selbst schon einmal von solchen Juristen heimgesucht worden?

Mathew D. Rose: Journalisten haben nicht nur gegen Abmahnanwälte zu kämpfen, sondern auch mit Gerichten, die zunehmend Urteile gegen die Presse- und Meinungsfreiheit sprechen. Das Ergebnis ist dasselbe: Chefredakteure und vor allem Verlagsgeschäftsführer meiden mögliche juristische Auseinandersetzungen aus Kostengründen. Das heißt, dass Recherchen frühzeitig beendet werden oder Artikel nie erscheinen.

Die größte Zensur existiert jedoch bei den Medien selber. Sie bestimmen das Weltbild und seine Wahrnehmung. Die Medien sind zunehmend Förderriemen der Propaganda für die Politik und Wirtschaftsinteressen. Ohne ihr Zutun wäre es zum Beispiel nicht zu der Subprime-Krise gekommen. Auch waren sie an der Glaubensbildung an vermeintliche Massenvernichtungswaffen des Saddam Husseins massiv beteiligt.

Doch wichtiger als das, was die Medien herausgeben, ist die Information, die sie unterdrücken - die wir nie lesen, hören oder sehen. Da gibt es einen natürlichen Filter. Wahrscheinlich sind sich die meisten Redakteuren selber nicht einmal bewusst, was sie ausrichten. Wer nicht konform denkt und schreibt, wird kaum veröffentlicht. Das gilt für Springer und den Spiegel ebenso wie für die linken Medien.

Bisher habe ich bei juristischen Angriffen die notwendige Unterstützung von den Verlagen und der Gewerkschaft erhalten und bin beiden dafür dankbar. Entscheidend ist letztendlich, ob man die Fakten hat oder nicht. Fairness hat Vorrang. Wir wollen uns nicht auf das Niveau des Springer-Konzerns herablassen.

Wäre es der Justiz möglich, die Symbiose aus Politik und Wirtschaft zu unterbinden?

Mathew D. Rose: Darüber braucht man nicht zu spekulieren. Zumindest in Berlin nicht. Man debattiert hier, ob die Staatsanwaltschaft so ineffektiv ist, weil sie inkompetent oder korrupt ist.

Man darf ebenfalls nicht vergessen, dass deutsche Staatsanwälte weisungsgebunden sind. Die meisten Richter haben ihr Fortkommen ihrem Parteibuch zu verdanken. Was sind das für Zustände in einer Demokratie?

Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf das Wahlverhalten und das Demokratieverständnis der Bevölkerung?

Mathew D. Rose: In Deutschland sinkt die Wahlbeteiligung unablässig. Auch angeblich interessante Wahlen (wie neulich in Baden-Württemberg) haben diesen Trend kaum aufhalten können. Bei den nächsten Wahlen für das Europaparlament wäre es nicht verwunderlich, wenn die Wahlbeteiligung die 40 Prozent unterschreitet. Viele Deutsche glauben nicht mehr an die Parteiendemokratie und partizipieren deswegen daran nicht.

Auf der anderen Seite gibt es immer noch eine sehr lebendige demokratische Landschaft in der Bundesrepublik. Es existiert eine Vielzahl von Bürgerinitiativen, einige davon sind sehr stark, wie etwa die Gegner von Stuttgart 21. Das fand ich sehr beeindruckend. In Brandenburg haben Bürgerinitiativen neulich das CCS-Pläne zu Fall gebracht - trotz eines massiven Einsatzes seitens des Wirtschaftsministers Christoffers von der Linkspartei. Nicht vergessen werden darf auch der wachsende Einfluss von NGOs wie Lobby Control, Abgeordnetenwatch.de und Mehr Demokratie, die sich explizit für die Demokratie einsetzen. Außerdem findet man im Internet sehr viele interessante politische Blogs.

Wäre die Bevölkerung über die Wahl der Abgeordneten durch Direktmandate und Plebiszite in der Lage, die zunehmende Entdemokratisierung zu stoppen?

Mathew D. Rose: Das wäre reine Spekulation und auf dieses Terrain begebe ich mich grundsätzlich nicht.

Das deutsche Volk muss selber entscheiden, wie es seine Demokratie gestaltet. Ich befürchte jedoch, dass das ein schwieriges Unterfangen sein wird. Die Bevölkerung ist systematisch aus dem politischen Prozess vertrieben worden. Es muss eine demokratische Kultur wiederhergestellt werden - und eine Demokratie, in der die Nation allen gehört - und nicht nur denen mit genug Geld um politische Entscheidungen zu erwerben.

Wer hätte die Glaubwürdigkeit, das Volk wieder in den politischen Prozess einzugliedern? Sicherlich nicht die politische Klasse, die die Menschen mühevoll aus dem demokratischen Prozess rausgedrängt hat. Ein Bundespräsident, der selber der Inbegriff von Anti-Demokratie und Kommerzialisierung der Politik ist? Die Gewerkschaft und Kirche, die von der Klientel-Wirtschaft der politischen Klasse korrumpiert wurden?

Die Deutschen werden einen neuen Weg gehen - ihre Demokratie neu erfinden müssen - jenseits der Parteiendemokratie. Dazu soll mein Buch einen Beitrag leisten.

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